Echter Mehrwert

31.10.2013

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In Berlin sind die Koalitionsverhandlungen zwischen CDU/CSU und SPD in vollem Gang. Dabei werden auch für dieWirtschafts- und Finanzpolitik in den kommenden vier Jahren die wesentlichen Pflöcke gesetzt. Für Interessenverbände jedweder Couleur ist dies die Zeit, in der es gilt, die Unverzichtbarkeit ihrer Anliegen für Deutschland zu unterstreichen.

Mal geschieht dies hinter den Kulissen, mal aber auch unter den Augen der breiten Öffentlichkeit. Der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft e.V. (GDV), unter Szenekennern als besonders erfolgreiche Lobbyvertretung gerühmt, ist vor wenigen Tagen den zweiten Weg gegangen. Veröffentlicht wurde eine von ihm beim Marktforschungsinstitut Prognos in Auftrag gegebene Studie. Diese kommt zu einem zweifelsfreien Schluss:

„Die deutsche Versicherungswissenschaft ist ein treibender Motor von Wirtschaftswachstum und Wohlstand hierzulande."

Das zeigt schon ein internationaler Vergleich: Weltweit nimmt die Branche eine Spitzenposition ein. Im Rückversicherungsgeschäft unangefochten die Nummer eins, liegt sie auch bei den Erstversicherungen auf dem sechsten Platz. Wohlgemerkt mit – global betrachtet – eher bescheidenen rund 80 Millionen Einwohnern. Auch national sind die Versicherungsunternehmen ein Schwergewicht. Eine halbe Million Bundesbürger verdient dort direkt Lohn und Brot. Weitere 800.000 Menschen ernährt sie indirekt zumindest mit. Etwa in Branchen, die den Versicherern Waren und Dienstleistungen liefern, oder über die Konsumausgaben der in der Versicherungswirtschaft Beschäftigten. Allein Letzteres sichert die Arbeitsplätze von 280.000 Bundesbürgern. Prognos verfügt über eigene Modelle, um dies zu berechnen. Und wurde vom GDV unter anderem auch deswegen für die Studie ausgewählt. Zu all diesen volkswirtschaftlichen Auswirkungen hinzu kommen noch weitere Beschäftigungseffekte in unbekanntem Ausmaß. Beispielsweise durch einen effizienteren Einsatz von Ressourcen wegen der besseren Bewältigung von Risiken.

Die Versicherungsbranche ist darüber hinaus einer von wenigen Wirtschaftszweigen, der von sich behaupten kann, mit seinen Leistungen gleich für die gesamte deutsche Volkswirtschaft von hoher Bedeutung zu sein.

Grundsätzlich ist die Versicherungsbranche vergleichbar mit dem Banken- oder dem Energiesektor. Mit der Übernahme versicherbarer Risiken unterstützt sie nicht nur wirtschaftliches Handeln und das Zustandekommen von Innovationen. Vielfach macht sie beides erst möglich. Am Ende des Tages sind Risiken letztlich nichts anderes als versteckte Kosten, so Prognos. Dies dürfte ganz besonders für den Bereich Industrieversicherung gelten. Ein Unternehmen beschreibt ein Risiko und ein Versicherer nennt seinen Preis, mit dem er dieses decken würde. Ohne Police würde dieses Unternehmen bei einem Schaden möglicherweise enorme Kosten bewältigen müssen. Den oft hohen Versicherungsbeitrag kann es aber durch ein eigenes oder vom Versicherer auf den Weg gebrachtes Risk-Management meist deutlich senken. Und damit effizienter handeln. Gerade ein solches Zusammenspiel verdeutlicht den Wert der Versicherungswirtschaft alleine in diesem Bereich. Davon profitieren Unternehmen, aber auch die Politik – etwa bei großen infrastrukturellen Vorhaben. Beide können auf dieser Grundlage fundierte Entscheidungen treffen, Kosten vermeiden und Ressourcen zielgerichteter einsetzen.

