Zeitenwende an den Kapitalmärkten
04.04.2023
Rolf Ehlhardt, Vermögensverwalter, I.C.M. Independent Capital Management Vermögensberatung Mannheim GmbH / Foto: © I.C.M.
Die besten Zeiten scheinen vorerst hinter uns zu liegen. Seit der letzten Krise 2009 haben wir uns an viele Annehmlichkeiten gewöhnt. Jedes Jahr höheres Wachstum, begleitet bzw. verursacht von fallenden Zinsen und fallender oder zumindest unter zwei Prozent liegender Inflation. Über billige Kredite wurde der Konsum der nächsten Jahre in die Gegenwart gehievt.
Entgegen aller volkswirtschaftlichen Erkenntnissen glaubten die Verantwortlichen, sie hätten die „Eier legende Wollmilchsau“ gefunden. Und weil es auch eine Zeit lang funktioniert hat, glaubten wir (fast) alle den wohlklingenden Worten der Politiker. Mahner kamen in die Schublade „Verschwörungstheoretiker“. Zukünftig könnte uns aber ein Bumerang nach dem anderen um die „Ohren fliegen“. So wurde jetzt ein „Geheim-Papier“ der EU öffentlich, die eine Schock-Prognose für die deutsche Wirtschaft enthält. Außerdem sagt McKinsey eine Versorgungslücke von vier Gigawatt für 2025 voraus. Ist auch logisch, wenn wir eigene Stromquellen schließen, aber alles auf E-Verbrauch umstellen. Der Preisschub bei Strom ist somit vorprogrammiert.
Seit 1973 (bei ca. 7 %) erfreuten wir uns fallender Inflationsraten, seit 1995 waren sie stabil unter zwei Prozent. Aber in den letzten etwa zwölf Jahren glaubten wir, die Märkte beherrschen zu können. Die Notenbanken manipulierten die Zinsen nach unten in Richtung Null. Dadurch hat sich die Zentralbank-Bilanz verviereinhalbfacht. Seit 2015 haben die Guthabenzinsen den Nullstand erreicht. Dies war zwar für die Kreditnehmer ein Goldregen (mit dem Risiko der Überschuldung), aber dem Sparer gingen nach Berechnung verschiedener Institute jährlich ca. 75 Milliarden an Zinseinnahmen und damit an Kaufkraft verloren (und dem Staat die Steuern). Andererseits verschuldeten sich nicht nur die Staaten weltweit, sondern auch Unternehmen und Private. Da die Geldmenge die Produktion in dieser Zeit deutlich überragte, war die Basis für die Inflation gelegt. EZB-Chefin Lagarde liegt mit ihrer Aussage (Ausrede) „Die Inflation kam aus dem Nichts“ völlig daneben.
Alle Schuldner müssen jetzt oder in naher Zukunft in etwa drei Prozent mehr Zinsen zahlen. Hinzu kommt noch die Tatsache, dass die Inflation seit 2021 das Leben um etwa 15 % verteuert hat. Der Immobilienmarkt ist das erste Opfer. Die Zahlen für Neufinanzierungen brechen ein und noch kein Ende in Sicht. Die Probleme scheinen sich zinsbedingt (wenn niedere Festzinsen ab 2025 auslaufen) sogar noch zu verstärken. Der Konsum droht einzubrechen, da parallel zu den steigenden Zinsen und Inflation, der Sättigungsgrad nach zwölf Jahren Boom und vorgezogenem Konsum hoch ist.
Eine neue Bankenkrise droht. Sparkassen und Genossenschaftsbanken mussten für 2022 schon riesige Abschreibungen vornehmen. Die Silicon Valley Bank in USA ist Konkurs. Die Crédit Suisse musste übernommen werden. Einzelfälle oder erste Risse im Finanzsystem? Ein Beweis für die Verletzlichkeit allemal. Und die Erkenntnis, dass die Probleme schon bei einem niedrigen Zinsniveau auftreten, wie es für die Inflationsbekämpfung notwendig wäre. Sowie ein warnendes Beispiel, wie schnell das Vertrauen der Anleger kippen kann. Meine Verkaufsempfehlung für Bankaktien kam gerade noch rechtzeitig. Ob die Bank-Pleite die Geldpolitik beeinflusst? Gemäß der Entwicklung der zehnjährigen Anleihen scheint die Börse das zu glauben. Auch dieser Glaube ist eine Gefahr.
Nun hat die Fed die Zinsen nur um 0,25 % erhöht. Ist sie für eine Bankenkrise sensibilisiert, da sie auch weitere, kleine Banken mit Notkrediten versorgen musste? Zumal die reale Geldmenge M2 rückläufig ist, was für eine Konjunkturabkühlung spricht. Das negative Wachstum der Bankenkredite unterstreicht diese Entwicklung. Auch die Realität, dass die „kurzen“ Zinsen höher sind als die „langen“ weist in Richtung Rezession. Haben Banken Probleme, verknappt dies die Bankausleihungen noch mehr. Werden bei hohen bzw. zu lange hohen Zinsen größere Banken tangiert, hätte das gravierende, negative Auswirkungen auf das Bankensystem. Die Notenbanken werden dieses Szenario unter allen Umständen vermeiden und hohe Inflation als das wesentlich kleinere Übel ansehen.
