Häufung terroristischer Anschläge in Frankreich

14.07.2016

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Erste Schlussfolgerungen nach dem Anschlag in Nizza von Michael Ortmann, Terrorismusexperte bei n-tv: "Frankreich hat eine lange Zeit viel verkehrt gemacht."

"Es gibt einige Dinge, die nicht so ganz ins klassische Konzept eines Islamisten passen. Beispielsweise sollen sich im Fahrzeug Waffenattrappen befunden haben. Das erschließt sich mir im Moment noch gar nicht und ist sehr schwer einzuordnen. Auf der anderen Seite spricht tatsächlich einiges für einen möglicherweise islamistischen Hintergrund. Das ist zum einen dieser doch sehr gewichtige Tag, ein symbolischer Tag, an dem man – das wäre der zweite Aspekt – ein wirklich menschenverachtendes, wahlloses Blutbad anrichtet." "Was auch etwas auffallend ist: Mit 31 Jahren ist er schon etwas älter; die meisten Attentäter sind deutlich jünger. Also es gibt noch ein paar Fragezeichen, aber es gibt eben auch ein paar Hinweise, die es tatsächlich wahrscheinlicher machen, dass es sich hier um einen islamisch motivierten Anschlag handelt."

Zur Wahrscheinlichkeit einer Gruppentat oder eines Einzeltäters:

"Ein bisschen drängt sich auf, dass es sich eher um eine kleinere Gruppierung handelt. Denn es ist ja schon ein logistischer Aufwand, der betrieben wurde. Der ist jetzt nicht ungeheuer groß, aber es müssen Waffen organisiert werden. Einen Lkw zu organisieren ist ja relativ einfach. Aber man muss ja den Bereich auskundschaften. Man muss wissen: Wie sieht das am Abend aus? Werden dort beispielsweise Straßensperren sein, die ich mit einem Lkw nicht umfahren kann? Wie viel Polizei wird vor Ort sein? Wie weit werde ich kommen? Also es gibt so ein bisschen logistischen Aufwand und Beobachtungsaufwand, den man betreiben muss und in der Regel ist es so: nur in den seltensten Fällen landen wir immer nur bei einer absolut einzelnen Person. Oftmals gibt es immer noch den Freund und einen Bekannten, der ein bisschen wusste und eine weitere Person, die etwas mitgeholfen hat. Im Moment würde ich sage, es ist eher eine kleinere Gruppe."

Zur Terrorlage in Frankreich:

"Frankreich hat eine lange Zeit viel verkehrt gemacht. Man hat es zugelassen, dass in den Randbezirken der Großstädte Gettos entstehen, in denen eigene Gesetze gelten, in denen es ein Meer an Kriminalität gibt, in denen Gangs das Sagen haben, in denen Hassprediger zugegen sind, in denen es sehr radikale Strukturen und radikale Moscheen gibt. Man hat zu gelassen, dass in den Gefängnissen so eine Zwei-Klassen-Gesellschaft etabliert wurde. Muslime stehen dort ganz weit unten und werden teilweise zusammengepfercht. Also, man hat sehr viel verkehrt gemacht und jetzt so langsam entdeckt man erst, dass man vielleicht doch im Bereich der Prävention viel mehr machen muss. Aber das ist natürlich etwas, was erst langfristig greift." "Jetzt im Moment setzt man eher auf die quasi rechtsstaatliche Bekämpfung des Terrorismus und da hat man schon genug zu tun. Man weiß, in Frankreich gibt es 5000 Gefährder. Davon sind 2000 etwa in islamistischen Netzwerken organisiert. Wir haben über 2000 Ausreisen in die Kriegsgebiete. Wir haben viele Menschen, die in den Kriegsgebieten, knapp 700, an Waffen ausgebildet wurden und wir haben viele, die eben jetzt schon wieder hier sind. Aus dieser ganzen Gemengelage entsteht ein sehr explosives Bild in Frankreich."

Michael Ortmann, Terrorismusexperte, am 15. Juli 2016 bei n-tv zum Anschlag in Nizza