KI-gesteuertes Forderungsmanagement – Finance & Controlling der Zukunft
28.02.2023
l. Pierre Schramm, chief Revenue Officer / r. Sebastian Hoop, CEO, FinTech collectAI / Foto: © collectAI
Trotz einiger Vorbehalte wird Künstliche Intelligenz inzwischen von vielen Unternehmen der Finanzbranche zur Steuerung ihrer Geschäftsprozesse genutzt. Über das Potenzial der KI, ihre Vorteile sowie die Einsatzmöglichkeiten geben Sebastian Hoop (CEO) und Pierre Schramm (CRO) vom FinTech collectAI Auskunft.
KI verändert zahlreiche Geschäftsfelder wie den Bereich Finance & Controlling rasant. Trotz der Vorteile durch dessen Nutzung in der Finanzabteilung zögern einige Führungskräfte noch. Warum ist das so?
Sebastian Hoop: KI hat das Potenzial, den Wirkungsgrad und die Leistungsfähigkeit im Finance & Controlling grundlegend und nachhaltig zu verändern, indem sie gezielt dabei hilft, Prozesse zu automatisieren, Risiken zu minimieren und Entscheidungen zu verbessern. Es gibt aber auch Bedenken bezüglich der Einführung von KI, insbesondere mit Blick auf Datensicherheit, fehlende Transparenz und mögliche Jobverluste. Diese Bedenken sollte man ernst nehmen. Wir empfehlen, dass sich Unternehmen vor der Nutzung von KI einer umfassenden Reifegrad-Analyse unterziehen. Dadurch wird sichergestellt, dass die notwendigen Ressourcen, das Know-how und der nötige Transformationswillen vorhanden sind.
Wie kann aus Ihrer Sicht hier das Misstrauen nachhaltig abgebaut werden?
Sebastian Hoop: Um das Misstrauen gegenüber dem Einsatz von KI im Finanzwesen (sowie in Unternehmen generell) nachhaltig abzubauen, habe ich folgende Empfehlungen:Unternehmen sollten ihre KI-Systeme und deren Einsatz so konzipieren/auswählen, dass KI-basierte Prozesse und Entscheidungen für jeden nachvollziehbar und verständlich sind. Zudem müssen Unternehmen bzw. deren KI-/SaaS-Provider sicherstellen, dass KI-Systeme ausreichende Datensicherheit und Datenschutz gewährleisten und die Regulierungsvorschriften zwingend einhalten. Die Europäische Union arbeitet derzeit an einem europäischen Ansatz für den Einsatz von KI. Auch die Aufklärung der Mitarbeitenden über die Anwendung von KI und ihre Vorteile, aber auch über die Risiken sowie den Einfluss auf die Arbeit ist notwendig.
Darüber hinaus sollten Unternehmen ihre Erfahrungen und Erkenntnisse mit anderen Branchenkollegen und Institutionen teilen. So lässt sich die eigene Branche insgesamt sowie das Vertrauen der Märkte und der Menschen stärken. Auch der Austausch in CFO und/oder CDO-Netzwerken ist hier förderlich. Es sollte sichergestellt werden, dass Mitarbeitende auf die Veränderungen vorbereitet werden und dass es gezielte Maßnahmen zur Anpassung gibt, um Jobverluste zu minimieren. Jobs und deren Anforderungen werden sich im Zuge der Digitalisierung weiterentwickeln. Mit dem Einzug der KI steigen die Anforderungen weiter.
Welche Möglichkeiten ergeben sich durch den Einsatz von KI-Anwendungen im Finanzwesen?
Pierre Schramm: Der Einsatz von KI-Anwendungen kann im Finanzwesen mannigfaltige Vorteile bringen. Die Automatisierung von Prozessen wie der Datenerfassung, -verarbeitung und -analyse sorgt dafür, die Effizienz und Geschwindigkeit von wiederkehrenden Prozessen zu erhöhen und Fehler zu reduzieren. Die automatische und fortwährende Analyse der Finanzdaten sorgt für eine kontinuierliche Risikominimierung, um in diesem Muster, die sich daraus ergebenden potenziellen Probleme frühzeitig zu erkennen.
