Schwellenländer reagieren moderat auf Brexit

11.07.2016

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Die Schwellenländermärkte zeigen auf das Brexit-Votum eine vergleichsweise moderate Reaktion. Diese ist dadurch bedingt, dass sich eine Zinsanhebung der Fed durch das Brexit-Votum noch weiter nach hinten verschoben haben dürfte. Mit einer länger andauernden Negativzinspolitik der EZB ist ebenfalls zu rechnen.

(fw/rm) Eine nicht unwesentliche Rolle für die vergleichsweise robuste Entwicklung der meisten Schwellenländer-Aktienmärkte dürften dabei die angekündigten Konjunkturprogramme der chinesischen Führung spielen, die wohl für China und einige seiner Handelspartner eine kleine Sonderkonjunktur für zumindest einige Quartale schaffen. Die Aktienmärkte der Schwellenländer verbuchten im Juni insgesamt Zugewinne, wobei die meisten europäischen Emerging Markets jedoch gegen den Trend Kurseinbußen verzeichneten. Der MSCI Emerging Markets Index gewann mehr als 3 Prozent und schnitt damit deutlich besser ab als die entwickelten Aktienmärkte. Letztere litten erheblich stärker als die Schwellenländer unter dem Ausgang der Volksabstimmung in Großbritannien, bei der überraschend eine Mehrheit gegen den Verbleib in der Europäischen Union und für den so genannten Brexit votierte. Vor allem die europäischen Aktienbörsen gaben kräftig nach, dabei in erster Linie Finanzwerte. Ein Grund für die vergleichsweise moderate Reaktion der allermeisten Schwellenländermärkte auf das Brexit-Votum dürfte darin liegen, dass damit eine Zinsanhebung der US-Notenbank (Fed) nochmals unwahrscheinlicher geworden ist bzw. sich noch weiter nach hinten verschoben haben dürfte. Auch Schwellenländeranleihen haben davon in den zurückliegenden Wochen spürbar profitiert. Bereits vor der britischen Volksabstimmung hatte die Fed ihren Zinsausblick erheblich nach unten korrigiert – ohne jedoch ihre volkswirtschaftlichen Prognosen für die USA zu ändern. Eine zweite Zinsanhebung scheint damit wohl nicht mehr vor dem Jahresende auf dem Plan zu stehen, wobei man sich des Eindrucks nicht erwehren kann, dass der Brexit ein willkommener Vorwand für die Fed ist, weiter abzuwarten. Denn das Brexit-Thema selbst ist in erster Linie ein europäisches und zum gegenwärtigen Zeitpunkt ist noch völlig ungewiss, wann, wie und ob es überhaupt zu einem Austritt Großbritanniens aus der EU kommen wird. Mithin ist es für die Märkte auch faktisch unmöglich, diesbezüglich irgendetwas Konkreteres einzupreisen. Einigermaßen sicher scheint derzeit nur zu sein, dass wohl mindestens für einige Monate mit anhaltenden zusätzlichen politischen und volkswirtschaftlichen Unwägbarkeiten in Europa zu rechnen ist und mit einer möglicherweise nochmals länger andauernden Negativzinspolitik der Europäischen Zentralbank. Eine nicht unwesentliche Rolle für die vergleichsweise robuste Entwicklung der meisten Schwellenländer-Aktienmärkte dürften auch die Konjunkturprogramme der chinesischen Führung spielen. Unter anderem mit neuen massiven Infrastrukturinvestitionen sollen in den kommenden fünf Jahren sowohl unterentwickelte Landesteile vorangebracht werden als auch die Volkswirtschaft insgesamt stimuliert werden. Das dürfte zugleich die fundamentale Angebots-Nachfragesituation für viele Industriemetalle und auch für Rohöl verbessern. Das wiederum würde den in den letzten Jahren stark gebeutelten Rohstoffexporteuren helfen. Gleichwohl ist das chinesische Konjunkturprogramm trotz seiner respektablen Größenordnung nicht geeignet, das globale Wachstumsbild entscheidend zu verändern; es ist aber allemal groß genug, um einer weiteren Wachstumsverlangsamung fürs erste entgegenzuwirken und für China und einige seiner Handelspartner eine kleine Sonderkonjunktur für zumindest einige Quartale zu schaffen.

