„Weltmacht wider Willen?“

07.02.2013

Wohin steuert die US-amerikanische Volkswirtschaft? Geht es langfristig wieder bergauf oder droht ein Rückfall in die Rezession? finanzwelt sprach hierzu und den Marktaussichten mit Christophe Foliot von Edmond de Rothschild AM (EdRAM).

finanzwelt: Die Erholung auf dem US-Arbeitsmarkt verläuft langsam. Die Wirtschaft hat im April nur 115 000 neue Stellen geschaffen. Ist der Motor dauerhaft am Stottern oder gewinnt die Ökonomie an Fahrt?

Foliot: Mit einem BIP-Anstieg von 2,1 Prozent im ersten Quartal 2012 setzt die US-Wirtschaft ihren moderaten Wachstumskurs fort. Die Erholung des US-Arbeitsmarktes verläuft zwar langsam aber stetig. 2011 wurden 2,1 Millionen neue Jobs im Privatsektor kreiert - eine Steigerung von 70 Prozent gegenüber 2010. Allein im ersten Quartal dieses Jahres wurden mehr als 0,8 Millionen Arbeitsplätze geschaffen. Gleichzeitig verringert sich der Stellenabbau signifikant. Die wichtigsten Arbeitsmarktindikatoren sprechen eindeutig für eine weitere Verbesserung, wenn auch in kleinen Schritten. Wesentlicher Treiber ist die Renaissance des produzierenden Gewerbes in den USA. Aber auch der Gesundheits- und Dienstleistungssektor sowie Transport & Handel tragen zur Erholung bei. 2012 rechnen wir mit steigenden Investitionsausgaben und Darlehensvergaben, was das US-Wirtschaftswachstum weiter unterstützen dürfte. Der US-Immobilienmarkt dagegen ist nach wie vor zerbrechlich wie Glas; Überangebot setzt die Preise weiter unter Druck. Eine Vielzahl von Indikatoren zeigt aber auch hier Stabilisierungstendenzen. So verzeichnete der Wohnimmobiliensektor in den vergangenen Monaten einen starken Anstieg, dank steigender Mieten und wachsendem Interesse der Investoren. Dennoch wird der Immobilienmarkt unseres Erachtens in diesem Jahr noch keinen wesentlichen Beitrag zum US-BIP leisten. Für künftiges US-Wachstum kommt dem Sektor aber eine Schlüsselrolle zu. Während auch das Finanzsystem bereits zur Normalität zurückgekehrt ist, bleibt das US-Defizit die Quelle der Bedenken. 2013 wird sehr schwierig für den künftigen Präsidenten: Das Defizit zu reduzieren, wird nicht nur sehr kompliziert, sondern auch Wachstum bedrohen. Dennoch waren die US-Unternehmen noch nie in so guter Verfassung wie jetzt. Die Berichtssaison für das erste Quartal verlief ausgesprochen gut, 80 Prozent der Unternehmen meldeten positive Gewinnüberraschungen. Auch der Umsatz vieler US-Gesellschaften übertraf die Erwartungen trotz Sorgen um die Nachfrageentwicklung in Europa und China deutlich. Damit bietet der US-Aktienmarkt zurzeit das ideale Umfeld für aktive Stock Picker.

finanzwelt: Sie legen bei ihren Investitionsentscheidungen einen Fokus auf unterbewertete Aktien - wo sehen Sie aktuell aussichtsreiche Titel und wie stufen Sie derzeit US-Finanztitel ein (ca. 1/5 des Portfolios)

Foliot: Wir investieren in aussichtsreiche US-Large Caps, die im Vergleich zum Markt unterbewertet sind (relative value), und Unternehmen, die ein starkes Turnaround-Potenzial bieten (deep value). Circa 70 Prozent der Unternehmen im EdR US Value & Yield werden mit einem Discount zum Markt bzw. Sektor gehandelt und 30 Prozent des Portfolios sind potenzielle Turnaround-Werte. Aktuell sehen wir eine extreme Diskrepanz bei den Bewertungen zwischen sogenannten "Fantasie-Aktien" wie Facebook und tatsächlich guten Unternehmensaktien. Als Aktionär darf man nie vergessen, dass es einen Unterschied zwischen großartigen Unternehmen und großartigen Aktien gibt. Drei Segmente halten wir derzeit für absolut überteuert: Social Networks, Cloud Computing und Tablet-PCs. Demgegenüber notieren die klassischen Retail-Unternehmen trotz der jüngsten Aktienmarkterholung noch historisch niedrig und bieten eine sehr solide Geschäftsentwicklung. Die Auftragsbücher vieler Industrieunternehmen sind gefüllt, Pläne zum Ausbau der Kapazitäten schreiten voran. Für uns am attraktivsten sind der Gesundheitssektor, Industrie- und Technologiewerte, der Energiesektor und Finanztitel. Letztere bieten sehr diversifizierte Geschäftsmodelle bei gleichzeitig hoher Kapitalisierung. Das macht Finanzdienstleister wie JP Morgan und Citigroup für uns aktuell sehr interessant.

finanzwelt: Im vergangenen Jahr hatte Ihr Fonds gegenüber der Benchmark das Nachsehen. Werden Sie, nach jetzigem Stand, 2012 den Spieß umdrehen und outperformen?

Foliot: 2011 war kein Value-Markt. Die Reaktorkatastrophe in Fukushima, aufkeimende Rezessionsängste und die Staatsschuldenkrise in Europa und den USA haben viele Investoren verunsichert und teilweise kurzfristige und hohe Kursbewegungen ausgelöst. Die fundamentalen Daten der Unternehmen waren dabei nicht mehr wichtig. Value-Werte haben in diesem Umfeld besonders gelitten. Zum Glück haben emotional verursachte Kursbewegungen den Vorteil, dass sie von kurzer Dauer sind. Die Zeit arbeitet für die Eigentümer guter Unternehmen. Für aktive Stock Picker war das vergangene Jahr gleichzeitig ein idealer Käufermarkt. Etliche fundamental gute Unternehmen wurden mit enormem Abschlag gehandelt. Über kurz oder lang setzen sich aber immer die Fundamentaldaten durch und erlauben die Erzielung von langfristigen Überrenditen. Wir haben unseren wertorientierten Anlagestil natürlich auch im vergangenen Jahr beibehalten und gehen davon aus, dass die Märkte in diesem Jahr bei anhaltender wirtschaftlicher Erholung wieder zu fairen Bewertungen zurückkehren. Mit einer Outperformance von 1,5 Prozent zum S&P 500 Composite (in EUR) seit Jahresbeginn, spiegelt sich dies auch im Fonds wieder.

Das Interview führte Alexander Heftrich