Virtual Selling: Wie Finanzprofis online Abschlüsse erzielen

12.08.2022

Uwe Göthert, Geschäftsführer Dale Carnegie / Foto: © Dale Carnegie

Es geht um Vertrauen, Energie und die richtige Körperhaltung

Über die Bedeutung digitalen Vertriebs lässt sich kaum streiten. Besonders seit der Pandemie ist der Bedarf an virtuellem Verkaufs-Know-how in die Höhe geschnellt. Wo die einen Finanzprofis in digitalen Gewässern bereits Top-Deals erzielen, bleiben andere zögernd auf analogem Land. Wer jedoch langfristig Erfolg haben will, muss surfen lernen. Uwe Göthert weiß, wie Finanzprofis das digitale Setting am besten nutzen.

Nicht erst die Zukunft, sondern bereits die Gegenwart des Beratens und Verkaufens liegt im Internet. Alle sprechen von Remote, Digital, Hybrid oder Virtual Selling. Die meisten ahnen, wie professionelle dezentrale Vertriebsprozesse und Verkaufsgespräche im Web aussehen können. Trotzdem fühlen sich viele Finanzkräfte im digitalen Terrain nicht so trittfest wie auf analogen Pfaden. Virtual Selling umfasst zum Beispiel die Akquise übers Internet, die Beratung per Videocall, aber auch Service per E-Mail oder Webinar. Nicht wenige Dienstleister gewinnen ihre Neukontakte ausschließlich über Marketing im Netz. Hat ein strategisch aufgesetzter Banner oder gesponserter Post die Wunschzielgruppe neugierig gemacht, landen Interessent:innen direkt auf der Firmenwebseite oder im eigenen Onlinekalender.

Digital Sales Manager:innen können Gespräche auch über LinkedIn-Gruppen oder andere Netz-Communitys anbahnen. Sind Finanzprofis regelmäßig in einem Umfeld aus interessierter, potenzieller Neukundschaft unterwegs, können sie dort Expertise zeigen. Sie posten für User relevante News, Tipps oder Informationen – ohne Werbung oder Verkaufsargumente. An dieser Stelle geht es um aktive Präsenz und selbstloses Engagement. So werden Berater:innen zu glaubwürdigen Quellen von Mehrwert. Im zweiten Schritt können sie individuelle Nachrichten verschicken wie: „Mir ist aufgefallen, dass Sie diesen Aspekt in Ihrem Kommentar erwähnt haben. Ist das etwas, bei dem ich Sie unterstützen kann?“

Pull statt Push: Kaufen lassen

Bei Beratungsgesprächen bieten moderne Fachkräfte neben realen Treffen virtuelle Alternative an – das entspricht dem Zeitgeist, den Kundenansprüchen und stärkt das Vertrauen in die Professionalität. Wer remote Gespräche zu Erfolg führen will, hat stets zwei Aspekte im Blick: Einerseits funktioniert Verkauf über Videocalls ähnlich wie im realen Leben. Menschen kaufen gern, aber sie lassen sich ungern etwas andrehen. Immer geht es um die freie, aktive, selbstbestimmte und überzeugte Entscheidung. Zusagen aus Druck, Stress, Scham oder Hilflosigkeit sind fauler Zauber. Seriöse Anbieter wissen längst, dass sie besser nichts „verkaufen“. Vielmehr schaffen Erfahrene einen Kontext, in dem das Gegenüber entscheidet. Pull statt Push, heißt die Devise.

Andererseits stellt Virtual Selling Präsenzerfahrene vor neue Herausforderungen. Vermittler:innen und Co. fehlt ein Großteil an Mimik, Gestik, Haptik der Interessent:innen. Auch die Raumatmosphäre, der Handschlag zur Begrüßung, der Kaffee zum Warmwerden und die volle Aufmerksamkeit aufs Gespräch fallen als soziale Schmiermittel weg. Kurzum: Die Kommunikationskanäle sind eingeschränkt, Sender und Empfänger verbindet weniger. Bildschirm, Lautsprecher oder eine wackelige Internetverbindung schlucken viele Kontaktsignale.

Menschen sitzen sich am Bildschirm frontal gegenüber, schauen in die Kamera oder aneinander vorbei, fallen sich durch die verzögerte Übertragung ungewollt ins Wort, das Gespräch fließt einfach anders. Auch die Aufmerksamkeit verändert sich. Aktives Zuhören fällt online schwerer, Ablenkungen sind groß. Zum einen sitzen die Beteiligten in verschiedenen Umgebungen – unterschiedliche Temperaturen, variierende Geräuschkulissen, andere Raum- und Technikausstattung. Auch macht es einen Unterschied, ob jemand seine Wohnung aufräumen muss, eine Anreise in Kauf nimmt oder erst drei Minuten vor dem Call Hemd oder Bluse überzieht und den Namen des Besuchs googelt. Manchmal können Unsichere sich zudem einfach nicht zu einer Investition durchringen, wenn sie den Verkäufer oder die Beraterin nur per Webcam kennen.