Länderfokus

China Die chinesische Führung hat für die kommenden fünf Jahre angekündigt, vor allem mittels massiver Infrastrukturinvestitionen einen kräftigen Entwicklungsschub für bislang unterentwickelte Regionen herbeizuführen. Umgerechnet rund 220 Mrd. US-Dollar sollen bis 2020 allein für die nordöstlichen Provinzen bereitgestellt werden. Insgesamt dürften sich die Investitionen auf rund 700 Mrd. US-Dollar belaufen; darin sind aber auch einige bereits früher vorgesehene Ausgaben enthalten. Unter anderem werden über 500 neue Flughäfen und ein massiver Ausbau der Strom- und Bahnnetze geplant. Unterdessen signalisieren die Konjunkturindikatoren ein recht stabiles Wirtschaftswachstum mit latenten Abschwächungsrisiken. Gerade letztere dürften mit den neuen Konjunkturmaßnahmen aber erheblich reduziert werden. Die sich unvermindert aufblähende Verschuldung des chinesischen Unternehmenssektors bleibt eine zentrale Achillesferse Chinas, zumal ja der gegenwärtig vorangetriebene Umbau der Volkswirtschaft zwangsläufig neben Gewinnern auch etliche Verlierer hervorbringen wird. Gesamtwirtschaftlich betrachtet widerspiegelt die wachsende Verschuldung der Unternehmen allerdings erst einmal nur die sehr hohe Sparquote innerhalb Chinas. Solange dieser Überschuss an Ersparnissen nicht im Ausland angelegt wird bzw. angelegt werden kann, muss er sich fast zwangsläufig in einer steigenden Verschuldung des öffentlichen Sektors und/oder der Unternehmen niederschlagen. Für sich genommen ist das noch nicht unbedingt ein Anlass zur Sorge. Kritisch wird es, wenn die Ersparnisse in Projekte mit niedriger oder gar negativer Rentabilität fließen. Wie hoch der Anteil solcher Fehlinvestitionen ist, lässt sich aber kaum verlässlich beziffern. Dieser Punkt sowie die Beurteilung der Erfolgschancen der wirtschaftlichen Transformation von der exportbasierten zu einer vom Binnenkonsum getriebenen Volkswirtschaft unterscheidet denn zumeist auch die China-Optimisten von denjenigen, die früher oder später einen wirtschaftlichen Crash prognostizieren. An den chinesischen Börsen ging es im Juni abermals vergleichsweise ruhig zu. Per Saldo gab es sowohl in Hongkong als auch auf dem Festland nur minimale Veränderungen bei den Aktienindizes. Indien Indiens Industrieproduktion schrumpfte im April; ausschlaggebend dafür war ein kräftiger Rückgang bei der Kapitalgüterherstellung, speziell im Bereich Energieausrüstungen. Im Gegensatz dazu wuchs die Konsumgüterproduktion abermals sehr robust. Die Inflationsrate überraschte erneut nach oben, vor allem aufgrund höherer Lebensmittelpreise. Trotz eines unterdurchschnittlichen Starts in die Monsunregensaison bleiben die Behörden bei ihrer Prognose von insgesamt überdurchschnittlichen Regenfällen in den kommenden Monaten. Für einen Paukenschlag sorgte der indische Notenbankgouverneur mit seiner Ankündigung, im September nicht mehr für eine zweite Amtszeit zur Verfügung zu stehen. Der unerwartete Rückzug des national und international hoch angesehenen Notenbankchefs dürfte einige Unsicherheiten in die indischen Finanzmärkte bringen und zumindest vorübergehend Spekulationen über die künftige Geld- und Fiskalpolitik anheizen. Die indische Regierung kündigte unterdessen neue Regelungen für ausländische Direktinvestitionen in einer Reihe von Branchen an, wie etwa Luftfahrt, Verteidigung, Medien und Pharmazie. In der Verteidigungsbranche sowie bei lokalen Airlines sind