Wie sieht es bei IHR aus?
22.08.2023
Tina Kern und Jan Schepanek, Geschäftsführer, FFB - FIL Fondsbank von Fidelity International
Gender Pay Gap, unbezahlte und nicht anerkannte Care-Arbeit, ein Arbeitsleben in Teilzeit, weil es nicht anders geht – das führt zu einer Gender Pension Gap, die kaum mehr geschlossen werden kann. Welche Veränderungen eintreten müssen, um diesem Problem bestimmt entgegenzutreten, wissen Tina Kern und Jan Schepanek, Geschäftsführer bei der FFB - FIL Fondsbank von Fidelity International. Sie teilen ihr Wissen und ihre Zahlen mit uns im finanzwelt Interview.
finanzwelt» Die Arbeitswelt ist in ständiger Bewegung. Welche Veränderungen zeigen sich in Post-Corona-Zeiten beispielsweise durch Homeoffice in der Dynamik?
Jan Schepanek» Die Pandemie hat uns als Gesellschaft in Deutschland Lücken in unserer digitalen Aufstellung gezeigt und uns den nötigen Boost gegeben, diese zu schließen. Wir bei Fidelity und der FFB haben eine sehr flexible Arbeitsweise. Ich hoffe, dass wir diese Flexibilität in Deutschland zukünftig beibehalten, da diese Eltern unterstützt, die Betreuung von Kindern zu organisieren. Trotzdem muss die Betreuungssituation hierzulande dringend verbessert werden. Auch beim Thema Lohngerechtigkeit bedarf es weiterer Anstrengungen seitens der Politik und der Arbeitgeber. Wir können uns hier ein Beispiel an Großbritannien nehmen: Dort muss jeder Arbeitgeber einen Gender-Pay-Gap-Report erstellen.
Tina Kern» Wenn wir uns das monatliche Bruttoeinkommen anschauen, liegen Männer bei rund 3.000 Euro und Frauen bei weniger als 2.000 Euro. Diese Zahlen hat eine unserer repräsentativen Umfragen ermittelt. Mit Blick auf dieses Ergebnis wird klar, dass Frauen am Ende des Monats weniger Budget zur Verfügung haben, um für den eigenen Ruhestand vorzusorgen. Ein Grund hierfür ist, dass sie öfter in Teilzeit arbeiten, um die Care-Arbeit in der Familie zu übernehmen. Um die Lücke zu verringern, muss man Frauen ermöglichen, mehr oder in anderen Rollen zu arbeiten.
finanzwelt» Frauen schätzen ihre finanzielle Situation auf Anhieb schlechter ein. Was tut der Staat, um dem entgegenzusteuern und die Frauen zu unterstützen?
Kern» Unsere Umfrage hat ergeben, dass sich nur 40 % der Frauen mit ihrer derzeitigen finanziellen Situation wohl fühlen. Auf die eigenen Finanzen im Alter angesprochen ist nur jede Dritte zuversichtlich (34 %). Das sind alarmierende Ergebnisse, die unter anderem auf den niedrigeren Verdienst und die somit ebenfalls niedrigere monatliche Sparleistung zurückzuführen sind. So sparen Frauen laut unserer Umfrage rund 125 Euro und Männer 175 Euro pro Monat für die eigene Altersvorsorge. Um für die Rente zu sparen, fehlt 42 % das Geld. Nur durch eine Verbesserung der Rahmenbedingungen seitens der Politik kann man dem entgegensteuern. Im ersten Schritt benötigen wir schnellstmöglich eine Lohngerechtigkeit in Deutschland.
finanzwelt» Die Beträge reichen – bei Männern sowie Frauen – kaum aus, um vorzusorgen. Stellt sich die Frage, ob beispielsweise eine Aktienrente zu den dafür nötigen Tools gehört. In den letzten drei Jahren hat sich schließlich einiges verändert und ein verstärktes Interesse am Kapitalmarkt ist feststellbar.
