Was auf dem Spiel steht - Teil 1/3
09.06.2016
Philippe Uzan
Das europäische Projekt ist ebenso sehr durch seine Schwierigkeiten wie durch die Ideen, Prinzipien und Zielsetzungen seiner Gründer geprägt worden. Hinter der Erweiterung der Europäischen Union (EU) auf 28 Mitgliedstaaten standen gute Absichten. Sie hat aber unvermeidlich zu Komplikationen geführt.
Die EU ist nicht dafür gemacht, Krisen zu bewältigen. Und doch hat sie es bisher noch immer geschafft, eine Lösung zu finden — auch wenn dies manchmal fast in letzter Minute nach schwierigen Verhandlungen geschah und immer der Eindruck von Improvisation und Unvollständigkeit vermittelt wurde. Jedes neue Problem setzt regelmäßig eine Diskussion über ein mögliches Auseinanderfallen der EU in Gang. Nach der Euro- und Griechenland-Krise und zuletzt der Flüchtlingskrise, die zu einer Aussetzung des Schengen-Abkommens geführt hat, gibt ein möglicher EU-Austritt Großbritanniens nach dem bevorstehenden Referendum am 23. Juni jetzt erneut Anlass, sich über das Worst-Case-Szenario Gedanken zu machen. Vor allem deshalb, weil es in der Brexit-Debatte nicht allein um rationale Argumente geht: Emotionale und politische Aspekte können ebenfalls eine bedeutende Rolle spielen. Infolgedessen haben die Argumente für einen Verbleib Großbritanniens in der EU nicht dieselbe Kraft. Die aktuelle Situation unterscheidet sich grundlegend vom britischen Referendum in 1975, als zwei Drittel der Wähler für einen Verbleib in der damaligen Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) stimmten. Es stimmt, dass 1974 in finanzieller Hinsicht ein katastrophales Jahr für Großbritannien war und die EU inzwischen an Attraktivität verloren hat. Harmonisierter Verbraucherpreisindex für Deutschland Der für europäische Zwecke berechnete Harmonisierte Verbraucherpreisindex (HVPI) für Deutschland blieb im Mai 2016 unverändert gegenüber Mai 2015. Im Vergleich zum Vormonat April 2016 stieg der Index im Mai 2016 um 0,4 Prozent. Die vorläufigen Ergebnisse für den HVPI vom 30. Mai 2016 wurden damit bestätigt.
Der Einfluss Großbritanniens in Europa und der übrigen Welt
Ein beliebtes Argument von Euroskeptikern wie den Vertretern der UKIP-Partei ist, dass die Souveränität Großbritanniens durch die Brüsseler „Diktatur” ausgehöhlt wird. Sieht man aber einmal von administrativen Mängeln in Brüssel ab, könnte die Souveränität Großbritanniens erheblichen Schaden nehmen, wenn das Land die EU verlässt. Man kann leicht die Nachteile der EU-Mitgliedschaft geißeln. Außerhalb der Gemeinschaft zu stehen, wäre aber ebenfalls höchst problematisch. Tatsächlich dürfte Großbritannien bei einem EU-Austritt kaum an Souveränität gewinnen. Die derzeitige Stellung des Landes – in der EU, aber außerhalb der Eurozone (und des Schengen- Abkommens) – gibt London erheblichen Einfluss in Brüssel und lässt bedeutenden Spielraum. Außerdem ist diese Stellung gerade erst gestärkt worden. Die besondere Beziehung Großbritanniens zu den USA ist schwächer geworden. Und was davon geblieben ist, begünstigt im Wesentlichen die Vereinigten Staaten. Für sie ist Großbritannien in zweifacher Hinsicht wichtig: als EU-Mitglied und weil ein Brexit Europa schaden würde. Die USA brauchen ein starkes Europa, und Washington hält es nicht für ratsam, in einer wieder sensitiven Region einen Schock auszulösen. Tatsächlich ist der Einfluss Großbritanniens in der Welt für viele Wähler kein maßgebliches Argument. Sie werden ihre Entscheidung eher von unmittelbar relevanten und lokalen Fragen wie der Wirtschaft oder dem Thema Zuwanderung abhängig machen.