künftig prinzipiell 100 Prozent Eigentümerschaft ausländischer Unternehmen möglich – vorbehaltlich entsprechender vorheriger Genehmigungen seitens der Regierung. Der Aktienmarkt legte im Juni leicht zu – das Plus betrug rund 1,5 Prozent. Brasilien In Brasiliens Volkswirtschaft scheinen sich zumindest das Tempo und die Dynamik der Rezession allmählich abzuschwächen, auch wenn von einer Trendwende noch keine Rede sein kann. Exporte waren zuletzt einer der wenigen Lichtblicke; sie legten vor allem angesichts des schwächeren brasilianischen Reals recht deutlich zu. Demgegenüber bleibt die binnenwirtschaftliche Situation schwierig. Die Regierung unter Interimspräsident Temer wird zugleich immer wieder von Korruptionsvorwürfen in Atem gehalten und angesichts der gewaltigen strukturellen Probleme sind rasche Verbesserungen ohnehin nicht in Sicht. Politisch scheint sich immer klarer eine tatsächliche Amtsenthebung der derzeit suspendierten Dilma Rousseff in den kommenden Wochen abzuzeichnen; völlig sicher ist dies aber noch nicht. Die Vorwürfe gegen sie betreffen ja keineswegs etwaige Korruption, sondern man legt ihr Budgetmanipulationen und illegale Wahlkampffinanzierung zur Last. Ein erheblicher Teil ihrer Ankläger steckt dabei offenbar aber seinerseits bis zum Hals im Korruptionssumpf. Ein echter, sauberer politischer Neubeginn ist angesichts dessen kaum zu erwarten. Vielmehr sieht die bisherige Opposition aktuell eine einmalig gute Chance, das Wählervotum des Vorjahres durch die Hintertür auszuhebeln, wobei natürlich anzumerken ist, dass Rousseff damals nur hauchdünn siegte und sie bei Präsidentschaftswahlen zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht die Spur einer Chance hätte. Sollte Rousseff tatsächlich ihres Amtes enthoben werden, wird Temer bis 2018, dem Ende der laufenden Amtsperiode, als Präsident fungieren. Der brasilianische Aktienmarkt legte im Juni deutlich zu; der Bovespa-Index stieg um rund 6 Prozent. Russland Russlands Notenbank senkte den Leitzins im Juni um 0,50 Prozent auf nunmehr 10,50 Prozent und reduzierte zugleich ihre Inflationsprognose für 2016 um einen Prozentpunkt nach unten, auf nunmehr 5 - 6 Prozent. Für 2017 erwartet sie eine ähnliche Inflationsrate und ein reales Wirtschaftswachstum von 1,3 Prozent. Die EU verlängerte ihre Wirtschaftssanktionen gegen Russland unterdessen erwartungsgemäß um weitere sechs Monate, wobei sich diesbezüglich aber zunehmend Risse innerhalb der EU zeigen. Russland hält als Reaktion darauf seine Gegensanktionen ebenfalls aufrecht. Im Kontrast dazu gab es zwischen der Türkei und Russland erste Anzeichen eines Tauwetters. Präsident Erdogan entschuldigte sich offiziell für den Abschuss eines russischen Kampfjets durch die türkische Armee im November letzten Jahres. Der Rubel befestigte sich im Zuge des zunächst noch leicht steigenden Ölpreises per Saldo um rund 4,5 Prozent gegenüber dem US-Dollar. Der russische Aktienmarkt (MICEX-Index) gab im Juni geringfügig nach. Türkei Die türkische Volkswirtschaft wuchs im ersten Quartal 2016 mit 4,8 Prozent Jahresrate stärker als erwartet; vor allem dank steigendem Konsum sowohl im privaten als auch im öffentlichen Sektor. Investitionsausgaben waren hingegen gedrückt. Die Importe wuchsen erheblich stärker als die Exporte; dennoch fiel das Leistungsbilanzdefizit zuletzt geringer aus als von den Analysten prognostiziert. Es war in den vergangenen zwölf Monaten