Der Einsatz von KI ist eine Unterstützung für bessere Entscheidungen. Es hilft, Daten schneller und präziser zu analysieren und Prognosen anhand von Mustern und Szenarien zu erstellen. Zudem dient sie der Personalisierung der Finanz-Regelkommunikation im Zusammenhang mit Bestellungen, Rechnungen, Zahlungen und Mahnungen. Unternehmen, die erfolgreich KI-Anwendungen in der Finanzorganisation integrieren, erzielen belegbar deutliche Wettbewerbsvorteile, da sie ihre Prozesse durchgängig automatisieren und beschleunigen, ihre Risiken minimieren und ihre Entscheidungen kontinuierlich verbessern.
KI ermöglicht selbst bei großen Kundenstämmen, wie sie zum Beispiel bei Versicherern, Energieversorgern, Mitgliederverbänden und Unternehmen im Bereich Telekommunikation vorkommen, in jede Richtung maximales Personalisierungspotential. Das Ergebnis sind 1:1-personalisierbare Angebote und Kommunikation, was zu einer höheren Monetarisierung bei steigender Kundenbindung und letztendlich zu mehr Umsatz und einer besseren Customer Equity führt.
Woran scheitert die Nutzung bzw. Implementierung von KI-Tools derzeit noch?
Sebastian Hoop: Auch hier gibt es mehrere Faktoren, die die Nutzung bzw. Implementierung von KI-Tools derzeit behindern können. Grund Nummer eins ist mangelndes Verständnis. Einige Finanzmanager haben möglicherweise eine falsche Auffassung für die Möglichkeiten und Grenzen von KI-Technologien. Zudem wissen sie vielleicht nicht, wie sie diese am besten in ihren Abteilungen einsetzen können.
Auch die Datenqualität spielt eine Rolle. KI-Systeme sind nur so gut wie die Datenbasis, auf der sie trainiert werden. Wenn die Datenqualität nicht ausreichend ist, kann dies die Leistung von KI-Systemen deutlich beeinträchtigen. Man sollte also auf KI-as-a-Service setzen, weil sich die Qualität von kommerziellen Plattformen auf der Grundlage von hunderten und tausenden Mandanten kontinuierlich und sprunghaft weiterentwickelt. Hinzu kommen die Aspekte Datensicherheit und Datenschutz. Einige Finanzmanager haben Bedenken hinsichtlich der Sicherheit und des Schutzes der Daten, die in KI-Systemen verarbeitet werden. Auch hier lohnt es sich, bei der Zusammenarbeit mit Dritten auf Zertifizierungen wie TÜV, GoBD und ISAE zu setzen.
Ein für Unternehmen wesentlicher Faktor sind stets die Kosten. Der Einsatz von KI-Technologien kann unter Umständen teuer und aufwendig sein. Das gilt insbesondere, wenn Unternehmen sie selbst entwickeln oder entwickeln lassen. Auf „Buy“ statt „Make“ zu setzen bringt zahlreiche Vorteile. Neben den geldwerten sind es vor allem die technologischen. KI-as-a-Service ist in der Regel State-of-the-Art. Mit Eigenentwicklungen ist man nicht nur meist deutlich zu langsam, sondern vor allem auch „always behind“.
Die Furcht vor Jobverlusten kann den Einsatz ebenfalls bremsen. Einige Finanzmanager haben Bedenken, dass der Einsatz von KI-Systemen zu Jobverlusten (dem eigenen und dem der Mitarbeitenden) führen kann. Sicher ist, dass sich der Job des Finanzmanagers (und auch der des Forderungsmanagers) verändern und durch Digitalisierung, Daten- und IT-Know-how deutlich aufgewertet wird. Um zweifelnden Finanzmanagern den Einstieg zu erleichtern, empfehle ich, zunächst die Möglichkeiten und Grenzen von KI-Systemen besser zu verstehen und klar die Pros und Contras abzuwägen und zu kommunizieren.
