Optimistische Prognosen bedingt gerechtfertigt

03.01.2020

Dr. Jens Ehrhardt, Vorstandsvorsitzender DJE Kapital AG / Foto: © DJE Kapital AG

2020 ist ein US-Wahljahr und sollte von dieser Seite positive Impulse für Wall Street und die Welt-Aktienmärkte bringen. Die amerikanische Notenbank hat 2019 ihr Steuer um 180 Grad herumgerissen und dreimal die Zinsen gesenkt sowie im 3. Quartal die Politik der Liquiditätsverminderung (Quantitative Tightening) beendet. Solange man an dieser Notenbank-Politik festhält, dürfte grundsätzlich Rückenwind für die internationalen Aktien bestehen. Positiv zu werten ist, dass es an den meisten Börsen noch nie einen so großen Abstand zwischen der Verzinsung von Aktien und Anleihen gab.

In der Vergangenheit lagen die Zinsen bei Staatsunternehmensanleihen oft rund doppelt so hoch wie die Dividendenrendite. Heute liegen die Dividendenrenditen selbst an asiatischen Börsen mit ihren traditionell niedrigen Dividendenausschüttungsquoten deutlich höher als die Rendite festverzinslicher Papiere. Gleiches gilt für Wall Street, obwohl dort die Verzinsung im internationalen Vergleich bei Anleihen noch relativ hoch ist. Wenn man aber mit Dividenden (die in der Regel auch noch längerfristig steigen) mehr verdient als mit Anleihen, sollte dies positive Impulse für die Aktienmärkte bringen. Besonders dann, wenn sich die Anzahl der Anleihen mit Negativ-Zins (immerhin noch eine zweistellige Billionen-Größenordnung) wieder erhöhen sollte.

Die Frage ist, an welchen Börsen man geografisch kaufen sollte und welche Art von Aktien am interessantesten erscheint. Auffällig ist, dass der Bewertungsunterschied zwischen Europa und den USA nach einigen Maßstäben auf 20- oder sogar 50-Jahres-Extreme gestiegen ist. Begründet wird dies damit, dass Europa wenige Wachstumsaktien besitzt und Wall Street aussichtsreichere Wachstumsaktien zu bieten hat. Tatsächlich sind aber viele internationale Aktien heute multinational, so dass es in Europa ähnliche Aktien gibt wie in den USA und trotzdem in Europa deutlich niedriger bewertet sind. Auch sind Wachstumsaktien (wie sie in den USA reichlich vertreten sind) heute ungewöhnlich teuer. Auch die neuen Aktien, die an die Börse gebracht werden, sind häufig solche Wachstumstitel, wobei auffällt, dass heute rund 80 % der Neuemissionen keine Gewinne aufweisen. Ähnliches passierte im Jahre 2000, als 80 % der IPOs negative Gewinne pro Aktie bei der Emission veröffentlichten. Was nach 2000 (Internet-Blase) passierte, dürfte allgemein bekannt sein. Im Jahre 2008 war der Anteil der Verlust-Neuemissionen auf 30 % gesunken. In den 80er und frühen 90er Jahren war höchstens ein Fünftel der neuen Aktien in den roten Zahlen. Aber nicht nur solche Euphorie der Anleger hinsichtlich zukünftiger Gewinne kennzeichnet heute Wall Street, sondern auch die Tatsache, dass zuletzt bei allen US-Börsen gehandelten Aktien für rund 1 Bio. Dollar Aktien über die Börse von den Unternehmen selbst zurückgekauft wurden. Der größte Aktienkäufer in Wall Street ist mit Abstand das eigene Unternehmen. Während es in den 60er Jahren, als der Verfasser sich zuerst mit Aktien beschäftigte, noch die Auswahl zwischen gut 10.000 Aktien in Wall Street bestand, waren es zuletzt nur noch gut 3.000. Wenn sich die Anzahl der Aktien aber vermindert und die Käufe von Jahr zu Jahr bei solchen Transaktionen zunehmen, kann man sich vorstellen, dass die Börsenindizes nach oben getrieben werden, genauso wie die Gewinne pro Aktie, die sich durch solche Finanzakrobatik vermindern lassen. Wall Street ist heute zwar preiswert im Hinblick auf die niedrig verzinslichen Anleihen, nicht aber wegen historischer Preisvergleiche (bezogen auf Gewinne, Buchwert oder Umsätze der Unternehmen). Trotz Wahljahr in den USA könnten deshalb 2020 andere Börsen besser abschneiden.

weiter auf Seite 2