so niedrig wie seit sechs Jahren nicht mehr. Gleichwohl bleibt die Situation bei den Devisenreserven prekär. Die Notenbank senkte den oberen Zinssatz ihres Zinskorridors erwartungsgemäß um 0,5 Prozent ab, nahm aber in ihren Aussagen zur Konjunktur und zur Geldpolitik keine größeren Änderungen vor. Massive Terroranschläge auf dem Istanbuler Flughafen am Monatsende hinterließen auf den türkischen Finanzmärkten zwar zunächst kaum Spuren, ihr Effekt auf die ohnehin schon schwer angeschlagene Tourismusindustrie könnte aber erheblich sein. Bereits im Mai waren über ein Drittel weniger ausländische Touristen in der Türkei gezählt worden als im Vorjahresmonat. Vor diesem Hintergrund mögen auch die jüngsten vorsichtigen Annäherungs- und Entspannungsgesten der türkischen Führung gegenüber Russland erfolgt sein; Präsident Erdogan entschuldigte sich für den Abschuss eines russischen Kampfjets im November letzten Jahres. Daraufhin hob der russische Präsident den damals verfügten Tourismusboykott auf. Russische Touristen waren bis zur Verhängung der entsprechenden russischen Sanktionen eine ganz wesentliche Kundengruppe der türkischen Tourismusbranche. Ihre Rückkehr wäre eine überaus positive Nachricht für türkische Reiseveranstalter und Hoteliers. Der Aktienmarkt gab im Juni gegen den Schwellenländertrend um rund 1 Prozent nach. Griechenland Griechenlands wirtschaftliche Erholung dürfte in starkem Maße von der Entwicklung des Tourismus – seit jeher eine Schlüsselbranche des Landes – in diesem Jahr abhängen. Diesbezüglich sind die Aussichten aber derzeit gemischt bis negativ. Einige Regionen melden recht gute Zahlen. In anderen hingegen schrecken die Bilder von Flüchtlingen und Migranten aus dem Nahen Osten und aus Asien auf griechischen Inseln und die Berichte über Auseinandersetzungen in den Flüchtlingscamps offenbar viele potenzielle Touristen ab. Zudem leidet der Sektor unter höheren Steuern und Abgaben. Ein etwaiger EU-Austritt Großbritanniens sollte zwar nur geringe direkte Auswirkungen auf Griechenland haben. Doch die schon vor dem Brexit-Votum stark unter Druck stehenden europäischen Bankaktien fielen nach dem Referendum weiter zurück. Griechische Banken gaben ebenfalls kräftig nach und zogen den Aktienindex in Athen massiv nach unten. Mit einem Minus von rund 17 Prozent war die griechische Börse im Juni die mit Abstand schwächste in Europa. CE3 – Polen, Tschechien, Ungarn Polens Wirtschaftswachstum enttäuschte mit einem Wert von 3 Prozent für das erste Quartal; die meisten Analysten hatten mit 3,5 Prozent gerechnet. Immerhin scheint der Rückgang der Inflation vorerst gestoppt – die Teuerungsrate lag mit minus 0,9 Prozent aber auch im Mai wieder tief im deflationären Bereich. Deflationäre Tendenzen verzeichnete auch Ungarn mit einer Inflationsrate von minus 0,2 Prozent. Die ungarische Zentralbank beließ den Leitzins dennoch unverändert und legte damit erst einmal wieder eine Pause bei ihren Zinssenkungen ein. Angesichts eines Leitzinses bei 0,9 Prozent ist der Spielraum inzwischen aber ohnehin nur noch recht gering. Die Aktienmärkte der CE3 fielen gegen den Schwellenländertrend im Juni. Das Brexit-Votum und die angespannte Situation im europäischen Bankensektor belasteten die Kurse. Mit einem halben Prozent bzw. rund einem Prozent fielen die Rückgänge in Polen bzw. Ungarn noch recht bescheiden aus; während die Börse in Prag um mehr als 8 Prozent abrutschte. www.rcm.at