Schepanek» Die Aktienrente ist ein langer, politischer Prozess in Deutschland und unserer Meinung nach ein guter Schritt, um die staatliche Rente langfristig zu stützen. Der demografische Wandel führt dazu, dass unser umlagefinanziertes Rentensystem an seine Grenzen stößt. Zusätzlich brauchen wir eine kulturelle Verschiebung, Verständnis, aber auch das Interesse, privat vorzusorgen. Denn die staatliche Rente wird nicht ausreichen, um den gewohnten Lebensstandard im Ruhestand aufrechtzuerhalten. Ich glaube, dass Privatpersonen leider oft die Motivation fehlt, sich mit dem Thema Vorsorge eingehend auseinanderzusetzen, auch wenn wir ein gestiegenes Interesse am Kapitalmarkt beobachten können. In jungen Jahren erscheint das Thema einfach zu weit weg.
Kern» Die Aktienrente ist Bestandteil der gesetzlichen Vorsorge. Zusätzlich dazu haben wir noch die private und die betriebliche Vorsorge in Deutschland. Nur eine der genannten Säulen kann den Lebensstandard im Ruhestand nicht sichern. Alle drei Säulen müssen geplant und bedient werden.
finanzwelt» In der Politik sind meist die Jahre 2030 oder 2050 die Zielgerade für solche Umstrukturierungen. Wie sähe Ihrer Meinung nach eine Express-Lösung für Jetzt und Hier aus?
Schepanek» Hier stellt sich immer die Frage der Finanzierung: Was kann sich der Staat leisten? Eine Express-Lösung, die mir einfällt, ohne den Staatshaushalt maßgeblich zu beeinflussen, wäre eine Verbesserung der Portabilität der betrieblichen Altersvorsorge. Es ist nicht mehr Standard, sein ganzes Arbeitsleben bei nur einem Arbeitgeber zu verbringen. Folglich wäre es wichtig, Arbeitnehmenden die Möglichkeit zu geben, entstandene Versorgungsansprüche einfach zu einem neuen Arbeitgeber mitzunehmen. Ein weiterer Motor zur Verbesserung der privaten Altersvorsorge wäre es, steuerfreie Modelle wie den Individual Savings Account (ISAs) aus UK einzuführen. Dieser ermöglicht es, bis zu einem gewissen Betrag steuerfrei am Kapitalmarkt zu investieren. Im Endeffekt – wie gesagt – braucht es aber Verbesserungen in allen drei Säulen.
finanzwelt» Weil Sie das Ausland angesprochen haben: Die skandinavischen Länder sind ja bezüglich der privaten Vorsorge und der Aktienaffinität sehr viel weiter als wir hierzulande. Kann man trotz der kulturellen Unterschiede etwas adaptieren?
Kern» Ich muss schon sagen, dass Schweden eine Vorreiterrolle bei der Aktienanlage und Investmentkultur einnimmt. Man kann sich natürlich darüber streiten, ob die kapitalgedeckte Rente mit den 2,5 % des Einkommens, die jeder dort automatisch am Kapitalmarkt anlegt – in einen oder mehreren Fonds – für die Vorsorge ausreicht. Ein wesentlicher Faktor ist aber, dass die Bürgerinnen und Bürger so an das Thema Anlage herangeführt werden. Jan Schepanek und ich predigen immer: ‚Fang an, zu investieren, auch wenn der Betrag noch so klein ist! Und lege möglichst breit – am besten in Fonds oder ETFs – an‘. Im Laufe der Zeit spürt der Anleger dann auch, was Schwankungen sind. Er lernt aber vor allem, dass sie aushaltbar sind. Aber wo kommt der Trigger her, um Erfahrungen zu sammeln? In Deutschland müssen Privatpersonen aus Eigeninitiative ihre Erfahrungen am Kapitalmarkt sammeln.
finanzwelt» Wie müsste die Beratung denn ausfallen, um Frauen besser an die Finanzmaterie heranzuführen und ihnen diese Angst vor der Zukunft, beziehungsweise dem Ruhestand zu nehmen?