In diesem Zins-Umfeld dürfte sich die Finanzierung der Staaten weltweit deutlich verschlechtern. Die Kombination aus wenig Wachstum (=geringere Steuereinnahmen), aber Schulden in Rekordhöhe und steigenden Zinsen zeigt jetzt Wirkung. In Deutschland kommen noch laienhafte Fehler bei der Staatsfinanzierung hinzu. So hat man höhere als notwendige Kupons auf Neuemissionen gezahlt, um so das über pari liegende Agio (Emissionskurs 105 %) in den Haushalt einzubringen. Außerdem hat man bei teilweise unter null liegenden Renditen keine Umschuldungen vorgenommen (Österreich hat zum Zins 0,85 % jährlich. 100-jährige Anleihen begeben), sondern sogar unter dem damaligen Finanzminister Scholz bei null Inflation massiv inflationsindexierte Anleihen begeben, für die jetzt deutlich über dem aktuellen Zins liegende Zinsen bezahlt werden müssen. Ende Februar warnte Finanzminister Lindner, dass die Ausgaben für Kreditzinsen sich von 4 Mrd. auf 40 Mrd. in zwei Jahren verzehnfacht haben.
Die steigenden Notenbankzinsen suggerieren einen nachhaltigen Kampf gegen die Inflation. Statistiken beweisen, dass man, nur verbunden mit einer Rezession, fünf bis zehn Jahre benötigt, um Inflation wieder einzufangen. Die rekordhohen Verschuldungen werden aber einen weiteren Zinsanstieg verhindern. Nachdem die Währungshüter die Wirkung unverantwortlicher Gelddruckerei schon falsch eingeschätzt haben, könnten sie jetzt auch die Nachteile von hohen Zinsen unterschätzen. Deren negative Auswirkungen können lange auf sich warten lassen (beruhigen die Börse). Je länger der Zeitraum dauert, vermittelt er die Sicherheit (Anleger investieren wieder), dass die Zinserhöhungen dem Wachstum kaum etwas anhaben können. Die negative Wirkung setzt dann aber oft schlagartig ein. Anleger erleiden Verluste. Denn: Hohe Zinsen bei hoher Verschuldung können verheerende Auswirkungen auf die Wirtschaft und die Kapitalmärkte haben. Die Notenbanken dürften daher bei deutlich nachlassender Wirtschaft die Leitzinsen wieder senken, neue Geldmengen drucken und ihr Inflationsziel deutlich erhöhen (von aktuell zwei auf vier bis fünf Prozent).
Müssen sich die Anleger in diesem Umfeld neu positionieren? Ja, beispielsweise bei steigenden Aktienkursen auch einmal Gewinne mitnehmen. Sollten die Notenbanken die Zinsen höher schleusen bzw. länger oben halten als die Börse derzeit einpreist, sind Korrekturen wahrscheinlich. Hier könnten sich deutlich günstigere Einstiegskurse ergeben. Sollten die Leitzinsen dann tatsächlich wieder fallen, dürfte eine Zwischenrallye erfolgen, die aber wieder zu Gewinnmitnahmen genutzt werden sollte. In dieser Phase wäre sogar ein Engagement in zehnjährige Bundesanleihen überlegenswert, aber nur dann, wenn die Verzinsung vorher die Drei-Prozent-Grenze (aktuell 2,27 %) erreicht oder sogar überschreitet. Auch hier sind spätere Gewinnmitnahmen sinnvoll. Vor allem: Den Anteil an Edelmetallen (Versicherungsaspekt) aufstocken.
Denn: Eine stagnierende oder gar rückläufige Wirtschaft, begleitet von hoher Inflation und fallenden Preisen bei den Substanzwerten wie Aktien und Immobilien, können zu Ängsten führen, die die Zinsen an den Kapitalmärkten sogar entgegen der Notenbankpolitik steigen lassen, da in diesem Szenario die Konkursraten kräftig ansteigen und somit die Abschreibungen bei den Kreditinstituten weiter zunehmen würden. Aktien und Immobilien dürften dann weiter fallen.
Die Strategie sollte langfristig daher lauten: Nur Aktien von hoher Qualität. Nur wenige Anleihen (wenn überhaupt), aber keine mit minderer Bonität oder längerer Laufzeit. Mit dann relativ hoher Liquidität und einem bis zu 20prozentigen Anteil in Edelmetallen dürfte der Anleger gut aufgestellt sein, um diese Durststrecke einigermaßen heil zu überstehen. Wie die Anleger reagieren (Gold plus 150 Dollar) hat man bei der Pleite der amerikanischen Bank gesehen.
Kolumne von Rolf Ehlhardt,
Vermögensverwalter, I.C.M.
Independent Capital
Management Vermögensberatung Mannheim GmbH