Probleme gehen durch Ignorieren nicht weg
19.08.2015
"Wenn ein Staat seine Schulden nicht begleichen kann, muss ein echter Schuldenschnitt möglich sein."
**"Tsipras genießt einen enormen Rückhalt in der Bevölkerung und hat alle Chancen, eine umfassende Modernisierung des Landes voranzutreiben."
**
"Wenn die Politik sich nicht klaren Regeln unterwirft oder Souveränität an europäische Institutionen abgibt, sind Krisen wie in Griechenland immer wieder möglich."
Der Bundestag hat dem dritten Rettungspaket für Griechenland zugestimmt und damit den Weg für ein rund 80 Milliarden schweres Programm freigemacht, obwohl sich der Internationale Währungsfonds (IWF) noch nicht abschließend zu seiner Beteiligung geäußert hat. Dafür hat er gute Gründe: Griechenland wird seine Schulden (real) nicht begleichen können.
Wenn etwas nicht ewig währen kann, dann muss man sich darauf einstellen, dass es früher oder später endet. Diese „Weisheit“ gilt auch für die Tragfähigkeit der griechischen Staatsschulden. Jeder weiß, dass Griechenland seine Schulden nicht wird zurückzahlen können. Der IWF hat dies in der Vergangenheit in Form mehrerer Schuldentragfähigkeitsanalysen nachgewiesen und Frau Lagarde hat diese Einschätzung jüngst wieder bekräftigt. Auch der ESM äußert erhebliche Zweifel daran, dass Griechenland die Schulden vollumfänglich wird bedienen können. Er zeigt allerdings auch die potentiellen Lösungswege auf: drastische Streckung der Tilgungen und deutliche Reduktion der Zinslast. Mit anderen Worten: Wenn es schon zu einem realen Schuldenschnitt kommt, dann soll zumindest ein nominaler Schuldenschnitt verhindert werden. Was für eine Ironie! Wenn nach der Nicht-Beistandsklausel der EU-Verträge ein nominaler Schuldenschnitt untersagt sein soll, dann muss ja wohl nach gängiger teleologischer Auslegung ein faktischer Schuldenschnitt durch Zins- und Tilgungsstundung genauso vertragswidrig sein. Schließlich sollen Verträge ja nicht nur dem Buchstaben, sondern auch dem Geiste nach eingehalten werden.
Der eigentliche Grund für das Lavieren um das Thema Schuldenschnitt ist auch weniger in den Verträgen zu suchen, als vielmehr in der Scheu der Politiker, vor den Wähler zu treten mit der Botschaft: Das Geld ist weg. Offensichtlich wollen viele Politiker das Problem lieber auf die lange Bank – oder in die nächste Legislaturperiode – schieben und nicht selbst Überbringer der schlechten Nachricht sein. Mit dieser Vorgehensweise wird die Schuldenproblematik Griechenlands nicht gelöst, sondern lediglich auf Wiedervorlage geschoben. Wenn aber ein faktischer Schuldenschnitt unumgänglich ist, dann wäre ein nominaler Schuldenschnitt die ehrlichere Variante. Wenn ein Staat – wie im Falle Griechenlands – seine Schulden nicht bedienen kann, muss ein echter Schuldenschnitt möglich sein.
„Probleme ignorieren“ war allerdings lange Zeit auch die Devise in Griechenland selbst. Der enorme Modernisierungsstau in dem Land ist von den verschiedenen Regierungen in der Vergangenheit gekonnt ignoriert worden. Auch Premierminister Alexis Tsipras hat sich lange Zeit gegen diese Erkenntnis gesträubt. Nach den zähen und konfrontativen Verhandlungen, in deren Verlauf Griechenland am Abgrund stand, ist dem Land nur zu wünschen, dass die Regierung jetzt ihre historische Chance beim Schopfe packt und das Land wirklich umfassend modernisiert: Korruption bekämpfen, Verwaltung und Steuergesetze modernisieren. Tsipras genießt einen enormen Rückhalt in der Bevölkerung und ist unverdächtig, Teil einer korrupten Machtelite zu sein. Zur Erinnerung: Auch Gerhard Schröder ist nicht als Reform-Kanzler gestartet und hat sich am Ende zum entschiedenen Reformer entwickelt – sogar gegen seine Parteiinteressen (wie es sich jetzt auch in Griechenland abzeichnet). Vielleicht haben die Griechen ein ähnliches Glück mit Tsipras. Zu gönnen wäre es ihnen.
Das Vorgehen in der Europäischen Währungsunion legt allerdings auch wieder einmal die institutionellen Schwächen der Europäischen Währungsunion bei der Durchsetzung von Regeln bloß. Diese Schwierigkeiten können nur überwunden werden, wenn die Staaten Souveränität abgeben und zwar entweder an Institutionen oder eben an sanktionsbewehrte Regeln. Nach beidem sieht es derzeit nicht aus: Seit Beginn der Finanzkrise ist vielmehr zu erkennen, dass sich die Einzelstaaten mehr Entscheidungshoheit zurückholen. Die Abgabe von Souveränität an Regeln ist bereits so oft an Regelbrüchen gescheitert, dass dieser Weg kaum noch glaubwürdig vermittelt werden kann. Wenn sich die Politik diesem Problem nicht mit Nachdruck widmet, sind Krisen wie in Griechenland immer wieder möglich.
Autor: Dr. Martin Moryson, Chefvolkswirt von Sal. Oppenheim