Wir brauchen keine DIN-Norm für die Finanzberatung

08.08.2018

Hermann Hübner, Vorstandsvorsitzender VEMA eG / Foto: © VEMA

Manchmal belächelt uns die Welt und auch wir selbst uns ein wenig für unsere Normen. Dabei sind Normen grundsätzlich eine sehr gute Sache, mit der bestimmte Dinge wie auch Prozesse und Abläufe in feste Formen geprägt werden. Damit ist sichergestellt, dass bestimmte Qualitätsstandards eingehalten werden und alles mit eben dieser manchmal belächelten „deutschen Gründlichkeit“ ablaufen kann.

Für den Sinn der Einführung einer Norm müssen zwei Grundvoraussetzungen erfüllt werden: Sie muss dazu beitragen, dass auf breiter Front Änderungen möglich sind und damit jemandem ein Vorteil realisiert wird. Beides sehe ich beim Entwurf der DIN 77230 zur Beratung von Privatkunden nicht gegeben. Beim Lesen des Entwurfs hatte ich vielmehr den Eindruck, eine Ansammlung verschiedener Branchenstandards vor Augen geführt zu bekommen, wie sie bereits seit Jahrzehnten Selbstverständlichkeit sind und seit vielen Jahren im Rahmen der Kaufmannsund in der Fachmannsausbildung vermittelt werden. Dieser „rote Faden“ der Beratung ist primärer Gegenstand der mündlichen Prüfungen – wo also sollte die Verbesserung durch die Norm liegen? Doch werfen wir zunächst einen Blick in den Entwurf.

Wird von veralteten Voraussetzungen ausgegangen?

Der Normentwurf beginnt mit seiner Einleitung, in der von einer Fülle von Vermögensschäden berichtet wurde, die Anfang der 2000er-Jahre bei Privathaushalten angefallen wären. Da seien für Kunden ungeeignete Produkte vermittelt worden, Berater mangelhaft ausgebildet gewesen und wesentliche Probleme wie etwa das Risiko der Langlebigkeit nicht hinreichend berücksichtigt worden.

Erinnert man sich zurück, weiß man, dass hier der Schwarze Peter eher in die Ecke der Bank- und Anlageberater zu suchen ist. Stichworte gefällig: Lehmann Brothers, Beteiligungen… Die Beschwerdequote über Versicherungsvermittler beim Ombudsmann liegt seit Jahren auf einem durchgehend sehr niedrigen Niveau. Keine 400 Beschwerden bei 40 Mio. Versicherungsverträgen in Deutschland sprechen eine mehr als deutliche Sprache. Aus Sicht der Kunden, also denen, die geschädigt sein sollen, besteht ein extrem hohes Maß an Zufriedenheit.

Die angesprochene mangelnde Ausbildung wurde durch die Erbringung eines Sachkundenachweises zur Erfüllung der Zulassungsvoraussetzungen für Versicherungsvermittler aller Couleur, Kreditvermittler und Finanzanlagevermittler, inzwischen ausgemerzt. Inzwischen darf niemand mehr in einem Bereich tätig werden, in dem er keine Fachausbildung genossen hat. Diese Fachausbildungen wiederum beinhalten alle in der Norm vorgesehenen Herangehensweisen. Vielleicht merken Sie an dieser Stelle ganz gut, dass an dieser Norm bereits seit ein paar Jahren gearbeitet wird und die Welt sich weitergedreht hat.

Dann hat es eine Norm an sich, dass sie natürlich mit bestimmten Richtwerten arbeiten muss. Eine Bedarfsanalyse zur Altersvorsorge und Arbeitskraftabsicherung ist uns allen bereits bestens bekannt. Eine Vielzahl an Programmen und Tools sind heutzutage ein fester Bestandteil des Beratungsprozesses bei den Kollegen. Was der Kunde letztlich macht, spielt sich zwischen seiner Versorgungslücke und den Möglichkeiten seines Geldbeutels ab. Hier schafft die Norm keine Vorteile.

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