Großbritannien ist ein Einwanderungsland
Umfragen zeigen, dass Einwanderung das einzige Thema ist, bei dem das Lager der Brexit-Befürworter Einfluss auf die Meinungsbildung nehmen kann. Seit 1999 verzeichnet Großbritannien eine jährliche Nettozuwanderung von über 100.000 Personen, und inzwischen sind es mehr als 300.000. Das hängt mit der Anziehungskraft und Dynamik der britischen Wirtschaft und des britischen Arbeitsmarktes zusammen. Zuwanderung wird von den Brexit-Befürwortern als zunehmende Belastung für öffentliche Dienste, das Gesundheitswesen und den Wohnungsmarkt kritisiert. Und mit diesem Thema kann man bei Bürgern punkten, die wenig von der Globalisierung profitieren und deren Leben durch sich rasch wandelnde geographische Gegebenheiten – vor allem in England – durcheinandergebracht wird. Wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass die Einwanderer mehrheitlich aus anderen EU-Ländern kommen und Freizügigkeit genießen. Wenn sich Großbritannien für einen Verbleib in der EU entscheidet, könnten die Zugeständnisse, die David Cameron beim Zugang neuer Zuwanderer zu Sozialleistungen errungen hat, den Trend ein Stück weit beeinflussen. Ein deutlicher Rückgang der Zuwandererzahlen ist aber deshalb unwahrscheinlich, weil die von Neuankömmlingen besetzten Arbeitsplätze breit auf alle Wirtschaftszweige verteilt sind. Falls Großbritannien aber die EU verlässt, wird diese zweifellos als Gegenleistung für die Beibehaltung bevorrechtigter Handelsbeziehungen auf dem Schutz von in Großbritannien lebenden EU-Bürgern bestehen und ein erhebliches Maß an Freizügigkeit sicherstellen.
Die Wirtschaftsbeziehungen zwischen Großbritannien und der EU
Seit dem Beitritt Großbritanniens im Jahr 1973 war die EU-Mitgliedschaft für die britische Wirtschaft sehr vorteilhaft. Dass das Land eine Arbeitslosenquote von nur 5 Prozent und eine der höchsten Wachstumsraten in Europa hat, verdankt es in hohem Maße seiner Zugehörigkeit zum größten Wirtschaftsraum der Welt. Die EU ist mehr als nur eine einfache Freihandelszone ohne Binnenzölle. Sie bietet wesentliche Vorteile, weil sie nicht tarifäre Handelshemmnisse wie Industrie- und Lebensmittelstandards abgeschafft hat und auf gemeinsamen Regeln für einen fairen Handel beruht. Abgesehen vom gemeinsamen Markt hat die von der EU betriebene Integration einen Multiplikatoreffekt, der über bloße Handelsvereinbarungen hinausgeht. Und auch Londons Finanzdistrikt hat erheblich davon profitiert, dass er nahe an der Eurozone liegt, aber nicht zu ihr gehört. Großbritanniens Entscheidung gegen einen Beitritt zur Eurozone hat die Entwicklung der Londoner City nicht aufgehalten: sie ist heute der führende Finanzplatz der Welt. Trotz der Schlagkraft der wirtschaftlichen Argumente gegen einen EU-Austritt ist ein Mehrheitsvotum dafür immer noch möglich.
Der Frage: welche Folgen der Brexit für Großbritannien hätte, geht Philippe Uzan, Chief Investment Officer bei Edmond de Rothschild Asset Management nach.
Siehe auch: Was auf dem Spiel steht - Teil 2/3 Siehe auch: Was auf dem Spiel steht - Teil 3/3 www.edmond-de-rothschild.com