Nicht ohne Sprengkraft

14.04.2016

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Am 3. Juli 2016 wird u. a. durch die EU-Marktmissbrauchsverordnung ein neues, europaweit einheitliches, direkt anwendbares Marktmissbrauchsrecht in Kraft treten.

Auffällig sind dabei nicht nur die erweiterten Pflichten, die sich für Emittenten ergeben, sondern auch die deutlich erhöhten Sanktionierungsrahmen bei Verstößen. Inhaltlich geht es bei den Regelungen zum Marktmissbrauch u. a. um Geschäfte von Organmitgliedern und diesen nahestehenden Personen (Directors' Dealings) sowie um die Frage, wie mit kursrelevanten Umständen (Insiderinformationen) im Unternehmen umzugehen ist und wann diese als adhoc Mitteilung zu veröffentlichen sind. Nachfolgend werden die relevantesten Neuerungen kurz erläutert:

Insiderlisten.

Damit sich die ermittelnden Behörden bei Ermittlungen zu Insiderdelikten im Nachhinein Kenntnis darüber verschaffen können, welche Personen zu welchem Zeitpunkt Kenntnis von einer Insiderinformation erlangt haben, sind Emittenten verpflichtet, dies in sog. „Insiderlisten“ festzuhalten. Insiderlisten werden künftig detailreicher zu führen sein als bislang. So sind künftig auch die genaue Uhrzeit (und nicht lediglich das Datum), zu welcher eine Person Kenntnis von einer Insidertatsache erlangt hat, sowie die geschäftliche Mobiltelefonnummer der Person aufzunehmen. Erheblicher Mehraufwand wird daraus entstehen, dass künftig für jeden Fall einer Insiderinformation eine anlassbezogene Insiderliste zu führen ist. Es reicht nicht mehr aus, Personen, die aufgabenbedingt typischerweise von Insiderinformationen Kenntnis erlangen, wie z. B. ein CFO und dessen Assistenz, in einer sog. „permanenten“ Insiderliste zu führen. Vielmehr ist in der jeweiligen anlassbezogenen Insiderliste auch für Permanentinsider zu vermerken, wann sie von der jeweiligen Insiderinformation Kenntnis erlangt haben. Neu ist auch, dass Emittenten von den Personen, die sie in die Insiderliste aufnehmen, schriftliche Bestätigungen über die vom Emittenten vorzunehmende Belehrung über ihre gesetzlichen Pflichten und mögliche Sanktionen einzuholen haben.

Directors' Dealings.

Die wesentlichste Änderung im Bereich der Directors' Dealings-Meldungen ist, dass Führungspersonen nach neuem Marktmissbrauchsrecht sog. „closed periods“ beachten müssen: In einem Zeitraum von 30 Tagen vor Veröffentlichung eines Zwischen- oder Jahresabschlusses dürfen keine Transaktionen in Aktien, Anleihen oder darauf bezogenen Finanzinstrumenten des Emittenten vorgenommen werden. De facto bedeutet dies für Führungspersonen, dass sie in vier Monaten im Jahr keine entsprechenden Geschäfte tätigen dürfen. Emittenten müssen künftig zusätzlich zur Insiderliste eine Liste sämtlicher Personen, also inklusive der den Führungspersonen nahestehenden Personen, führen, auf welche die Mitteilungspflichten anwendbar sind. Zudem sind die Führungspersonen schriftlich über ihre Pflichten zu belehren. Diese wiederum haben die ihnen nahestehenden Personen schriftlich aufzuklären. So hat ein Vorstandsmitglied seinen Ehepartner künftig schriftlich auf die Pflicht zur Mitteilung von Directors' Dealings-Transaktionen hinzuweisen.

Freiverkehrsemittenten.

Gänzlich neu in den Anwendungsbereich des europäischen Marktmissbrauchsrechts werden Emittenten des Freiverkehrs (Aktien oder Anleihen) einbezogen, die künftig denselben Anforderungen gerecht werden müssen wie die Emittenten des regulierten Marktes. Das neue Marktmissbrauchsregime gilt daher z. B. auch für Emittenten sog. „Mittelstandsanleihen“. Diese Emittenten hatten bislang allenfalls von Börsen für bestimmte Marktsegmente, z. B. den Entry Standard der Frankfurter Wertpapierbörse, vorgegebene Regeln zu befolgen. Es steht zu erwarten, dass viele dieser Emittenten mangels geeigneter Compliancestrukturen mit den für sie neuen Anforderungen zunächst überfordert sein werden.

Drakonische Sanktionen.

Ganz erhebliche Änderungen gibt es vor allem bei der Ahndung von Verstößen gegen das neue Marktmissbrauchsrecht. Die Sanktionen werden sowohl auf administrativer als auch auf strafrechtlicher Ebene drastisch verschärft. Zur administrativen Ahndung von Verstößen sind hohe, umsatzbezogene Geldbußen möglich, wobei der Bußgeldrahmen bis zu 5 Mio. Euro bei natürlichen Personen und bis zu 15 Mio. Euro bzw. 15 % des Konzernumsatzes bei juristischen Personen betragen kann. Außerdem ist vorgesehen, dass neben Geldbußen noch andere, erhebliche Eingriffsbefugnisse der BaFin bestehen. So wird es u. a. möglich sein, Personen vorläufige oder endgültige Berufsverbote zu erteilen. Verstößen gegen das neue Marktmissbrauchsrecht soll präventiv durch besondere Abschreckung durch das sog. „Naming and Shaming“ vorgebeugt werden. Ergangene Verwaltungssanktionen und -maßnahmen sollen grundsätzlich schon vor Rechtskraft unter Nennung des Verstoßes sowie unter voller namentlicher Benennung des oder der Betroffenen auf der Internetseite der BaFin für mindestens fünf Jahre veröffentlicht werden. Die strafrechtliche Durchsetzung wird auf europäischer Ebene vereinheitlicht und ist nach neuem Recht bei vorsätzlicher Begehung anzuwenden. Eine unrechtmäßige Offenlegung von Insiderinformationen zieht eine Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren oder eine Geldstrafe nach sich. Zudem wird neuerdings auch der Versuch eines Insiderdelikts strafbar sein.

Philipp Melzer, Rechtsanwalt und Partner CMS Hasche Sigle

(Marktmissbrauchsverordnung/ finanzwelt 02/2016)