Mit vereinten Kräften

28.02.2022

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Die Ampelkoalition will pro Jahr 400.000 neue Wohnungen bauen – circa ein Viertel mehr als bisher. So soll mehr bezahlbarer Wohnraum entstehen. Nur wie kann das gelingen in Zeiten von Lieferengpässen und Fachkräftemangel? Tatsächlich gibt es Potenziale, die darauf warten, ausgeschöpft zu werden.

Letzterer ist auf deutschen Baustellen eklatant. Im September 2021 klagten im Hochbau 33,5 % der Unternehmen über Probleme bei der Suche nach Fachkräften. Im Tiefbau hatten damit sogar 37,9 % der Betriebe zu kämpfen. Das ergab eine Erhebung des Ifo-Instituts. Dies ist besonders ärgerlich, weil sich die Firmen vor Aufträgen kaum retten können. Doch ohne qualifiziertes Personal kein Bau. Als zusätzliche Bremse wirken explodierende Preise und Lieferengpässe bei Baustoffen. Vor allem Holz, Kunststoffe und Stahl sind betroffen. „Von Projektentwicklerseite hören wir in der Tat, dass Lieferengpässe und ein verringertes Fachkräftepotenzial derzeit eine entscheidende Rolle spielen beim rasanten Anstieg der Baukosten“, bestätigt Malte Thies, Geschäftsführer und Gesellschafter der One Group. „Beide Probleme können von der Politik jedoch allenfalls mittelfristig gelöst werden.“ Herr Thies hat aber auch eine positive Nachricht: Es gibt einen Bereich, der beträchtliches Baukosten-Einsparungspotenzial bietet und noch dazu in der Hand der Politik liegt. Die Rede ist vom Bürokratie-Brummer Baurecht! „16 verschiedene, sich teils widersprechende Landesbauordnungen und rund 20.000 einzelne Bauvorschriften führen zu langen Bearbeitungszeiten der Behörden, Unsicherheiten bei der Bauausführung, zu Bauverzögerungen und dadurch zu einer Erhöhung der Baukosten“, erläutert Thies.

Als Vorbild für Deutschland hat der Geschäftsführer der One Group die Niederlande identifiziert. Dort seien die Baukosten innerhalb von zehn Jahren um nur 6 % gestiegen. Ein Quadratmeter Wohnbau sei etwa 40 % günstiger als in Deutschland. Und warum? „In den Niederlanden bleibt es den Bauherren überlassen, wie sie Energie einsparen oder Wohnungen gegen Schall schützen, solange sie nur die vorgegebenen Richtwerte erreichen“, weiß Thies. Das heißt weniger Vorschriften, mehr Freiraum für Kreativität und Innovation. „Daher gibt es in den Niederlanden beispielsweise neue energiesparende Konzepte in der Fertigbauweise, die in Deutschland bisher noch kaum zum Einsatz kommen.“

Auch Michael Weniger, Vorstandsvorsitzender der PROJECT Real Estate AG, gibt dem Staat Hausaufgaben auf: mehr Tempo bei den Baugenehmigungen. „Zeitverzüge oder Umplanungen, die aufgrund langer Laufzeiten und Änderungen der Gesetzeslage entstehen, kosten Geld und belasten Wohnungsbau und Preise“, analysiert Weniger. „Wenn Bauherren ihre Grundstücke schnell und bestmöglich nutzen können, beispielsweise durch eine Erhöhung der Wohnfläche, wird das auch die Durchschnittskosten deutlich reduzieren.“ Der CEO der PROJECT Real Estate AG nimmt aber auch die Wirtschaft in die Pflicht: „Eine Baukostensenkung ist nur möglich, wenn Projektentwickler stringent ihre eigene Wirtschaftlichkeit verbessern und dabei ihre Projekte noch effizienter machen“, ist Weniger überzeugt. „Das fängt bei Standards an und geht über die Digitalisierung bis hin zur modularen Bauweise.“ Bei letztgenanntem sieht Thies sogar Potenzial für Kostenreduzierungen von bis zu 20 %. Es eigne sich grundsätzlich hervorragend für den Geschosswohnungsbau. „Allerdings besteht in Deutschland noch ein gewisses Akzeptanzproblem für die Fertigbauweise“, befürchtet Thies. „Mit steigendem Kostendruck werden wir absehbar jedoch mehr davon auf Projektseite sehen – und auch gerne finanzieren.“

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