Glaubwürdigkeit, Vertrauen, Energie

Die Zauberworte in digitalen Sphären heißen mehr denn je: Glaubwürdigkeit, Vertrauen und Energie. Wer einen guten Eindruck hinterlassen will, muss sich topvorbereiten – und seine Zielgruppe in- und auswendig kennen. Was sind deren Wünsche und Ziele? Wovon träumen sie? Was lässt sie nicht schlafen? Wollen diese Charaktere ihr Kapital mehren oder schützen? Haben sie Lust auf Gewinn oder Angst vor Verlust? So mancher Interessent zögert, sich per Videocall zu öffnen. Profis beweisen hier Kompetenz und Empathie. Kund:innen sollen sich verstanden fühlen – auch wenn der Experte nicht leibhaftig vor ihnen sitzt.

Im zweiten Schritt geht es darum, Lösungen hochzuhalten, die Frust mildern oder auf Wünsche einzahlen. Am besten präsentieren Finanzprofis Erfolgsgeschichten aus der Vergangenheit. Das zahlt aufs Vertrauenskonto ein. Der Schwerpunkt liegt auf dem Mehrwert. Details zur Umsetzung sind für viele Laien weder interessant, überzeugend noch nachvollziehbar. Besonders im digitalen Rahmen braucht es eine bildhafte Sprache: „Mit diesem Paket können Sie in Urlaub fahren, ohne dass Ihrem Hab und Gut Gefahr droht.“ Oder: „Dank dieser Variante ruht Ihr Geld sicher im Tresor.“ „In dieser Immobilie können Sie Weihnachten mit der ganzen Familie feiern.“ Eine gut erzählte Geschichte weckt Emotionen und Kauflust.

Der Mensch und die Kamera

Vertrauen wächst durch Sicherheit. Um eine starke Präsenz auszustrahlen, anderen ein gutes Gefühl zu vermitteln und auf Augenhöhe aufzutreten, braucht es das richtige Setting. Dazu gehören Webcam, Bildschirm, Schreibtisch, Hintergrund, Sitzhaltung, …  Alles steht und fällt jedoch mit dem Umgang mit der Kamera. Unerfahrene blicken während des Gesprächs auf den Monitor oder in die eigenen Papiere. Wer beim Sprechen direkt in die Linse schaut, steigert seine Wirkung. Mehrwert und Lösung überzeugen stärker. Gleichzeitig sollte der Kamerawinkel den Oberkörper einfangen, damit Mimik, Gestik und Körperhaltung das Gesagte unterstreichen und trotz digitaler Einschränkungen beim Empfänger ankommen.

Profis neigen den Oberkörper um 15 Grad nach vorne und halten den Rücken gerade. Ein freundliches Lächeln und stimmige Bewegungen betonen Interesse und Empathie. Stimmt das Zusammenspiel aus Mimik, Gestik und Haltung, suggeriert die Kombination Selbstvertrauen. Zudem gilt im Kontakt über virtuelle Kanäle: Wer überzeugen will, erhöht Elan und Freundlichkeit um 20 Prozent. Die stärkere Energie mag sich übertrieben anfühlen, doch ein Videocall schluckt jede Menge Enthusiasmus. Expert:innen kompensieren das, um Missverständnisse zu vermeiden und Botschaften fest zu verankern.

Digital immer am Ball

Videoplattformen und Anbieter entwickeln sich täglich weiter. Immer mehr Funktionen und Zusatzmodule bieten neue Interaktions- und Anwendungsmöglichkeiten – alles, um die Inhalte adäquater zu transportieren. Wer professionell per Videocall verkaufen will, sollte stetig nachrüsten: Technik updaten, neue Funktionen kennen, üben und zuverlässig anwenden. Nur so positionieren Finanzberater:innen sich als Experten. Gleichzeitig dürfen sie es bei Bildschirm­präsentationen nicht übertreiben. Profis konzentrieren sich auf Illustrationen, Grafiken, Tabellen. Je weniger Text, desto mehr Aufmerksamkeit liegt auf den Wortbeiträgen. Insgesamt helfen Beispiele, Fakten und eine narrative Sprache.

Erfolgreicher B2B-Vertrieb ist ein Zusammenspiel aus Kundenorientierung, dem Aufbau einer persönlichen Beziehung sowie individueller Beratung. Dabei bleibt es irrelevant, ob analoger, hybrider oder komplett digitaler Verkaufsprozess: Mutige wie Vorsichtige investieren nur, wenn sie vertrauen. Besonders im Finanzbereich suchen Menschen Partner mit echtem Nutzen statt Sales Manager mit Abschlussdruck. Auch beim Virtual Selling geht es um Verbindung, Vertrauen und Werte. Allein die Wege, wie das gelingt, unterscheiden sich vom analogen Vorgehen. Wer sich an die Spitze setzen will, nutzt die Vorteile der Technik und die neuen Art des Verkaufens. Verschließen Präsenzfans sich den digitalen Sphären, beraubt sie sich jeder Menge potenzieller Kund:innen.

Gastbeitrag von Uwe Göthert, Sales- und Leadership-Experte, Geschäftsführer Dale Carnegie Deutschland