Neue Eurokrise?

20.03.2024

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Während der Pandemie ist die Staatsverschuldung stark gestiegen. Laut aktuellen Prognosen dürfte das auch dauerhaft so bleiben. Führt dies zu einem erneuten systemischen Risiko bei den Peripherieländer der Eurozone, ähnlich wie vor der Eurokrise? Die Sorgen sind unbegründet, meint John Taylor, Director – Global Multi-Sector bei AllianceBernstein. Warum er das Umfeld von Euro-Staatsanleihen positiv einschätzt und wo er Chancen für Investoren sieht, erklärt er in seinem Marktkommentar.  

Die Pandemie-Jahre haben die Staatsschuldenquoten in ganz Europa in die Höhe getrieben. Dies macht insbesondere Peripherieländer der Eurozone heute wesentlich anfälliger für wirtschaftliche Schocks – eine Spätfolge der dauerhaft rückläufigen Wirtschaftsleistung und der stärker von staatlichen Eingriffen geprägten Fiskalpolitik. Auch wenn sich inzwischen die Schuldenquoten etwas stabilisiert haben, werden sie laut Prognosen der Europäischen Kommission wohl in den kommenden zwei Jahren nicht nennenswert zurückgehen. Sie werden größtenteils deutlich über dem im Stabilitäts- und Wachstumspakt (SWP) der Europäischen Union festgelegten Grenzwert verharren.

Die Volkswirtschaften stabilisieren sich Das klingt zunächst beängstigend und lässt Erinnerungen an die Euro-Krise aufkommen, tatsächlich ist die Situation in den allermeisten der Peripheriestaaten jedoch deutlich positiver. Insgesamt haben die EU-Peripheriestaaten – Griechenland, Irland, Italien, Portugal und Spanien – ihre Staatsschuldenquoten seit der Pandemie bereits deutlich reduziert und machen weiterhin Fortschritte. Einzig Italien stellt mit einer Schuldenqote von weit über 140 Prozent eine Ausnahme dar. Und auch wenn die Verschuldung weiterhin auf einem hohen Lebel bleiben dürften, sehen die Wachstumstrends für die europäischen Peripheriestaaten recht günstig aus. In letzter Zeit haben diese Länder besser als ihre Nachbarn in Nordeuropa abgeschnitten.

Mit ihren stärker auf Dienstleistungen ausgerichteten Volkswirtschaften, sind sie weitaus weniger auf Energie und den Welthandel angewiesen als etwa Deutschland und die Niederlande. Diese Entwicklung spiegelt sich mittlerweile auch bei der Einstufung der Kreditwürdigkeit der europäischen Peripheriestaaten wider. Portugal ist auf dem besten Weg, ein A-Rating zu erhalten, und auch Griechenland wird von führenden Ratingagenturen seit Kurzem wieder als „Investment Grade“ eingestuft. Irland nähert sich dem Status „AA“, während sich Spanien weiterhin auf einem soliden A-Niveau befindet.

Neue Strukturen wirken systemischen Risiken entgegen Auch politisch und strukturell sind wir heute in einer anderen Situation als zu Beginn der Eurokrise. Als Reaktion auf die pandemiebedingte Notlage erhielt die Europäische Kommission die Befugnis, bestimmten Ländern der Eurozone über die Aufbau- und Resilienzfazilität (2021) sowohl Kredite als auch Finanzhilfen zu gewähren. Das war der erste Schritt zum Aufbau einer Struktur für die gemeinsame Schuldenaufnahme in der EU, um den Bedürfnissen einzelner Mitgliedstaaten Rechnung zu tragen und ihre Finanzierungskosten zu senken. Gegenwärtig überarbeitet die Europäische Kommission ihren Ansatz zur Steuerung der Staatsverschuldung.

Während die ursprünglichen SWP-Regelungen eine feste Obergrenze für Defizite und Schuldenquoten vorsahen (die 3% bzw. 60% des jeweiligen BIP nicht übersteigen durften), ermöglichen die vor Kurzem vereinbarten Änderungen einen flexiblen länderspezifischen Ansatz zur Verringerung der Verschuldung. Dieser neue Ansatz wird sowohl die Haushaltsdisziplin stärken als auch zur Eindämmung von Marktverwerfungen beitragen, falls ein Land seine Ziele in einem bestimmten Jahr nicht erreicht – und zwar ohne das Wirtschaftswachstum dieses Landes gravierend zu beeinträchtigen.

Bankensystem wesentlich robuster aufgestellt Fortschritte gibt es auch bei der Architektur des Bankensystems. Die US-Regionalbankenkrise und der Zusammenbruch der Credit Suisse im vergangenen Jahr haben zwar kurzfristig Sorgen ausgelöst. Es hat sich jedoch auch gezeigt, dass die Bilanzen der Banken heute wesentlich robuster sind als vor der globalen Finanzkrise. In Europa trugen die 2014 eingeleiteten Reformen der Bankenaufsicht dazu bei, die Überwachung zu verbessern und die Stabilität des Bankensektors zu erhöhen. Höhere Liquiditätsquoten und ein stärkerer allgemeiner Regelungsrahmen haben dazu beigetragen, eine Ausweitung regionaler Krisen auf globaler Ebene zu verhindern.

Auch wenn sich der systemische Druck im Jahr 2022 erhöht hat, war diese Phase von relativ kurzer Dauer. Die Risiken für ein Übergreifen vom Finanzsektor auf die Realwirtschaft waren wesentlich geringer als bei vergangenen Krisen. Dank der zusätzlichen Sicherheitsmaßnahmen verliefen auch die ersten Phasen der geldpolitischen Straffung durch die EZB plangemäß: Die quantitative Straffung im Rahmen des APP, die im März 2023 begann, gestaltet sich reibungslos, und die Ankündigung, dass das PEPP ausläuft und eingestellt wird, hat die Spreads der Staatsanleihen nicht beeinträchtigt.

Zinssenkungen werden Finanzierungskosten weiter verringern Insgesamt können Investoren also durchaus optimistisch bei EU-Staatsanleihen sein. Günstigere strukturelle und aufsichtsrechtliche Bedingungen dürften dazu beitragen, einer unverhältnismäßigen Kreditaufnahme entgegenzuwirken und systemische Schocks zu verhindern. Wenn die EZB wie allgemein erwartet im Sommer mit Zinssenkungen beginnt, werden sich im Laufe der Zeit die Finanzierungskosten für staatliche Kreditnehmer in der Eurozone weiter verringern würden. Anleger brauchen sich daher von systemischen Bedenken nicht verschrecken lassen, vielmehr sollten sie die positiven Entwicklungen einzelner Emittenten als Chance begreifen. (ah)

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