Zins(w)ende?

05.08.2019

Rolf Ehlhardt, Vermögensverwalter, I.C.M. Independent Capital Management Vermögensberatung Mannheim GmbH

Zunächst sollte man sich einmal in Erinnerung rufen, was der Zins eigentlich darstellen sollte. Erstens sollte der Anleger für das Risiko, das er eingeht, einen attraktiven Ertrag erhalten. Zweitens (als der Zinsmarkt noch nicht durch die Notenbanken manipuliert wurde) bildete sich an der Börse eine Rendite, an der man ersehen konnte, wie hoch der Markt das Emittenten-Risiko einschätzt. Diesen Seismograph haben die Notenbaken außer Kraft gesetzt.

Ansonsten wäre es unmöglich, dass das im Prinzip insolvente und mit der aktuellen Politik nicht überlebensfähige Italien, bereits im zweijährigen Bereich noch Geld erhält, wenn jemand seine Schulden kauft (Minusrendite). Bei den Bundesanleihen weisen schon 85 Prozent der Zinspapiere eine negative Rendite aus. Großanleger spekulieren mit bis zu 100-jährigen Laufzeiten auf noch höhere Minuszinsen. Reine Kursspekulation als Renditeersatz. Kein Wunder, wenn Feri vor einer Bondblase warnt. So wurde das Zeitalter vom “ Zinsende“  eingeläutet. Im Gegenteil: Der Sparer muss in den kommenden Jahren sogar mit Strafzinsen rechnen. Wie die Anleger dann reagieren, darüber kann nur spekuliert werden.

Welchen Sinn will man uns mit diesem Unsinn einreden? Die Politik glaubt, wenn der Anleger keine Zinsen mehr erhält oder das Halten von Kapital sogar Geld kostet, wird er seine Rücklagen konsumieren. Wer keins hat, wird mit Hilfe von billigen Krediten sich seine Wünsche erfüllen. So will man die Wirtschaft am Laufen halten. Nach ca. zehn Jahren Aufschwung, getragen auch vom Konsum, ist irgendwann das Geld alle bzw. der Konsument hat alles oder er bekommt von seiner Bank kein Geld mehr, denn die will die Kreditraten ja vom Gehaltskonto abbuchen.

Die Verantwortlichen behaupten offiziell weiter, dass der fortwährende Konsum die Inflationsrate auf oder über zwei Prozent treiben wird. Hat er auch. Die Lebenshaltungskosten dürften sogar in Richtung sechs Prozent p.a. gestiegen sein. So etwa Mieten, Nahrungsmittel oder Benzin und Strom. Aber die Inflationsrate muss insgeheim deutlich unter zwei bleiben, da sonst immer mehr Anleger die Null-Verzinsung nicht mehr brav akzeptieren würden. Die statistischen Bundesämter dieser Welt „tun alles“, um das Ziel zu erreichen.

Die Überlegung hat aber einen Haken: Es könnte auch das Gegenteil eintreten. Denn auch die Produzenten haben ihre Kapazitäten mittels billiger Kredite ausgeweitet. Wenn jetzt, vielleicht aus Sättigungsgründen, mehr Waren zusätzlich produziert, wie zusätzlich konsumiert werden, entsteht sogar ein Preisdruck, der den Eindruck der Deflation entstehen lässt. Die Wirtschaftsampeln flackern „gelb“. Die Politik will uns einreden, sie springen wieder auf „grün“. Die Fakten sprechen eine andere Sprache.

In der Welt bekämpfen sich die beiden größten Wirtschaftsmächte, im Nahen Osten zündeln USA und Iran an der Lunte und beim Exportweltmeister verdunkeln sich die Lichter. Kein Wunder: Die „Weltretter“ bekämpfen mit Erfolg, teilweise mit halbwahren Statistiken die Autoindustrie, die immerhin über 20 Prozent des BIP erarbeitet. Die Fahrradindustrie noch nicht einmal ein Prozent. Geschäfte werden noch immer mit dem Auto oder dem Flieger gemacht, nicht mit dem Fahrrad.

Wenn VW, Ford, Thyssen, BASF, Bayer oder die Deutsche Bank Stellen abbauen, wird niemand investieren, weil die Kapazitäten aufgrund der Entwicklung dann zu groß sind. Mit allen negativen Folgen für die Zulieferer. Die monatlichen Auftragseingänge liegen zum 8. Mal in Folge im Minus (im Mai minus 8,6 Proeznt). Nachtigall… Ein weiterer Haken hängt als Damoklesschwert über Klein- und Großanleger: Für den „Kleinen“ erhöht sich die Gefahr der Altersarmut bzw. es wird für ihn schwerer vorzusorgen. Den deutschen Sparern sind schon ca. 700 Milliarden an Zinsen verloren gegangen. Die Zahl wächst weiter. Irgendwann muss der Lebensstandard reduziert werden. Die „Großen“ wie Lebensversicherungen, Stiftungen oder Pensionskassen können ihre eigentlichen Aufgaben nicht mehr erfüllen. Auch dies bedeutet in vielen Fällen die Erhöhung der Gefahr von Altersarmut. Noch glaubt sich der Bürger finanziell gesichert.

Wie reagieren die Börsen? Die Aktienkurse steigen weiter, obwohl die Wirtschaft schwächelt. Die Edelmetallpreise explodieren. Auch die Immobilienpreise mit samt den Mieten verteuern sich ebenfalls. Der Tanz auf dem Rasiermesser kommt zum Höhepunkt: Am Ende läutet der Kapitalmarkt die Zinswende ein. Es ist niemand mehr bereit, die Schuldenberge zu null Zins zu finanzieren. Die Zinsen steigen gegen den Willen von Politik und Notenbanken. Jetzt könnten die Volkswirte Friedrich und Weik mit ihrem Buch aus dem Jahr 2014 Recht bekommen: „Der Crash ist die Lösung“.

Inwieweit die Situation noch zu meistern wäre, wenn die Politik wieder in (volkswirtschaftlich) vernünftige Bahnen gelenkt würde, ist sicherlich schwierig einzuschätzen. Aber „weiter so“ macht den Umkehrschwung noch schwieriger bzw. erhöht die Fallhöhe. Die Politik und Notenbanken jedenfalls scheuen das Risiko vom „Ende mit Schrecken“. Deswegen soll von der Leyen EU-Chefin werden und Lagarde wird oberste EZBler. Letztere hat ja auch in Vergangenheit als Nichtökonomin die Politik Draghis gelobt, während der Top-Ökonom und Bundesbankchef Jens Weidmann diese Politik eher kritisch gesehen hat.

Einer „geplanten“ Verteuerung der Zinsen steht auch entgegen, dass alle Wirtschaftsregionen eine schwache Währung wollen. Das geht nun mal de facto nicht. Es wird also keine Gewinner der Nullzinspolitik geben: Im Umkehrschluss: Es gibt nur Verlierer. Die beste Basis ein Krisenszenario einigermaßen zu überstehen, hat wohl der Anleger, der seine eigengenutzte Immobilie schuldenfrei gestellt hat, Qualitätsaktien im Depot hält und einen Anteil (meine Vorstellung: 20 Prozent) in Edelmetallen besitzt. Und vor allem: Keine Schuldenpapiere, denn hier drohen Totalverluste.

von Rolf Ehlhardt, Vermögensverwalter, I.C.M. Independent Capital Management Vermögensberatung Mannheim GmbH