Gibt es eine IT-Strategie, die Unternehmen beachten müssen, um KI-basierte Tools zu implementieren? Welche grundsätzlichen Strukturen müssen gegeben sein?
Sebastian Hoop: Ja, es gilt in der IT-Strategie Rahmenbedingungen zu beachten. Diese unterscheiden sich, je nachdem, ob man auf eine „Buy“- oder „Make“-Entscheidung setzt. Eine solide Datenstrategie ist die Grundlage für erfolgreiche KI-Implementierungen. Unternehmen sollten sicherstellen, dass sie Zugang zu qualitativ hochwertigen Daten haben und dass diese penibel gepflegt und geschützt werden.
Eine Cloud-Strategie ermöglicht es Unternehmen, KI-Tools und -Dienste einfacher und kosteneffizienter zu nutzen. Zudem verfügen Cloud-Anbieter meist über große Datenmengen, die die Grundlage für schnell lernende KI-Systeme sind. Unternehmen müssen sicherstellen, dass sie über die notwendigen Cloud-Ressourcen und -Kompetenzen verfügen, um KI-Tools und -Dienste effizient zu implementieren und/oder zu betreiben.
Auch eine solide Sicherheitsstrategie ist die absolute Grundlage für die Integrität und Sicherheit von Daten und KI-Systemen. Unternehmen müssen durch entsprechende Maßnahmen sicherstellen, dass ihre KI-Systeme gegen Angriffe jeder Art geschützt sind. Auch hier sind Cloud-Strategien im Vorteil. Um das notwendige Fachwissen und die Fähigkeiten zur Implementierung und Verwaltung von KI-Systemen zu entwickeln und aufrechtzuerhalten, braucht es die richtigen Talente und Kompetenzen.
Darüber hinaus ist das Aufstellen von Regeln und Richtlinien für die Verwendung von KI-Systemen essentiell, damit KI verantwortungsvoll und ethisch korrekt eingesetzt wird. Wesentlich ist, dass die Implementierung von KI-Systemen in die Geschäftsstrategie des Unternehmens integriert ist. Dann können sie konkrete Ziele unterstützen und zu einer ganzheitlichen Verbesserung der Geschäftsprozesse und Ergebnisse führen.
Mit collectAI sind sie im Bereich des KI-gesteuerten Forderungsmanagements aktiv. In welchen Branchen ist man hierbei bereits besonders weit oder liegt besonders stark zurück?
Pierre Schramm: collectAI ist im Kern ein FinTech-/DeepTech-Hybrid. Die Plattform wickelt den gesamten Lebenszyklus einer Forderung „End-to-End“ digital und KI-gesteuert ab. Auf Wunsch geschieht dies teil-autonom und voll in die IT- und Fibu-Systeme unserer Kunden integriert. Zu den Branchen, in denen sich die Automatisierung von Zahlungsprozessen und das digitale Forderungsmanagement bereits stark etabliert haben, zählen vor allem Versicherungen, Energie- und Versorgungsunternehmen, Unternehmen aus dem E-Commerce, der Telekommunikation und Finanzdienstleistungen.
In diesen Branchen werden häufig sehr hohe Volumina an Zahlungen und Forderungen verarbeitet und das Angebot an Zahlungsmöglichkeiten ist mannigfaltig. Das macht die Automatisierung von Prozessen und die Verwendung von KI-Systemen in vielen Belangen attraktiv. Diese Branchen haben in der Regel auch die Ressourcen und das Know-how, um KI-Systeme erfolgreich zu implementieren und zu nutzen. Der Druck, der sich durch die steigenden Kapital-, Arbeits- und Akquisitionskosten ergibt, wird den Trend hin zum KI-gesteuerten Forderungsmanagement in allen Branchen weiter beschleunigen.