Auch in der öffentlichen Wahrnehmung kommt den Versicherern eine ganz besondere Rolle zu. Und zwar in einemganz speziellen Zusammenhang. Die Klimapolitik soll nach dem Bekunden aller künftigen Koalitionspartner in Berlinwieder eine hervorgehobene Rolle einnehmen. Zuletzt war dieses Thema angesichts der Schuldenkrise in Europa arg in den Hintergrund gedrängt worden. Der GDV verfügt über umfangreiche Systeme zur Risikoinformation, beispielsweise zu Naturkatastrophen. Man denke nur an ZÜRS Geo, das Zonierungsyystem für Überschwemmungsrisiken und die Einschätzung von Umweltrisiken. Oder auch an ZÜRS public.de, mit dem Hausbesitzer erfahren können, wie groß das Hochwasserrisiko bei ihnen persönlich ist. So kommt der Versicherungswirtschaft, zu deren Kernkompetenzen das Erkennen von Risiken gehört, eine wichtige Rolle als Risikokommunikator für die gesellschaftliche Meinungsbildung zu. Man denke nur an die Diskussion über den Klimawandel.

Beeindruckend sind die Prognos-Berechnungen für den Wirtschaftsstandort Deutschland. Danach sorgen die Versicherer für ein Achtel des gesamten Wirtschaftswachstums. Allein in den Jahren 1995 bis 2008 trugen sie hierzu mit 67 Milliarden Euro bei. Pro Jahr ließ dies das Wachstum von 1,3 auf 1,5 % steigen. Umgerechnet führt jeder mehr eingenommene Versicherungs-Euro zu einer Erhöhung des Bruttoinlandsprodukts um 1,30 Euro. In der Gesamtwirtschaft steht ein zusätzlich verbuchter Euro für einen Anstieg des BIP von nur 24 Cent. Berechnet hat Prognos dies mit einem ökonometrischen Modell. Damit wird anhand einer breiten Datenbasis und somit stabiler Ergebnisse die potenzielle Wirtschaftsentwicklung beleuchtet. Und zwar unter der Annahme, in der Versicherungsbranche hätte es kein Wachstum gegeben. Die Differenz zur tatsächlichen Entwicklung verdeutlicht dann die Bedeutung der Versicherungsbranche. Das Ergebnis kann quasi als Botschaft an die Politik verstanden werden: Geht es den Versicherern gut, kann sich Deutschland freuen. Unabdingbar hierfür seien, so die Studie, berechenbare rechtliche Rahmenbedingungen, etwa im Aufsichtssystem. Doch nicht nur die Binnenwirtschaft profitiert von der Versicherungsbranche, das gilt nicht minder auch für die Außenwirtschaft. Als eines der drei weltweit exportstärksten Länder bedarf Deutschland ganz besonders der Absicherung von Handelsrisiken. Man denke nur an die Bereiche Transport und Kredit. Nur mit effizientem Versicherungsschutz können sich hiesige Unternehmen international stark engagieren.

Doch damit allein ist es nicht getan. Vielmehr müsste auch das Ende von Versicherbarkeit verstanden werden. Beim privaten Versicherungsschutz würden bestimmte Risiken von sich aus Grenzen setzen. Beispielsweise Cyberrisiken machten moderne Volkswirtschaften immer verletzlicher. Betriebsabläufe könnten durch Schadstoffsoftware oder gezielte Hackerangriffe erheblich gestört, Industrie ausspioniert und Urheberrechte verletzt werden. Diese Risiken seien schwer kalkulierbar und zeigten deshalb sehr deutlich, wann selbst Versicherer an ihre Grenzen stießen. Dies stelle auch die Branche selbst vor neue Herausforderungen. Grundsätzlich erforderlich seien sicher ein erweiterter Versicherungsschutz, neue Gesetze und Auflagen sowie umfangreiche Schadenverhütungsmaßnahmen. Und noch mehr als bisher schon innovative Versicherungsmodelle. So die Analysten von Prognos.

Fazit. Es wurde höchste Zeit, dass der tatsächliche Stellenwert der deutschen Versicherer ins richtige Licht gerückt wird. Sie sind nicht die bösen Buben, vielmehr tragen sie maßgeblich zum wirtschaftlichen Erfolg des Landes bei. Und auch seiner Bürger.

(Dr. Hermann Schmidt-Dieburg)

Die Bedeutung der Versicherungswelt für die Wirtschaft - Online-Ausgabe 04/2013