Von Signalen und von weißem Rauschen
14.09.2020
Frederik G. Hildner / Foto: © Salm-Salm & Partner GmbH
Wir könnten an dieser Stelle einmal mehr die verschiedensten Aspekte diverser Finanzmärkte beleuchten. Die Stichpunkte dieser Übung sind weithin bekannt: Growth über Value, Large über Small, USA über den Rest der Welt und Tech über alles! QE-4, Geldmengen und Umlaufgeschwindigkeit, Indexkonzentration und die Big Five. Und wer richtig streiten mag, bezieht Position zu Wirecard, Tesla, Apple und dem Sinn und Unsinn von Aktiensplits.
Die heutige Botschaft ist simpler, weitertragend und fast schon mit dem Zaunpfahl gewunken. Am vergangenen Donnerstag erklärte Fed-Präsident Jerome Powell am Rande des Jackson-Hole-Notenbanksymposiums der Welt den runderneuerten Ansatz amerikanischer Geldpolitik für die kommenden (mindestens) fünf Jahre:
Im Gegensatz zur EZB hat die US-Zentralbank FED seit 1977 ein duales Mandat, welches einerseits Preisstabilität und andereseits hohe Beschäftigung sichern soll. Ein drittes Ziel sind langfristig moderate Zinsniveaus. Bisher wurde dieser öffentliche Auftrag als eindeutig inflationszentrisches Konzept gelebt. Dennoch wurde das 2%-Inflationsziel seit 2010 im Durchschnitt um rund 0,4% jährlich verfehlt (in Europa betrug die Unterschreitung es 0,8% p.a ).
Diese Lücke soll durch künftiges Überschießen wieder auf einen symmetrischen Mittelwert von 2% gehoben werden. Deshalb nennt man dieses Konzept ein „symmetrisches Inflationsziel“ mit Rückschau und Kompensation.
Das gedankliche Gerüst hinter dem dualen Mandat und dem bisherigen Vorgehen ist die sogenannte Phillips-Kurve, welche einen Zusammenhang zwischen Inflation und dem Grad der Beschäftigung beschreibt. Hohe Beschäftigung geht grundsätzlich mit hohen Preissteigerungen einher und vice versa. Dies war zu Zeiten der erstmaligen Beschreibung des Zusammenhangs Ende der 1950er Jahre und später auch tatsächlich so zu beobachten. Ob Sie diesen Zusammenhang als kausal sehen oder nicht, hängt im Wesentlichen davon ab, ob Sie Monetaristen oder Anhänger Keynes' befragen.
Quelle: Gabler Wirtschaftslexikon
Der grundlegende Zusammenhang erscheint zunächst logisch und ist Inhalt jedes VWL-Grundstudiums. Allerdings nagt der Zahn der Zeit an diesem Konzept doch sehr deutlich.
Die westlichen Industrieländer entwickelten sich in den letzten Dekaden zunehmend zu Dienstleistungsgesellschaften mit saturiertem Konsumverhalten, weniger Neukonsumenten (demographischer Wandel), steigender Gesamt-Verschuldung (Staat, Haushalte und Unternehmen) und generell geringerem und wenig volatilem Wirtschaftswachstum. Diese grundlegenden Kräfte wurden durch die Effekte der Globalisierung in den 1990er und 2000er Jahren noch gut kaschiert. Die letzten 10 Jahre haben allerdings gezeigt wie geringes Wachstum, geringe Inflation und somit auch geringe Zinsniveaus miteinander einhergehen. Und all dies bei nahezu Vollbeschäftigung in vielen OECD Ländern.
Die Phillips-Kurve wurde zusehends flacher à offenbar hat die hohe Beschäftigung keinen wesentlichen Preisdruck mehr verursachen können. Teilweise mag dies auch mit den gestiegenen Anteilen von Beschäftigten im Niedriglohnsektor erklärt werden können.
Quelle: Federal Reserve Bank of San Francisco, 15.07.2019
Die akademische Diskussion zum eventuellen Ende der Phillips-Kurve überspringen wir an dieser Stelle und widmen die verbleibenden Worte dem aktuellen Erkenntnisgewinn sowie der vorwärtsgewandten Perspektive.
Die FED verschiebt ihren Modus Operandi von der Inflationssteuerung auf den Arbeitsmarkt!
Die Zentralbank erkennt die Tatsache sich verändernder Rahmenbedingungen an, zielt nun primär auf eine hohe Beschäftigung und nimmt als möglichen Nebeneffekt eine Inflationsrate jenseits der 2% auch über längere Zeiträume billigend in Kauf. Man möchte ganz bewusst auch die zukünftigen Inflationserwartungen hochhalten: „…um dauerhaft niedrigen Erwartungen, wie sie im Ausland zu beobachten sind, vorzubeugen.“ Ein Seitenhieb auf die Zentralbanken Europas und Japans und gleichzeitig Zeugnis der Angst vor deflationären Tendenzen in der Psychologie der Massen.
Die Bedeutung für Anleger ist nicht zu unterschätzen
Jerome Powell betonte in seinen Ausführungen eindringlich, wie sehr die Amerikaner die Vollbeschäftigung vor Covid-19 als Idealzustand gepriesen hätten, und warum es deshalb ein gutes und ehrbares Ziel sei, danach zu streben.
Als Anleger antizipieren wir künftig eine modifizierte Reaktionsfunktion der US-Geldpolitik, welche als maßgeblichen Indikator die Arbeitslosenquote anstelle der realisierten Inflation und ihrer Zukunftserwartungen setzt.
Mit anderen Worten: Sofern die Arbeitslosigkeit nicht 3% unterschreitet und die Inflation 3% nicht überschreitet, ist von einer weiterhin expansiven Geldpolitik mit niedrigsten Zinsen und Asset-Kaufprogrammen auszugehen.
Insofern tauschen wir die althergebrachten Charts für Inflationserwartungen (10Y break even und 5Y inflation fwd swaps) gegen die untenstehende Arbeitslosenquote als Maßgabe für die erwartbare FED Notenbankpolitik (Fiskalpolitik mitunter bereits im Schlepptau).
Nach der Krise von 2008/2009 dauerte es ganze zehn Jahre, um von rund 10% Arbeitslosigkeit (U3 offizielle Quote) auf eine Quote von unter 4% zu gelangen. Die heutige Ausgangssituation ist ähnlich hoch: 10,2%.
Übrigens: Gegen Ende dieses Jahres gibt die Europäische Zentralbank ebenfalls die Ergebnisse ihrer strategischen Evaluation des Inflationsziels bekannt. So ein Zufall. Die Zentralbanker in Frankfurt haben „nur“ das singuläre Mandat der Preisstabilität zur Verfügung und werden daher ein anderes Gewand für ihre künftige Politik finden müssen als die FED. Im Ergebnis ist doch sehr ähnliches zu erwarten – schon alleine der Wechselkursmechanik geschuldet. Anderenfalls würde der Euro gegenüber dem US-Dollar weiter aufwerten und somit die europäischen Exporteure unter Druck bringen. Genau auf diesen ruht jedoch die Hoffnung auf eine rasche Erholung, deutlich mehr als auf dem europäischen Binnenmarkt.
Verwundert stelle ich immer wieder fest, wie wenig Aufmerksamkeit auf derartig grundlegende Signale entfällt, während die temporären Blüten des Kapitalmarkts unentwegt und aus allen Blickwinkeln betrachtet werden.
Kommentar von Frederik G. Hildner, Leiter Portfoliomanagement Salm-Salm & Partner GmbH