Welche Entwicklungen erwarten Sie hierbei in den kommenden Monaten?
Sebastian Hoop: In Bezug auf die Entwicklungen von KI erwarten wir, dass die technische Entwicklung exponentiell voranschreitet und sich in immer mehr Branchen und Anwendungen durchsetzen wird. Insbesondere erwarten wir, dass KI-Systeme in den Bereichen automatische Datenanalyse, Prozessoptimierung und Entscheidungsunterstützung immer stärker genutzt werden. Ganz konkret wird es weitere Fortschritte in der Entwicklung von KI-Systemen, insbesondere im Bereich der maschinellen Lernverfahren geben, die es ermöglichen, KI-Systeme präzisere und anspruchsvollere Aufgaben ausführen zu lassen. Wir werden hier zunehmend mit voll autonomen KI-Systemen zu tun haben - auch und insbesondere im Finanzwesen.
Zudem werden wir eine zunehmende Verbreitung von KI-Systemen in unterschiedlichen Branchen und Anwendungsbereichen beobachten, insbesondere in Bereichen wie Finanzdienstleistung, Gesundheit, Energie und Produktion. Das wird zu einer deutlich steigenden Nachfrage nach KI-Fachkräften sowie zu einer zunehmenden Verknüpfung von KI-Fähigkeiten mit anderen technischen Fähigkeiten führen, wie z. B. Datenwissenschaft und Cloud-Computing. Zu beobachten sein werden auch Fortschritte bei der Entwicklung von Technologien, die es ermöglichen, KI-Systeme transparenter und nachvollziehbarer zu machen, um das Vertrauen der Öffentlichkeit in KI zu stärken.
Pierre Schramm: Für collectAI erwarten wir, dass wir unsere führende Position im Bereich der KI-gesteuerten Automatisierung von Zahlungsprozessen und des digitalen Forderungsmanagements weiter ausbauen werden. Wir gehören mit collectAI zu den First Movern in Sachen “KI in Finance” und haben gegenüber konventionellen SaaS-FinTechs im Bereich „Receivable-Management“ einen deutlichen Entwicklungsvorsprung. Schon bald werden wir unseren Kunden ein voll autonomes Forderungsmanagement anbieten können - wenn diese das wünschen.
In diesem Zuge werden wir unsere KI kontinuierlich verbessern und auf ihrer Basis weitere Lösungen entwickeln. Ziel ist ein noch höherer Wirkungsgrad in Sachen Effizienz und Erfolgsrate bei der Forderungsbeitreibung und dazu beizutragen, dass Zahlungsstörungen gar nicht erst entstehen. Schon heute können unsere Kunden z. B. vorhandene Kundendaten KI-gesteuert im Dialog mit ihren Kunden um digitale Kontakt-Punkte mit Double-Opt-in anreichern. Das senkt die Kosten, steigert die Effizienz im Forderungsmanagement immens und hat auch einen massiven Impact auf die Nachhaltigkeitsbemühungen unserer Kunden.
Unser Ziel ist es, End-to-End einen durchgängig autonom gesteuerten Order-to-Cash und Receivable-Management-Prozess zu ermöglichen mit der Konsequenz eine dauerhafte Reduzierung von Forderungen mit Zahlungsstörungen auf null. Außerdem erwarten wir, dass sich die Kooperation mit unserer Konzern-Mutter, der AarealBank positiv auf unsere Positionierung in der Immobilien- und Wohnungswirtschaft auswirken wird. Wir wollen auch in diesem Markt ein “KI-Innovationen, made in Germany-Zeichen” setzen.
Gastbeitrag von Sebastian Hoop CEO, FinTech collectAI und Pierre Schramm Chief Revenue Officer, FinTech collectAI