Wie berate ich CO2-neutral?

18.10.2023

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Weniger ist mehr – noch nie traf ein Sprichwort so sehr zu wie in Zeiten des Klimawandels. Im Jahr 2022 lag der CO2-Ausstoß in Deutschland bei 675 Millionen Tonnen (Quelle: Statista) und Versicherungen bieten mittlerweile Policen an, die das Heim bei Naturereignissen zusätzlich absichern sollen. Bei solchen Gegebenheiten stellt sich nicht umsonst die Frage: Ist eine CO2-neutrale Beratung möglich?

Klimaneutral ist nicht gleich CO2-neutra

Beide Begriffe werden gerne synonym und mit Vorliebe in einem schwammigen Kontext verwendet, um das Gewissen zu beruhigen. Im Pariser Klimaabkommen ist festgelegt, dass die Mitgliedstaaten den Ausstoß an Treibhausgasen mindern wollen, um so menschengemachte Emissionen und das Aufnahmevermögen der Umwelt in ein Gleichgewicht zu bringen. Nicht von jetzt auf gleich, versteht sich. Eher in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts. Wie dieses Ziel aktiv umgesetzt werden soll, steht nicht im Abkommen. Diese sogenannte „Treibhausgas-Neutralität“, bzw. „Net-Zero-Emissions“ ist in der politischen Debatte auch nicht verbindlich definiert.

Der Begriff „Netto-Null-Emissionen“ dagegen bezieht sich auf die klimarelevanten Gase in der Atmosphäre und die Verhinderung ihres Anstiegs. Lachgas, Methan und Kohlendioxid sowie F-Gase also fluorierte Treibhausgase sind damit gemeint. Sie werden in CO2-Einheiten umgerechnet, weil sie sich unterschiedlich auf das Klima auswirken. Nicht ohne Grund wird in diesem Zusammenhang davon gesprochen, Moore zu erhalten oder die Rodung wertvoller Waldflächen zu verhindern. Am wichtigsten ist, dass keines der genannten Gase den Gehalt der Atmosphäre (in CO2-Einheiten umgerechnet) übersteigt. Das bedeutet noch lange nicht dasselbe wie CO2-neutral. Im Fall von CO2-neutral können die anderen Klimagase trotzdem steigen. Klimaneutral bezieht sich auf ein Gleichgewicht zwischen Treibhausgasen natürlicher und menschlicher Wirkung. Da ein großes Ungleichgewicht bereits vorherrscht, ist „klimaneutral“ eigentlich gar nicht mehr möglich. Klimaneutral bedeutet heutzutage, dass eine Ausgleichszahlung für die Emissionen geleistet wird. Agnes Sauter, Leiterin des Bereiches Ökologische Marktüberwachung bei der Deutschen Umwelthilfe meint deshalb in einem Online-Interview: „Letztendlich verursacht jedes Produkt, das verarbeitet wird, CO2-Emissionen. Es gibt kein klimaneutrales Produkt, das wird es auch nicht geben.”

Was bedeutet das jetzt für die Beratung?

Die Klimakrise macht auch vor der Finanzbranche nicht Halt. Was das genau bedeutet, beschreibt Prof. Dr. Oliver Schenker von der Wirtschaftsplattform „Sustainable Finance“ im Podcast „Future Economies“: „Grundsätzlich können Finanzmärkte gut mit Risiken umgehen – die Herausforderung ist nun die, dass der Klimawandel etwas ‚Neues‘ ist.” Er führt zum Vergleich das Beispiel eines Fahrradhändlers an, der von der Bank einen Kredit aufnimmt, um Fahrräder zu bestellen und diese im kommenden Sommer zu verkaufen. Die Bank wisse, dass der langjährige Kunde diesen Kredit höchstwahrscheinlich zurückzahlen wird. Gegebenenfalls könne sie die Fahrräder als Sicherheit wieder verkaufen. Mit diesen Ausfallwahrscheinlichkeiten wisse die Bank umzugehen, so der Junior Professor am Economics Department der Frankfurt School of Finance & Management. „Mit dem Klimawandel ändert sich gerade vieles. Wir haben die sogenannten physischen Risiken, durch die sich die Natur und die Umwelt direkt ändern und Landwirte und andere Firmen den Risiken direkt ausgesetzt sind”, erklärt er. Um diese – inzwischen leider nicht mehr so ungewöhnlichen – Vorkommnisse wie Stürme oder Brände zu vermeiden, ändere sich gerade die Funktionsweise der Ökonomie und man komme in Neuland, wo man nicht genau wisse, welche Geschäftsmodelle jetzt funktionieren. „Mit diesen Risiken umzugehen, das muss der Finanzmarkt erst einmal lernen.”

Bei nachhaltigen Geldanlagen kommt trotzdem der Greenwashing-Vorwurf auf. Die Finanzbranche ist sich der fragwürdigen Thematik bewusst und laut des diesjährigen FNG-Marktberichtes der Ansicht, dass diese dem Dialog um nachhaltige Geldanlage Möglichkeiten langfristig schaden könnte. Inzwischen ist klar, dass grüne Investitionen und Rendite einander nicht ausschließen – dennoch wünscht sich ein Großteil der Befragten, so der Marktbericht weiter, klare Definitionen und eine „Harmonisierung” der regulatorischen Vorgaben. Seit August 2022 gibt es die sogenannte Nachhaltigkeitspräferenzabfragepflicht. Berater müssen also die nachhaltigen Wünsche ihrer Kunden einbeziehen und nur Finanzinstrumente empfehlen, die diesen Wünschen entsprechen. Innerhalb eines Jahres sind auch Mindestanforderungen hinzugekommen, so dass die nicht geschützten Begriffe „nachhaltig, ökologisch, klimaneutral” nicht mehr vorgeschoben werden können. Wo Nachhaltigkeit steht, soll jetzt auch Nachhaltigkeit drin sein. Zu den Mindestanforderungen gehören etwa Gütesiegel für Portfolio-Titel, wie das FNG-Siegel. Unter anderem gilt der Uranbergbau (wie Kohleabbau) nun als Mindestausschlusskriterium.

Klar ist, dass die wenigsten wissen, wie mit der Klimakrise umzugehen ist. Langfristig planen, die Risiken abschätzen – das ist mit einer von Menschenhand geschaffenen Krise nicht gerade einfach. Auf der anderen Seite sitzen gerade in der Finanzbranche die Menschen, die mit ihren Mitteln aktiv etwas unternehmen können. Sie haben das Know-how und die Kontakte, Geld richtig einzusetzen. Für ihre Kunden bedeutet das: Mit ruhigem Gewissen einen Beitrag für eine grünere Zukunft leisten und dabei nicht auf Rendite verzichten. (ml)

Agnes Sauter                                                                              Oliver Schenker
Leiterin Ökologische Marktüberwachung                                     Climate Economist
Deutsche Umwelthilfe e.V                                    Frankfurt School of Finance & Management