Sind Sie auf Ihre Angst vorbereitet?

06.12.2015

Angst ist an der Börse kein guter Ratgeber. Das ist allen Teilnehmern so klar, dass es nicht mehr als „Erkenntnis“ gilt, sondern als „Phrase“. Besonders am Aktienmarkt wechseln sich Angst und Gier in einer Regelmäßigkeit ab.

An Tagen wie diesen, nach einer etwa 7-jährigen Hausse, in der Rückschläge von neuen Hochs abgelöst wurden, wird die eigene Leidensfähigkeit in Baissephasen (sie dauern meist 3 Jahre) oft überschätzt. Der Markt wurde analysiert und die Aktie als „alternativlos“ befunden. Doch schon Goldwyn sagte einmal: Gebe keine Prognose ab und schon gar nicht über die Zukunft. Das gilt auch für den Anleger.

Statt sich selbst davon zu überzeugen, dass es zur Aktie ja keine Alternative gibt, sollte man die Frage klären: Welchen Teil meines Geldes werde ich 10 Jahre nicht benötigen? Denn die größten Fehler werden nicht nur bei der Einschätzung der eigenen Risikofähigkeit begangen, sondern vor allem in der Laufzeitfrage. Wer glaubt, dass er mit einem Aktienanteil von 50 % gut leben könne, sollte dann in Haussephasen durch Gewinnmitnahmen diesen Anteil immer wieder herstellen. Ich überprüfe die vom Kunden ausgesprochene Anteilsgröße meist mit der Frage: Was würde Ihre Frau dazu sagen, wenn Ihre Aktien 50 % Verluste erleiden würde? Wenn dann die Scheidungsfrage auftaucht, ist mir klar: Der Anteil ist zu hoch! Schon deshalb ist ein Gespräch mit beiden Eheleuten unabdingbar.

Doch: Wieso komme ich in einer Haussephase auf den abstrusen Gedanken, die Aktien könnten empfindlich fallen. Die Dividendenrenditen liegen weit über dem Anleihezins. Den Notenbanken bleibt gar nichts anderes übrig, als die Märkte weiterhin mit Liquidität zu versorgen. Also es geht weiter aufwärts!

  • Zunächst muss ich lapidar feststellen, dass die Hausse in die Jahre gekommen ist. Die durchschnittlichen Haussebewegungen dauerten in etwa 5 Jahre. Die aktuelle Überschreitung ist durch die Notenbankpolitik erklärbar.
  • Die Anleger sind sehr optimistisch. „Alternativlos“, „Jahresendrallye“ und „Notenbankpolitik“ sind die Argumente, nicht Gewinnsteigerung, Wachstum oder höhere Margen.
  • Das weltweite Handelsvolumen fällt seit Anfang 2015.
  • Eine weiterhin derart expansive Geldpolitik führt über kurz oder lang zu einer nicht mehr tragbaren Verschuldung. Die Probleme könnten sich durch weniger Wachstum (=weniger Steuern) und Vertrauensverluste (=höhere Zinsen) sogar noch verschärfen. Wahrscheinlich würden die Notenbanken die Krise mit der Maßnahme bekämpfen, die das Problem eigentlich geschaffen hat: Sie lassen die Notenpresse rotieren oder wie die Draghis dieser Erde argumentieren werden: Wir betreiben offene Notenbankpolitik.
  • Die Wirkung der Geldpolitik auf die Wirtschaft lässt immer mehr nach. Die aktuellen Zahlen der Schwellenländer, aus China, aus Japan und sogar aus den USA belegen dies. Drei davon waren aber die Garanten des letzten Aufschwungs. Hält deren Schwäche an, werden auch Exportländer wie Deutschland irgendwann betroffen sein. Kapazitätsauslastung, Auftragseingänge und Investitionen gehen zurück, trotz eines Niedrigstzinsniveaus und Rohstoffpreisen am Jahrzehntetief.
  • Der Shiller-Aktienindex bewertet die Aktien als relativ teuer. Die Einschätzung würde sich bei weiterer Wachstumsschwäche und den damit einhergehenden Gewinnrückgängen noch verschlechtern.
  • Das Volumen der kreditfinanzierten Aktienkäufe in New York (NYSE Margin Dept)ist mit 471 Mrd. (Okt. 15) deutlich höher als vor den Crashs in 2000 (278 Mrd.) und 2007 (381 Mrd.) Dass das Volumen seit April (507 Mrd.)schon um 50 Mrd. gefallen ist, gilt als schlechtes Omen.
  • Ein Schockereignis (black swan) könnten die viel zu optimistischen Anleger umdenken lassen.

Aus charttechnischer Sicht kratzte der DAX bei 9.400 am Aufwärtstrend seit 2011. Der Trend aus 2009 wäre auch bei einem Indexstand von 7.500 noch in Ordnung. Der ganz lange Trend aus 2003 „verträgt“ sogar die 5.500. Nach den Elliot-Wave-Analysten befindet sich der DAX mindestens in Welle 4 von 5. Es gibt allerdings auch Analysten, die von der Welle 1 des bereits gestarteten Abwärtstrends sprechen. Für die Anhänger der Fibonacci -Berechnung wäre der DAX auch bei einem Stand von 8.000 und 7.000 noch im Plan.

Als Berater werde ich jetzt natürlich dazu fügen: Der DAX kann aber auch auf 13.500 steigen. Langfristig können sowohl die 5.500 als auch die 13.500 eintreffen. Jetzt muss der Anleger nur noch erraten in welcher Reihenfolge.

Fazit:

Ich wollte mit meinen verschiedenen Szenarien nur verdeutlichen, wie wichtig der „richtige“ Aktienanteil ist. Hoffentlich mit dem Mut verbunden, in Abwärtsphasen – trotz Angst – auf die richtige Anteilgröße aufzustocken. Und in der Hausse – trotz Gier – einen Teil der Aktien zu verkaufen. So verkauft man nach Kurssteigerungen und kauft nach Rückgängen. Ist doch einfach! Oder…?

Mein Resümee:

Man muss die Zukunft nicht voraussagen, sondern darauf vorbereitet sein. Qualitätsaktien bleiben ein wichtiger Bestandteil des Vermögens. Auf die richtige, individuelle Dosierung kommt es an.

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Autor: Rolf Ehlhardt, Vermögensverwalter bei der I.C.M._