Rohstoffsektor hat weiterhin strukturellen Rückenwind

23.05.2022

Dr. Manfred Schlumberger, Leiter Portfoliomanagement StarCapital / Foto: © StarCapital

Mai 2022. Ukraine-Krieg, hohe Inflation, Aktienkurse, die seitwärts oder gen Süden tendieren. Das laufende Jahr ist für Investoren alles andere als einfach. Wie sollte man sich nunmehr positionieren? Dr. Manfred Schlumberger, Leiter Portfoliomanagement bei StarCapital, liefert Antworten. 

finanzwelt: Inflation ist eines der zentralen Themen auf dem Kapitalmarkt. Warum ist das „Schreckgespenst“ wieder zurück? Dr. Manfred Schlumberger: Die Energie- und Rohstoffpreise bleiben auf hohem Niveau. Da der Welthandel durch Krieg, Sanktionen und unterbrochene Lieferketten gestört ist, ist nicht damit zu rechnen, dass die Inflation auf absehbare Zeit wieder zurückgeht. Der internationale Handel kann, anders als in den vergangenen Jahrzehnten nicht mehr preisdämpfend wirken.

finanzwelt: Sehen Sie Parallelen zu den 70er Jahren? Schlumberger: Seit dem Fall des Eisernen Vorhangs um das Jahr 1990 und vor allem seit dem Beitritt der Volksrepublik China zur Welthandelsorganisation (WTO) um die Jahrtausendwende war die Inflation tendenziell auf dem Rückzug.

Es gab Rezessionen, aber nie die Kombination von schwacher Konjunktur und starker Teuerung. Mit der Zeitenwende des Jahres 2022 ändert sich auch das: Ein Stagflationsszenario mit bescheidenem Wachstum und hoher Inflation wird immer wahrscheinlicher.

finanzwelt: Wie unterscheidet sich der Inflationsanstieg hierzulande von dem in den USA? Schlumberger: Da in den USA Vollbeschäftigung herrscht, kann die FED sich voll auf die Bekämpfung der hohen Inflation konzentrieren. Erst wenn die Konjunktur irgendwann zu sehr negativ getroffen wird, ist mit einer moderateren Gangart zu rechnen. Dies dürfte jedoch frühestens im nächsten Jahr zu erwarten sein.

finanzwelt: Wie werden die Notenbanken im weiteren Jahresverlauf reagieren, und was macht die EZB? Schlumberger: Die EZB kann die hohe Inflation in Europa nicht mehr länger leugnen und steuert auf eine erste Zinserhöhung im Sommer zu. Die steigenden Zinsdifferenzen gegenüber Italien und Spanien limitieren jedoch den Spielraum der EZB, deren primäres Ziel seit Mario Draghi nicht mehr die Inflationsbekämpfung, sondern der Erhalt der Eurozone ist.

finanzwelt: Wie ordnen Sie die Notenbankpolitik von Fed und EZB ein? Schlumberger: Die Fed hat signalisiert, dass die Wirtschaft stark genug ist, um Zinserhöhungen auszuhalten. Für dieses Jahr wurden vor Ausbruch des Kriegs mehrere Zinserhöhungen der Fed prognostiziert - bis zu fünf an der Zahl. Aber nichts wird so heiß gegessen wie gekocht wird. Bis zum Spätsommer wird es Erhöhungen geben, allerdings in kleinen Schritten, bei einer schwachen Konjunktur könnte man dies dann auch früher als geplant wieder beenden.

Die EZB geht vorsichtiger vor. Sie wird weniger und irgendwann gar keine Anleihen mehr kaufen. Das erfolgt in homöopathischen Dosen, ebenso wie eventuelle Zinsschritte. Vielleicht könnte heuer eine Erhöhung von einem Viertelprozentpunkt erfolgen – aber selbst das halte ich für unwahrscheinlich. Die Bilanz tatsächlich abzubauen, wäre für die EZB zu riskant, sie hat ja mehrere Aufgaben zu erfüllen, etwa die Stabilität der Euro-Zone sicherzustellen.

finanzwelt: Was bedeutet der Inflationsanstieg für den Aktienmarkt? Schlumberger: Der klassische wie der erneuerbare Energiesektor sind bereits gut gelaufen. Gewinne bei den fossilen Ölunternehmen lassen bei anhaltend niedriger Bewertung weitere Kursgewinne erwarten. Zudem sind sie ein «Hedge» gegen drohende Embargos. Der Rohstoffsektor hat weiterhin strukturellen Rückenwind wegen der hohen Nachfrage nach Metallen, die für die Wende zur Elektromobilität gebraucht werden. Gleichzeitig belastet jedoch die konjunkturelle Abschwächung vor allem in China den Sektor. Eine Übergewichtung ist hier nicht mehr angebracht.

Aktien von Agrar-, Nahrungsmittel- und natürlich Rüstungskonzernen werden weiter von der neuen geopolitischen Situation und der damit verbundenen Zeitenwende profitieren. Viele Versorger haben die Möglichkeit, steigende Energiepreise auf die Kunden zu überwälzen und stehen eher auf der Gewinnerseite.

Vorsicht ist weiter bei nicht oder wenig profitablen Technologieunternehmen angesagt. Auch die FAANGM-Aktien können die US-Börsen nicht mehr auf neue Höhen führen. Netflix, Facebook und Amazon sind schwer angeschlagen. Auch Apple, Alphabet und Microsoft kommen nicht mehr ungeschoren davon, können sich aber noch auf hohen Niveaus halten. (ah)