Mehr Mut für eine Rentenreform

22.04.2024

Andreas Görler ist sen. Wealth Manager zert. Fachmann für nachhaltige Investments, -Wellinvest - Foto: © Pruschke & Kalm GmbH, Berlin


Wieder wurde eine mögliche Rentenreform verschoben, dabei nehmen die strukturellen Probleme zu. Im Prinzip gibt es drei Varianten, um vorhandene Versicherungssysteme stabil zu halten:

  • Erhöhung der regelmäßigen Beiträge
  • Senkung der Ablaufleistungen
  •    Verlängerung der Beitragszahlungsdauer

Bei der gesetzlichen Rentenversicherung muss der Staat ständig Kompromisse erstellen, die eine Mehrheit in der Bevölkerung finden oder anders gesagt: Eine Lösung, die die geringsten Abwehrreaktionen bei den Wählern hervorruft. Leider geht es dann selten um den größten gesellschaftlichen Nutzen. Eine Befragung der Bevölkerung durch das Institut der deutschen Wirtschaft ergab, dass die Befragten am ehesten einer Beitragserhöhung zustimmen würden. Die Reduktion der Ablaufleistungen erhielt die wenigsten Stimmen aber auch die Verlängerung der Lebensarbeitszeit ist unbeliebt. Am deutlichsten wurde „die Beitragserhöhung“ übrigens von der Gruppe der Rentenempfänger goutiert, die davon ja nicht betroffen sind. Die Meinung der jüngeren Generation, geht in diesem Zusammenhang eher unter, weil die Wahlbeteiligung in dieser Bevölkerungsgruppe niedrig ist und sich junge Menschen bereits damit abfinden, dass die Rente nicht auskömmlich ausfallen wird. Das bewirkt allerdings auch automatisch eine entsprechende Reaktion bei den jeweiligen politischen Entscheidungsträgern. Wenn eine Gruppe nicht viel erwartet und nicht zur Wahl geht, steht sie auch nicht im Fokus der politischen Führung.

Kapitalmarkt als Ergänzung

In Deutschland versucht man die gesetzliche Altersvorsorge durch staatlich geförderte Ergänzungen zu stärken. Neben vermögenswirksamen Leistungen, die seit 1984 auch in Investmentfonds investiert werden können, wurden 2001 bzw. 2005 die Riester- und die Rürup-Rente eingeführt. Nach anfänglich hohen Abschlussquoten, hauptsächlich aus dem Versicherungssegment, ist die Euphorie abgeklungen. Störend haben sich die Marktintransparenz und hohe Verwaltungs- und Abschlusskosten, die Produktkomplexität durch Förderverfahren, schlechte Beratung, eine hohe unterstellte Lebenserwartung, die Überschussverteilung und die Starrheit der Verträge aufgrund von Beitragsgarantie und einer lebenslangen Rentenzahlung ausgewirkt. Hinzu kommen geringe Finanzkenntnisse und fehlende Vorsorgeplanung bei den Verbrauchern. Obwohl der Bundeszuschuss zur Rentenversicherung mittlerweile bei über 100 Mrd. Euro liegt und 30% des Gesamthaushaltes ausmacht, debattiert man seit Jahren hierzulande darüber, ob ein kleiner Teil der gesetzlichen Altersvorsorge in Kapitalmarktanlagen investiert werden kann und kommt nicht wirklich voran.

Schwedische Prämienrente als Vorbild

Dabei wird der Blick auch nach Schweden gerichtet. Dort wurde die gesetzliche Alterssicherung im Jahr 1998 zu einem beitragsorientierten Mischsystem umgebaut, bestehend aus einer größeren umlagefinanzierten Komponente (Einkommensrente) und einem kleineren kapitalgedeckten Element (Prämienrente). 16 % des rentenbegründenden Einkommens fließen in die Umlagefinanzierung, weitere 2,5 % in die Kapitaldeckung. Der von den Arbeitnehmer:innen abzuführende Teil dieser Beiträge wird mit der individuellen Einkommensteuerschuld verrechnet. Additiv gibt es eine bedürftigkeitsgeprüfte Garantierente. Das schwedische Prämienrentensystem ist eine verpflichtende Teilkomponente des gesetzlichen Rentensystems. Die Investitionsentscheidung trifft hier grundsätzlich der Versicherte, der aus einem Pool von einigen hundert behördlich zugelassenen Fonds bis zu fünf Fonds auswählen kann. Trifft der Versicherte keine individuelle Anlageentscheidung, wird automatisch eine Investition der Beiträge in einen Standardfonds durchgeführt. Die Gewichtung von Aktien- und Rentenfonds wird dem Alter des Versicherten angepasst. Aufgrund der Skaleneffekte sind diese Fonds deutlich günstiger als deutsche aktive und passive Fonds. Zudem ist die schwedische Prämienrente obligatorischer Teil der ersten Säule. Wesentliche Glieder der Wertschöpfungskette freiwilliger Vorsorge fallen damit weg.

