Ruhestandsplanung

23.03.2022

Renten-Experte Ramesh Bhargava, Versicherungsbetriebswirt (DVA) / Foto: © Ramesh Bhargava

Von perlweiß bis rentnerbeige

Perlweiß das Haar, die Zähne, das Hemd und die Yacht. Azurblau der Himmel. Das perfekt inszenierte Bild in der Werbung. Im wahren Leben kleiden sie sich dezent in blaugrau, graubraun, lila oder: rentnerbeige. Ein Spiel mit Stereotypen. Und dennoch kennen wir beide: die sportiven Senioren auf Segeltörn wie auch die weniger mobilen mit eingeschränktem Aktionsradius auf Balkonien. Allzu häufig handelt es sich um ein und dieselbe Person in verschiedenen Lebensphasen im Jahrzehnte andauernden Ruhestand. In Debatten über das Altern nehmen wir oft an, dass Rentner eine homogene Einheit bilden. Dabei ist die Gruppe wie jede andere, die durch Alter definiert wird, allein aufgrund ihrer schieren Masse von über 18 Millionen Individuen vielseitig. Den 65-jährigen Jungrentner mit einem Hochbetagten in eine Schublade zu stecken, ist respektlos wie daneben. Niemand käme auf die Idee, einem Babyboomer den Musik- und Modegeschmack eines Millennials zu unterstellen.

Rentnersein lässt sich schwer üben. Über Geld spricht man nicht und die wenigsten führen ein Haushaltsbuch. Die meisten Erwerbstätigen haben daher keine Vorstellung über das Budget eines Ruheständlers. Dabei ist für die Planung der eigenen Liquidität im Alter elementar wichtig, sich mit dem Konsumbedarf eines Rentners auseinander zu setzen. Es braucht Anhaltspunkte: Wie hoch wird mein monatlicher Bedarf sein? Und wie alt werde ich?

In Anbetracht des sinkenden Rentenniveaus sind gewaltige Sparbemühungen aufzubringen. Für wen Resignation keine Option ist, gibt es im Folgenden Anregungen, um für Vorsorge zu ermutigen, ohne jede Polemik oder Zynismus: Vorsorge lohnt sich, schließlich liegt die Wahrscheinlichkeit, den 80. Geburtstag zu erleben, bei 50 %. Vorsorge aufzuschieben, ist ein schlechter Ratgeber: Der monatliche Beitrag zur Erreichung eines Zielkapitals von 100.000 Euro bei einer jährlichen Verzinsung von vier Prozent steigt bei einem 30-jährigen Sparplan von knapp 150 auf über 400 Euro bei halber Spardauer.

Faustformel schlägt Durchschnitt

Der Deutsche verzehrt jährlich 90 Kilo Fleisch, raucht 900 Zigaretten und trinkt 100 Liter Bier. Mit dem Durchschnitt ist das immer so eine Sache. Dem letzten Rentenversicherungsbericht zufolge ist die überwiegende Mehrheit der älteren Menschen gut versorgt. Senioren-Ehepaare erreichen im Durchschnitt ein monatliches Netto-Gesamteinkommen von 2.907 Euro, alleinstehende Seniorinnen von 1.607 Euro und Senioren von 1.816 Euro. Minirenten drücken den Durchschnitt. Derzeit sind 3 % der über 65-Jährigen auf Grundsicherung angewiesen. In den hohen Bezügen spiegeln sich Rentenniveau und Wahlgeschenke der Vergangenheit wider. Zukünftige Rentner werden mit deutlich weniger auskommen müssen. Einziger Trost: das Wissen um die Notwendigkeit der Vorsorge und die Zeit, diese umzusetzen.

Ausgangsbasis bei der Ermittlung der Rentenlücke bildet häufig die gesetzliche Rente. Hierbei werden gerne Pauschalen (bspw. 43 %, Untergrenze des Netto-Rentenniveau vor Steuern im Jahr 2030) des letzten Nettoeinkommens angesetzt. Der Prozentsatz leitet sich ab vom sogenannten Eckrentner, der 45 Jahre den Durchschnittslohn verdient und anschließend mit genau 45 angesammelten Entgeltpunkten in Rente geht. Das Rentenniveau taugt als Vergleichsgröße für politische Debatten, über die individuelle Rentenhöhe gibt es wenig Aufschluss. Hilfreicher ist die Frage, wie hoch die Rente im Vergleich zum Bedarf ist.

Breiten Konsens findet die Annahme, dass sich mit Rentenbezügen in Höhe von 80 % des letzten Nettoeinkommens der Lebensstandard halten lässt. Die Grundidee liegt in der Lebenszyklushypothese, wonach Menschen danach streben, über ihre Lebenszeit hinweg ihren Konsum zu glätten. Dies geschieht, indem Erwerbstätige auf einen Teil ihres Einkommens zugunsten der Vorsorge verzichten, um das Konsumniveau im Alter halten zu können. Darin eingepreist ist ein Abschlag von 20 %. Zum einen entfallen mit Rentenbeginn berufsbezogene Konsumausgaben, Beiträge zur Altersvorsorge und risikoabsichernden Policen sowie Finanzierungsraten für das Eigenheim.

Des Weiteren wird das zusätzliche Zeitbudget genutzt für die Suche nach günstigen Einkaufsmöglichkeiten und die Eigenproduktion zuvor eingekaufter Dienstleistungen: es wird vermehrt gekocht, geputzt, repariert und gemäht. Die 80 %-Formel fokussiert sich eindimensional auf die Wechselphase vom Erwerbsleben in den Ruhestand. Medien und Finanzdienstleister blenden regelmäßig aus, dass der Ruhestand aus mehreren Phasen mit unterschiedlichen Bedürfnissen und sich veränderndem Konsum besteht. Die Beschäftigung mit der eigenen Lebenssituation kann zu der Erkenntnis führen, dass ein weniger als 80 % des letzten Nettoeinkommens auskömmlich sind.

Nach Abzug der gesetzlichen Rente gemäß individueller Renteninformation zuzüglich weiterer zu erwartender Einnahmen ergibt sich die Versorgungslücke. Da die Rentenbezugsdauer ungewiss ist, empfiehlt sich eine ewige Versorgung. Eine solche Garantie geben Lebensversicherer in Form einer Leibrente, die ihren Preis hat. Die Versicherungswirtschaft spricht vom Langlebigkeits-Risiko - ein makabrer Ausdruck, sollte bei dieser erfreulichen Errungenschaft der Menschheit von Langlebigkeits-Chance die Rede sein. Gemeint ist das Risiko des Versicherers, dass eine versicherte Person länger lebt als kalkuliert. Tatsächlich werden viele erheblich älter als sie denken.

Von den heute lebenden Generationen wird jeder Dritte bis Vierte mindestens 90 Jahre alt. Das Risiko seine Ersparnisse zu überleben, lässt sich auf eine Versicherung übertragen. Die Krux: In die Risikokalkulation sind Puffer eingerechnet. Rentenempfänger erhalten nach weit über 20 Jahren ihre eingezahlten Beiträge zurück. Bei kurzer Lebensdauer führt das zu einer geringen Rentensumme - der Preis der Sicherheit oder der Wetteinsatz auf ein überdurchschnittlich langes Leben. Für eine Leibrente in Höhe von 1.000 Euro monatlich ist heute ein Kapital von etwa 400.000 Euro erforderlich. Ein Mitte 30-jähriger müsste bei einer jährlichen Verzinsung von 4 % in der Beitragsphase monatlich fast 600 Euro aufbringen.

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