Schepanek» Ich denke, das gilt nicht nur für Frauen. Alle Geschlechter brauchen eine gute und authentische Beratung. Um die Bedürfnisse unserer Kundinnen und Kunden zu verstehen, haben wir eine Umfrage hierzu durchgeführt. Diese ergab, dass Frauen eher den persönlichen Kontakt schätzen und mit einem Berater bzw. einer Beraterin sprechen wollen, der bzw. die sich mit ihrer individuellen Situation auseinandersetzt. Die Erkenntnisse aus dieser Umfrage haben wir auch mit den an unsere Plattform angeschlossenen Finanzvermittlern geteilt, damit diese ihre Kundinnen noch zielgerechter beraten können. Insgesamt müssen wir als Industrie besser darin werden, die Chancen des Kapitalmarktes aufzuzeigen und über Schwankungen aufzuklären.
Kern» Frauen sind vorsichtiger. Wir unterschätzen uns oftmals lieber, als dass wir uns überschätzen und denken mehr über Investitionen nach, bevor wir diese tätigen. Dabei zeigen etliche Studien, dass Frauen oft die besseren Anleger sind und bessere Ergebnisse am Kapitalmarkt erzielen, eben weil sie Entscheidungen bewusster treffen und ihr Anlagehorizont häufig länger ist, was oft zu besseren Ergebnissen führt. Auch wir wollen mit unseren Umfragen zu Frauen und Finanzen aufklären und Frauen ermutigen, ihre Erfahrungen am Kapitalmarkt zu sammeln. Ich fände es sinnvoll, wenn wir Finanzbildung schon in den Schulen lehren würden. Nur so kann Finanzwissen die Breite der Bevölkerung erreichen.
finanzwelt» In welcher Klassenstufe würden Sie anfangen,
das Thema Finanzbildung zu integrieren? Wie bringt man Wörter wie „Anlage,
Fonds, Kapitalmarkt“ ins Schulsystem ein?
Kern» Ich
denke, es braucht kein eigenes Fach.
finanzwelt» Aber vielleicht ein generelles Fach wie Wirtschaft. Immerhin fehlt es meist an den Zusammenhängen. Aber das ist eine Forderung, die es schon seit langem gibt und die in einigen Bundesländern bereits umgesetzt wurde. Es ist fast schon ein alter Hut.
Kern» Ich bin bei Ihnen — es braucht kein eigenes Fach. In der Grundschule gibt es beispielsweise das Fach Sachunterricht. In diesem kann man genauso gut erste wirtschaftliche Grundkenntnisse unterbringen als auch die Frage beantworten, was man aus einer Kartoffel alles machen kann. Wichtig ist, die Kinder mit einer einfachen Sprache an das Thema Finanzen heranzuführen. Es braucht nicht zwingend Fremdbegriffe. Das kann man für Kinder adaptieren. In der weiterführenden Schule haben wir die Fächer Politik und Wirtschaft, da gehört das Thema Finanzbildung meines Erachtens auch rein. Es muss nur in die Lehrpläne aufgenommen werden, und das ist nach wie vor Ländersache.
finanzwelt» Die richtige Sprache bei einem so „trockenen“ Thema wie Finanzen zu wählen, kann sich als ein Drahtseilakt herausstellen, der Inhalt muss aber trotzdem vermittelt werden.
Kern» Wir haben uns intensiv damit beschäftigt, wie wir mit unseren angeschlossenen Beraterinnen und Beratern sowie mit unseren Endkundinnen und Endkunden kommunizieren wollen. Letztendlich haben wir uns für eine partnerschaftliche Sprache – auf Augenhöhe und einfach verständlich – entschieden.
finanzwelt» Vielleicht könnten Sie den partnerschaftlichen Ansatz näher erläutern.