Deutsche Sachverständigenräte und eine Fokusgruppe private Altersvorsorge fordern, dass für breite Bevölkerungsgruppen eine Lebensstandardsicherung erfolgen muss. Empfohlen wird eine einfache, transparente und leichter erklärbare geförderte private Altersvorsorge. Hinsichtlich der Fördersystematik empfiehlt die Fokusgruppe besonders hohe Förderquoten für untere Einkommensgruppen, junge Menschen, Eltern von Kindern oder jungen Erwachsenen in Ausbildung durch besser nachvollziehbare Zulagenformen, eine vereinfachte Kinderzulage, einen Ausbau des Berufseinsteigerbonus sowie eine Anpassung des Höchstbetrages. Zu Rendite, Risiken und Garantien empfiehlt die Fokusgruppe, dass Garantieanforderungen entfallen bzw. reduziert werden. Insbesondere sind die integrierten Garantien, die sich in Deutschland einer hohen Relevanz erfreuen, ein erheblicher Störfaktor bei den Riester-Fondssparplänen. Die automatisierten Zwangsumschichtungen von Aktien- in Rentenfonds in Schwächephasen haben extreme negative Auswirkungen auf die Performance.

Staat sollte zumindest unterstützend wirken

Wichtig wäre es, wenn der Staat in Zeiten, in denen die gesetzliche Rente schwächelt, seine Bürger wenigstens ungestört in den Genuss des Zinseszinses kommen ließe. Leider wird die dritte, private Säule der Altersvorsorge eher gestört als gefördert. So passte der Bund den Freibetrag, innerhalb dessen sich Zinsen Dividenden und Kursgewinne steuerfrei realisieren lassen, wiederholt an. Aktuell liegt er mit 1.000 Euro bei einem Drittel seines ehemaligen Hochs aus dem Jahr 1993 (6.000 D-Mark bzw. 3.000 Euro) ohne Berücksichtigung des Kaufkraftverlustes des Geldes. Seit 2018 kommt bei Investmentfonds und börsengehandelten Indexfonds (ETFs) noch die sogenannte Vorabpauschale hinzu. Diese ist abhängig von einem einmal jährlich von der Deutschen Bundesbank festgelegten Zins. Während der Niedrigzinsphase kam die Pauschale erst einmal nicht zum Tragen. Für 2023 lag der Zins dann bei 2,55 %. Bei Verkauf von Fondsinvestments wird die bereits versteuerte Vorabpauschale zwar vom Veräußerungsgewinn abgezogen. Trotzdem entzieht die Pauschale zunächst Liquidität. Indirekt benachteiligt sind Ausschüttungen von Kapitalgesellschaften. Zum einen ist in Deutschland Fremdkapital steuerlich bevorzugt, weil die Zinskosten dafür absetzbar sind, Eigenkapitalkosten dagegen nicht. Das verleitet zur Thesaurierung von Gewinnen, um das Eigenkapital zu stärken. Zum anderen werden Ausschüttungen auf Unternehmensebene und auf Anlegerseite besteuert.

Eigeninitiative erforderlich

Wenn man nicht Jahre warten will bis belastbare, strukturelle Änderungen in das vorhandene Rentensystem integriert werden außerdem der Meinung ist, dass aus der gesetzlichen Rente nicht viel zu erwarten ist, sich Flexibilität wünscht, womöglich, trotz höherer Lebenserwartung, keine längere Lebensarbeitszeit möchte oder auch eher weniger Arbeitsstunden im Monat will, kommt nicht umhin privat vorzusorgen und ggfs. auf Konsum zu verzichten. Monatliche Fondssparpläne in aktiven und passiven Investmentfonds werden bei jeder Bank angeboten und sind eine sehr flexible Option.

Die Ausschüttungen sollten möglichst direkt wieder angelegt werden. Dem kontinuierlichen Vermögensaufbau gibt es in jedem Fall einen Schub. So kann sich der Zinseszinseffekt voll entfalten. Dazu dienen Zinsen auf Sparguthaben oder aus Anleihen ebenso wie Dividenden aus Aktienengagements oder Einnahmen aus anderen Finanzinvestitionen.

Insbesondere junge Menschen sollten zunächst von ihrem Wahlrecht Gebrauch machen, damit diese Wählergruppe an Relevanz gewinnt. Außerdem sollten junge Generationen nicht die Leistungserwartung an die gesetzliche Rentenversicherung pauschal „abschenken“. Trotzdem sollte man so früh wie möglich mit dem regelmäßigen Sparen beginnen. Dann sind Konsequenz und Disziplin gefragt. Jede Gehaltsverbesserung oder Ausgabenreduzierung sollte zumindest zu 50% zusätzlich in die Altersvorsorge fließen und zu einer Erhöhung der monatlichen Sparpläne verwendet werden.

Kolumne von Andreas Görler, zert. Fachmann für nachhaltige Investments, sen. Wealth Manager, -Wellinvest-Pruschke & Kalm GmbH, Berlin