Female Finance – Warum wollt ihr unser Geld nicht?

17.08.2023

Nehir Safak-Turhan, Senior Business Development Manager, adesso SE

Frauen und Geld – Historie und Status Quo

Geldanlage war für Frauen lange Zeit nicht möglich. Bis 1958 durften sie in Deutschland ohne die Zustimmung des Ehegatten kein eigenes Bankkonto eröffnen, um die Gefahr „des Abzwackens von Haushaltsgeld sowie das Geheimsparen“ zu unterbinden. Erst nach 1969 wurde eine verheiratete Frau als geschäftsfähig anerkannt. Bis 1977 war es in Deutschland gesetzlich möglich, dass der Ehegatte einen bestehenden Arbeitsvertrag seiner Frau kündigen durfte, wenn er der Meinung war das eheliche Pflichten durch die Erwerbstätigkeit der Frau verletzt wurden.  Diese Entwicklungen hatten oftmals zur Folge, dass Frauen das Thema Geld und Finanzen oft dem Partner überlassen haben. Das ist heute deutlich differenzierter.

Trotz vielfältiger Unterschiede in Einkommen und Vermögen gehören Frauen zu den Aufsteigerinnen der letzten 40 Jahre. Sie sind gut ausgebildet, arbeiten im Vergleich mehr, sichern zunehmend das Haushaltseinkommen ab, verfügen über deutlich höhere Einkommen als in den Jahrzehnten zuvor und erben Vermögen. Das wirkt sich auf die Nachfrage nach Finanzdienstleistungen aus und erhöht die Attraktivität als Zielgruppe

Steigende Nachfrage nach Finanzdiensten

Aktuelle Studien des Bankenverbandes zeigen deutliche Veränderungen im Nachfrageverhalten am Beispiel der Geldanlage.⁵ Während 2019 nur 18% der Frauen Aktien, Fonds oder andere Wertpapiere besaßen, sind es mittlerweile 30% (Männer (47%). Diese Entwicklung zeigt einen deutlichen Aufwärtstrend. Insbesondere bei jüngeren Anlegerinnen ist ein steigendes Interesse zu beobachten. Gleichzeitig gibt es kaum digitale Lösungen, die auf die speziellen Bedürfnisse der Frauen eingehen – 90% der digitalen Produkte und Services werden von Männern für Männer entwickelt.⁶

Quelle: Bankenverband, Female Finance 2023

Barrieren senken, Partizipation erleichtern

Experten beziffern den weltweit entgangenen Gewinn auf etwa 700–800 Mrd. USD, da es Finanzdienstleistern nicht gelingt adäquate Finanzdienste für Frauen anzubieten⁷. Mit einer zielgruppenorientierten Ansprache, die auf die Besonderheiten der individuellen Lebensphasen und ökonomischen Grundlagen eingeht, Wissens- und Informationslücken auflöst und den Zugang zu vermeintlich komplexen Finanzfragen auflöst, ist Abhilfe möglich. Dafür bedarf es keine „rosa Finanzen“, die mit Marketing-Klischees wie Frauen in Hosenanzügen werben. Das Angebot bedarfsorientierter Finanzdienste und benutzerfreundlicher digitaler Lösungen, die nutzenorientierte Mehrwerte sicherstellen, sind gefragt. Ansonsten müssen sich Finanzdienstleister früher oder später folgender Frage der Frauen stellen: „Warum wollt ihr unser Geld nicht?“

[1] Statistisches Bundesamt Deutschland

[2] Hans Böckler Stiftung, WSI Report 2022

[3] Arbeiterkammer Österreich, Vermögensunterschiede nach Geschlecht in Österreich und Deutschland: Eine Analyse auf der Personenebene

[4]Hans Böckler Stiftung, Studien zur Gleichstellung und Geschlechtergerechtigkeit

[5] Bankenverband, Female Finance 2023

[6] Sparkassen Innovation Hub, Female Finance Studie

[7] Financial Alliance for Woman