Schepanek» Diese Art der Kommunikation ist klar abgegrenzt zu der Sprache, die ein Freund oder Kumpel wählen würde. Denn so wollen wir nicht wahrgenommen werden. Vielmehr wollen wir jeden Einzelnen bestmöglich und neutral unterstützen und verschiedene Lösungswege aufzeigen und erläutern.
finanzwelt» Frau Kern, im Podcast „Fondsgedanken“ beschreiben Sie ihren Job als Leitung im Operations-Geschäft der FFB als „Die Dame“ beziehungsweise „Die Frau im Maschinenraum“, die ihre Vorliebe für digitale Prozesse dafür nutzt, um die Maschinen für die Kunden am Laufen zu halten. Wie sehen Sie – von Ihrer Warte aus – die merklichen Unterschiede in den Zahlen für Männer, und wie würden Sie diese Unterschiede angehen?
Kern» Die Digitalisierung und Automatisierung von Prozessen sind unheimlich wichtig. Unsere Tätigkeiten verändern sich, insbesondere im Abwicklungsmodell. Menschen und Technik müssen zusammenarbeiten, um ein nahtloses Kundenerlebnis zu schaffen. Und auch wenn wir bei der Digitalisierung viele Fortschritte gemacht haben, haben wir es auch im 21. Jahrhundert noch nicht geschafft, Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern zu schaffen. Ich persönlich finde es unverantwortlich, dass wir noch immer in dieser Form über das Thema Gleichberechtigung diskutieren müssen. Die Gender Pay Gap als auch die Gender Pension Gap sind aber leider nach wie vor Realität. Wenn das Thema Altersvorsorge in meinem Freundeskreis aufkommt, sagen viele meiner Freundinnen immer wieder: ‚Das kann ich ja immer noch machen‘. Mir ist bewusst, dass Alter kein hübsches Thema ist und man sich in jungen Jahren nicht mit dem eigenen Ruhestand beschäftigen will. Um die Notwendigkeit aufzuzeigen, arbeite ich gern plakativ mit Zahlen. Diese bringen die Aufmerksamkeit auf meine Seite und erzeugen Bereitschaft, sich mit der eigenen Finanzplanung auseinanderzusetzen.
finanzwelt» Herr Schepanek, wie würden Sie die Unterschiede angehen?Schepanek» Wir müssen das Umdenken unterstützen, indem wir auf der einen Seite Wissen zur Verfügung stellen und auf der anderen Seite unseren Beratern die richtigen Tools an die Hand geben. So beispielsweise unser Research zu den Finanzbedürfnissen von Frauen oder anderen Personengruppen. Um nochmal auf den Lern-Effekt zu sprechen zu kommen, den Tina Kern bereits erläutert hat: Es ist wichtig, erste Erfahrungen am Kapitalmarkt zu sammeln und zu sehen, wie sich Anlagen mit der Zeit entwickeln.
finanzwelt» Abschließend: Was erhoffen Sie sich von der Zukunft, was dieses Thema angeht? Vielleicht auch im Hinblick auf die Studie – die Ergebnisse sollten sich in zwei oder drei Jahren bestenfalls unterscheiden.
Schepanek» Wir brauchen ein Umdenken der Gesellschaft als auch politische Rahmenbedingungen – beispielsweise im Hinblick auf die Lohngerechtigkeit. Wenn ich mir die Zahlen in Zukunft anschaue, würde ich gerne sehen, dass wir die Lohngerechtigkeit in Deutschland erreicht haben. Zudem würde ich gerne einen Trend erkennen, dass mehr Menschen auf private und betriebliche Altersvorsorge zurückgreifen und die Sparbeträge steigen, so dass Frauen als auch Männer zuversichtlich hinsichtlich ihrer Finanzen im Ruhestand sein können.
Kern» Ich erhoffe mir, dass Schwankungen an den Märkten zukünftig als Teil des Prozesses wahrgenommen werden, die man ‚aushalten‘ muss und der Fokus nicht mehr nur auf Kurseinbrüche gelegt wird. (ml)