Vermittler sterben aus
10.08.2023
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Sind Vermittler am Ende? Seit Jahren zieht ein Schreckgespenst in der Versicherungs- und Finanzbranche durch die Medien und kündigt Provisionsverbote und andere Konsequenzen für den Berufsalltag der Berater an. Doch die wahre Gefahr sind nicht irgendwelche neuen Gesetze oder FinTechs, sondern die Demografie.
Aktuell gibt es viele überalterte Berater im Vertrieb. Im Schnitt sind Vermittler laut Studien Mitte bis Ende 50 Jahre alt, männlich und werden zu großen Teilen voraussichtlich in den nächsten zwei bis maximal zehn Jahren in Rente gehen. Auch in vielen Ausschließlichkeitsorganisationen und Vertrieben sind vermehrt Vermittler aus den älteren Jahrgängen anzutreffen. Versicherungsvermittler und Finanzdienstleister sollten das Problem der Demografie gut kennen, denn sie sollten ihre Kunden dazu im Rahmen der Altersvorsorge ja beraten. Mehr Berater gehen in Rente als junge Menschen nachkommen, die in diesem Beruf arbeiten wollen. Das liegt auch am schlechten Image des Berufes und der Versicherungs- & Finanzbranche selbst. Aktuell bringen hauptsächlich Strukturbetriebe neue Kollegen in den Beruf. Dafür sollten wir ihnen alle wirklich dankbar sein.
Das Ende der Branche?
Viele große Versicherer, Maklerpools und FinTechs sind auf diesen neuen Trend, den die überalterte Branche mit sich bringt, bereits bestens vorbereitet. Dort sollen sich Kunden künftig hinwenden, wenn ihr Berater in Rente geht, erkrankt oder verstirbt. Denn: Viele andere Möglichkeiten bleiben den Endkunden bald nicht mehr. Für Versicherer und Pools bietet sich hier eine sehr lukrative Möglichkeit, die eigenen Margen zu erhöhen, da sie durch Apps und digitale Portale für „Selbstverwalter” eine Menge Geld sparen können. Kosten für den Außendienst und die Kundenbetreuung entfallen fast komplett. Selbst wenn künftig weniger Neugeschäft abgeschlossen wird, wird die Bestandsprovision weiter fließen.
Es gibt einen Grund, warum die Pools darauf drängen, dass nur deren App oder Plattform verwendet wird und nicht jeder Makler eine eigene besitzt. Oder warum manche Versicherer Bonifikationen bezahlen, wenn Kunden der digitalen Verwaltung ihrer Verträge zustimmen. Am Ende des Tages wird nicht die EU mit einem Provisionsverbot und auch nicht die FinTechs mit krasser Disruption den Finanzberater hinrichten, sondern die Demografie – und die trägen Kunden bleiben dort, wo sie schon vorher waren.
Aussichten für den Beruf des Versicherungsvermittlers
Aktuell gibt es etwa 200.000 registrierte Vermittler in Deutschland. Von diesen sind viele nebenberuflich tätig oder verlassen den Berufsstand wieder, bevor sie überhaupt einen auskömmlichen Kundenstamm aufgebaut haben. Schätzungsweise sind aktuell vielleicht nur etwa 100.000 von diesen Vermittlern dauerhaft hauptberuflich tätig. Und nur etwa 10 % davon sind jünger als 40 und nur ca. 2 % unter 30. Die aktuelle demografische Lage unterstreicht diese Zahlen noch einmal und verdeutlicht, wie brisant die Situation derzeit schon ist. In den nächsten 10 bis 20 Jahren werden noch einmal deutlich mehr Vermittler aus der Branche aussteigen als neue Berater den Beruf ergreifen. Selbst beim Marktführer DVAG sank bereits 2022 trotz großer Recruiting-Bemühungen die Gesamtzahl der Vermögensberater – sie konnten weniger neue Vermögensberater anwerben als aus Altersgründen ausschieden. Deren Kunden haben jedoch weiterhin Beratungsbedarf, auch über den Ruhestand ihres Beraters sowie den eigenen Ruhestand hinaus. Schon 2024 wird der erste demografische „Point of no Return” erreicht, denn dann darf der 1. Jahrgang der Generation Babyboomer (Baujahr 1958) in Rente gehen. Der geburtenstärkste Jahrgang der Babyboomer war 1964 und darf demnach ab 2031 in Rente, das sind rund 1,3 Millionen Personen. Die Anzahl der Kunden stagniert also oder sinkt leicht, die Anzahl der Berater jedoch sinkt jedes Jahr schneller und schneller. Deshalb versuchen die Versicherungskonzerne, eigene Apps zu etablieren oder sind digitalen Plattformen fast wehrlos ausgeliefert. Vor allen Dingen in den kleinen und mittleren Sparten wie z. B. bei Privatsach, wie einer Kfz-, Hausrat-oder Privathaftpflichtversicherung werden Kunden künftig ohne Betreuung eines Experten auskommen und alles über eine App regeln müssen. Das bedeutet, dass die Marge für die Anbieter solcher Plattformen künftig stark steigen wird. Dieser Trend lässt sich derzeit genauso wenig aufhalten wie der demografische Wandel und der damit einhergehende Fachkräftemangel.
Doch was ist zu tun?
Das Massengeschäft wie Kfz- oder Tierversicherungen wird es im Überfluss geben, und es wird nicht (mehr) als Strategie zur Neukundengewinnung funktionieren. Oder besser gesagt: Warum sollten Berater sich mit Kleingeld beschäftigen, wenn es zu wenig Berater für Premiumgeschäft wie z. B. PKV, BU, Altersvorsorge oder Gewerbe gibt? Die einzig logische Strategie ist, sich frühzeitig auf Premiumkunden zu fokussieren, die individuelle Beratung & Betreuung brauchen und sich diese auch leisten können. Wer als Berater imstande ist, die Herausforderungen dieser Menschen mit hohem Einkommen und Lebensstandard zu lösen, wird ein begehrter Ansprechpartner sein. Alle anderen Kunden, die wirtschaftlich nicht einträglich sind, werden zu Apps & FinTechs switchen (müssen).
Jeder Berater muss sich heute überlegen, wie er Kunden anzieht, die nicht nur Umsatz, sondern auch Gewinn bringen. 100 Kleinkunden bringen zwar Umsatz, aber niemals so viel Marge wie zehn gute Top-Kunden. Künftig wird eine Berater-Positionierung auf die richtige Klientel nicht mehr nur wichtig sein, sondern auch darüber entscheiden, ob der Berufsstand des Vermittlers bestehen bleibt oder nicht.
Wladimir Simonov
Versicherungsmakler und
Coach für Finanzdienstleister