Strategisch denken

11.06.2015

Stefan Kuehl

Die BU-Versicherung ist die qualitativ höchstwertige aber auch teuerste Absicherung der Arbeitskraft. Doch den Beratern bieten sich mittlerweile auch vielfältige andere Konzepte. Um ihre Kunden zum gesamten Spektrum bestens beraten zu können, müssen sie sich allerdings laufend weiterbilden. finanzwelt sprach hierüber mit Stefan Kuehl, Vertriebsgeschäftsführer von Swiss Life Select.

finanzwelt: Herr Kuehl, provokant gefragt: Ist die BU eigentlich nur noch ein Produkt für „Schreibtischtäter" und „Betuchte"?

Kuehl: Eine weitsichtige und strategische Vorsorgeplanung sollte die frühzeitige Absicherung eines potenziellen Berufsunfähigkeitsrisikos unbedingt beinhalten. Die klassischen BU-Tarife bieten einen hochwertigen und zuverlässigen Schutz im Falle des Verlusts der eigenen Arbeitskraft. Verständlicherweise hat eine solche Produktleistung auch ihren Preis. Es ist richtig, dass es Verbraucher gibt, für die diese Tarife ungeeignet sind, beispielsweise bei gesundheitlichen Einschränkungen, in bestimmten Berufen oder geringeren Einkommensgefügen. In diesen Fällen können die verschiedenen BU-Alternativen, angefangen von der Erwerbsunfähigkeitsversicherung (EU) über die Grundfähigkeitsversicherung und Dread Disease bis zur Multi Risk Police, sinnvolle und effiziente Vorsorgemaßnahmen sein.

finanzwelt: Psychische Erkrankungen dominieren mittlerweile die BU. Was hat das noch mit der Realität bei der Berufsgruppen-Einteilung der Versicherer zu tun?

Kuehl: Ohne Zweifel ist es unabhängig von dem Thema Psyche so, dass bestimmte Berufsgruppen höheren Risiken ausgesetzt sind als andere. Auch wenn sich die Berufsbilder – darunter zum Beispiel Kfz-Mechaniker oder Flugzeugbauer – teilweise in den letzten Jahren stark gewandelt haben, weisen sie ein potenziell höheres Risiko für den Verlust der Arbeitskraft auf. Für Versicherer gilt es hier, die Prämien risikoadäquat zu berechnen, um sicherstellen zu können, dass ein Kunde im Ernstfall seine Leistungen auch bekommt.

finanzwelt: Bisher galt die BU als Masterplan des Vertriebs bei der Versicherung der Arbeitskraft. Mittlerweile schieben sich auch die von Ihnen angesprochenen BU-Alternativen immer stärker ins Bewusstsein. Müssen sich die Vermittler angesichts einer wachsenden Bedeutung dieser Alternativen völlig neu orientieren bzw. stellen Sie einen größeren Informationsbedarf seitens der Berater fest?

Kuehl: Die klassischen BU-Tarife, deren Leistungsspektrum in den letzten Jahren sukzessiv weiterentwickelt und angepasst wurde, bleiben weiterhin die qualitativ hochwertigste aber eben auch kostenintensivste Lösung – und stehen unter anderem deshalb nicht jedem Verbraucher zur Verfügung. Hier sind wir als Branche aktiv gefragt, die Beraterinnen und Berater für die am Markt erhältlichen guten Alternativen zu sensibilisieren und sie im Sinne fortlaufender Qualifizierungsmaßnahmen zu schulen. Das ist besonders im Hinblick auf diejenigen Berufsgruppen wichtig, die sich aufgrund ihrer geringeren Einkommenssituation klassische BU-Tarife einfach nicht leisten können. Diese Menschen brauchen eine bedarfsgerechte Absicherung aber natürlich genauso und müssen deshalb individuell und qualifiziert beraten werden. Grundsätzlich ist es wichtig, die Vorsorgethemen immer ganzheitlich zu betrachten und bei der Beratung die unterschiedlichen Risiken zu berücksichtigen. In diesem Zusammenhang gilt es, die Langlebigkeit der Menschen in unserer heutigen Gesellschaft als Risiko bei der Finanz- und Vorsorgeplanung zu kalkulieren. Das wiederum beinhaltet neben einer angemessenen Altersvorsorge auch das Thema Pflegevorsorge. Für Vermittler wird eine ganzheitliche und bedarfsgerechte Beratung, die jede für den Kunden gangbare Vorsorgelösung berücksichtigt, also das A und O bleiben.

finanzwelt: Und der Informationsbedarf der Berater?

Kuehl: Die Notwendigkeit für fortlaufende Qualifizierungsmaßnahmen auf Beraterseite ist nicht erst mit Umsetzung der Brancheninitiative „gut beraten" erwachsen, sondern durch die permanenten Entwicklungen der Marktbedingungen und Produktwelten vorgegeben. Es ist richtig, dass die Alternativlösungen im BU-Bereich in der Breite noch zu wenig bekannt sind, was auch daran liegen mag, dass der Reifegrad dieser Produkte noch nicht mit den klassischen BU-Varianten mithalten kann, einfach deshalb, weil es sie noch nicht so lange gibt. Insofern müssen wir unsere Beraterinnen und Berater weiterhin intensiv schulen und bezogen auf die verschiedenen Segmente und Produkte hin ausbilden und weiterentwickeln.

finanzwelt: Jede Alternative für sich betrachtet stellt eine Ausschnittdeckung dar. Lässt sich hierüber eine Prioritätenliste erstellen, an der sich der Vertrieb in einem ersten Schritt orientieren kann?

Kuehl: Ja, das ist ganz klar der Fall, denn auch bei den Alternativen gibt es Unterschiede. Für diejenigen Verbraucher, für die ein BU-Tarif nicht in Frage kommt, ist die EU bei der Priorisierung der Alternativen die erste Wahl. Denn eine Erwerbsunfähigkeitsrente deckt im Vergleich zu den anderen Alternativlösungen das größte Spektrum ab, darunter zum Beispiel auch psychische Erkrankungen. An zweiter Stelle hinter der EU sehen wir die Grundfähigkeitsversicherung. Diese erbringt bei Verlust grundlegender menschlicher Fähigkeiten (u. a. Hör-, Sprach- oder Sehvermögen) Leistungen unabhängig davon, ob der Betroffene weiterhin einen Beruf ausüben kann. Zusatzbausteine wie Pflegerentenoptionen können übrigens auf Wunsch und nach Eignung bei beiden Alternativen angeboten werden und den Schutz entsprechend ergänzen. An dritter Stelle folgt die Absicherung über Dread Disease, die schwerwiegende Erkrankungen wie Krebs oder Herzinfarkt absichert. Die Leistungen werden dabei in Form einer Einmalzahlung erbracht und können die Mitversicherung von Kindern oder die Absicherung im Todesfall einschließen. Die Multi Risk Police sichert spezifische, klar eingegrenzte Risikofälle ab und ist in diesem Sinn also eher eng definiert. (hwt)

finanzwelt Special 03/2015 Biometrie – bAV – bKV