Vernunftbegabt bedeutet nicht vernünftig

28.07.2017

Jörg Weitz (li) und Ralf China (re) / Foto: © 3FACH ANDERS / Ralf China

Menschen handeln vernünftig und treffen alle Entscheidungen rein rational und egoistisch, um ihren individuellen Nutzen zu maximieren – so lässt sich in Kurzform die Hypothese vom „Homo oeconomicus“ zusammenfassen. Entsprechen wir Menschen wirklich dieser Modellannahme der Wirtschaftswissenschaften?

Wie Sie bereits gesehen haben, ist das mit der Vernunft ja so eine Sache. Nicht alles, was uns selbst vernünftig erscheint, ist das auch in den Augen der anderen. Und dabei haben wir es nicht nur mit einem Problem sprachlicher Unschärfe zu tun. Selbst wenn wir versuchen, den Begriff „Vernunft“ durch „Ratio“ zu ersetzen, ändert das nichts: „Mit Rationalität (abgeleitet von lateinisch ratio ‚Vernunft‘) wird ein vernunftgeleitetes und an Zwecken ausgerichtetes Denken und Handeln bezeichnet. Der Begriff beinhaltet die absichtliche Auswahl von Gründen und die Entscheidung für Gründe, die als vernünftig gelten, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen.

Sie merken schon, jetzt wird es knifflig! Das liegt daran, dass Vernunft üblicherweise als etwas Absolutes, Übergeordnetes, Objektivierbares angesehen wird. In der genannten Definition dagegen ist von „Auswahl“, „Gründen“ und „Zielen“ die Rede. Etwas überspitzt formuliert, ist Vernunft immer das, was uns gerade vernünftig erscheint. Und was erscheint uns vernünftig? Alles, was dazu beiträgt, unsere individuellen Ziele zu erreichen, und was möglichst gut zu den Erklärungsmustern passt, die unser Autopilot gespeichert hat. So lässt sich grob die zeitgemäße Erklärung der Ökonomen zusammenfassen, die das Bild vom Homo oeconomicus mit den aktuellen Erkenntnissen aus der Hirn- und Verhaltensforschung zusammenbringen wollen.

Aber ein Problem bleibt, nämlich die Formulierung „der Mensch“. Das Nützliche an der Hypothese des „Homo oeconomicus“ war ja, dass menschliches Verhalten berechenbar wurde. Das gelang aber erst durch die Annahme, dass sich alle Menschen in einer Auswahlsituation gleich, nämlich vernünftig und egoistisch, verhalten. Und da liegt der Knackpunkt! Statt mit „der Mensch“ alle über einen Kamm zu scheren, müssen wir jeden individuell betrachten. Menschen sind verschieden. Sie haben unterschiedliche Beweggründe, verfolgen unterschiedliche Ziele und haben unterschiedliche Erfahrungshintergründe. Eine ähnliche Sichtweise bringt auch der Ökonom und Leibniz- Preisträger Axel Ockenfels in einem Interview zum Ausdruck: „Die Menschen sind immer noch egoistisch, aber sie haben ihren eigenen Egoismus. Sie schauen nicht nur auf das, was sie unterm Strich bekommen, sondern sie schauen auch darauf, was die anderen  bekommen und welchen Status sie – relativ gesehen – in einer bestimmten Vergleichsgruppe haben.“

Sie sehen also, Vernunft ist immer eine höchst subjektive Angelegenheit. Und was uns vernünftig erscheint, hat viel mehr mit unseren individuellen Erwartungen und Beweggründen als mit objetivierbaren Kriterien zu tun.

In der Kolumne von Jörg Weitz und Ralf China dreht sich alles um den dauerhaften Erfolg von Beratern und Vermittlern. Dabei bilden die kölnische Frohnatur Jörg Weitz, selbst jahrelang in der Finanzberatung aktiv und ein echter Menschenflüsterer und der zugezogene Nordhesse Ralf China, der sich eher durch eine protestantische Arbeitsethik auszeichnet und mehrere Jahre als Unternehmensberater aktiv war, ein spannendes Gespann. Im Mittelpunkt stehen hier An- und Einsichten jenseits der gängigen Patentrezepte.

Der Text ist ein Auszug aus dem Buch: „Sei du selbst, sonst geht’s dir dreckig! warum Erfolg nicht Patentrezepten, sondern nur individuell machbar ist“ von Ralf China und Juergen Schoemen.