Keine Zeit zu verlieren

04.09.2023

Mathias Pianowski, ÖKOWORLD

Für eine nachhaltigere Welt sprechen sich viele aus. Doch ist es bereits Schlag zwölf oder haben wir noch genügend Zeit für den tiefgreifenden Wandel? Mathias Pianowski leitet seit Jahresbeginn gemeinsam mit Verena Kienel die Abteilung Nachhaltigkeits-Research der ÖKOWORLD. Er ist ein Mann klarer Worte, wie sich auch in diesem Interview herausstellt.

finanzwelt: Herr Pianowski, die Transformation der Wirtschaft in Richtung einer nachhaltigen, klimaneutralen Welt kostet. Haben wir denn genügend finanzielle Mittel, um ‚das Klima zu retten‘?

Mathias Pianowski» Wir müssen unverzüglich transformieren – da geht kein Weg dran vorbei. Die Kosten des Klimawandels sowie der Verlust von Artenvielfalt und Ökosystemen sind ungleich höher als die der Transformation. Es ist weltweit genug Kapital da, und die gesamtgesellschaftlichen Amortisationszeiten der Investments sind sogar vergleichsweise kurz. Das Problem ist die Fossillobby, die erfolgreich die Öffentlichkeit täuscht. Die wollen nicht auf ihren Stranded Assets in Billionenhöhe sitzen bleiben, sondern weiterhin viel Geld verdienen.

finanzwelt: Der Trend zur Nachhaltigkeit hat sich verfestigt. Insbesondere die Generation Z ist offen für nachhaltige Geldanlage. Gleichzeitig ist die Suche nach objektiven Kriterien, was unter entsprechenden Finanzprodukten zu verstehen ist, schwierig. Diese Beliebigkeit stört und lässt doch (bewusst) Grenzen verschwimmen.

Pianowski» Anlegerinnen und Anleger können wirklich nur sehr bedingt erkennen, welche Anlagen ethisch-ökologisch überzeugen. Es ist für Assetmanager zwar schwieriger geworden, sich das Label „Grün“ anzuheften, aber die Entwicklungen führen trotzdem am Thema vorbei. Selbst wenn Regulierer heute Fonds für grün oder nachhaltig halten, sind sie es zwangsläufig noch lange nicht. Es macht große Arbeit, alle indirekten Effekte von Anlagen genau zu betrachten. Es gibt keine Label, die das anzeigen. Wir als ÖKOWORLD werden auch für Dinge angezählt, die veraltet im Internet stehen oder schlichtweg Ausdruck einer Bewertung sind, die wir für falsch halten.

finanzwelt: Wie trennscharf ist Ihre Definition von Nachhaltigkeit?

Pianowski» Mir würde schon reichen, wenn niemand mehr von Nachhaltigkeit spräche, nur weil er ein paar ESG-Faktoren integriert. Entscheidend sind doch die Auswirkungen einer Geschäftstätigkeit auf Umwelt und Gesellschaft, also die Betrachtung von innen nach außen. Nachhaltigkeit muss die planetaren Grenzen beachten, deren ökologisch sichere Entwicklungspfade wir schon alle gerissen haben. Zudem sind die Menschenrechte durchzusetzen. Mittlerweile muss man einen Schritt weiter gehen und Natur- und Sozialkapital wieder aufbauen und zurückgewinnen. Es gibt Regulierungen bzw. Entwicklungen, die all das verkennen und die mir deshalb große Sorgen machen. Neben der Verwässerung der Global Reporting Initiative sind die jüngsten internationalen Rechnungslegungsstandards IFRS S1 und S2 ein aktuelles Beispiel. Sie propagieren, das Beste für Nachhaltigkeit zu sein, und viele große Unternehmen werden sie anwenden. Aber mit Nachhaltigkeit haben sie nichts zu tun. Das ist sogar noch gefährlicher, als wenn es gar nichts gegeben hätte. Ein Bärendienst und die letzte internationale Chance verspielt, echte Nachhaltigkeitsberichterstattung aufzusetzen.

finanzwelt: Oftmals hört man den Einwand der fehlenden Messbarkeit. Zu wenige Daten, mitunter falsche Vergleichbarkeit. Wie stehen Sie dazu? Wie läuft das bei ÖKOWORLD?

Pianowski» Sie müssen nicht alles perfekt messen können, um zielführende Entscheidungen zu treffen, sondern lediglich hinreichend. Bei den meisten Unternehmen braucht man gar nichts zu messen, sondern es reicht ein Blick auf das Geschäftsmodell und auf die Produkte und Dienstleistungen, um sie auszuschließen. Bei der ÖKOWORLD machen wir das Nachhaltigkeits-Research selbst und bei Unternehmen, die auf den ersten Blick in Frage kommen, natürlich sehr elaboriert. Wir prüfen, ob Produkte aus Bedürfnissicht überhaupt gebraucht werden und wie diese Produkte gestaltet sind. Wir gehen schließlich in die komplexen Wertschöpfungsketten und schauen uns betriebliche Prozesse mit der ökologischen und sozialen Brille an. Mit den Informationen kann man arbeiten. Ich würde mir allerdings deutliche Verbesserungen der Informationslage beim Thema Menschenrechte und Umweltschutz in Wertschöpfungsketten wünschen.

finanzwelt: Stringent in Ihrem Prozess, streng in Ihrem Urteil. Auch mit der hiesigen Landwirtschaft gehen Sie hart ins Gericht, oder?

Pianowski» Die aktuelle Form unserer Landwirtschaft zerstört die Böden und ist damit durch die externen Kosten weit teurer als Ökolandbau. Mehr als 80 % der landwirtschaftlichen Fläche in Europa sind mit Pestizidrückständen belastet. Industrielle synthetische Mineraldünger beeinträchtigen wichtige Organismen im Boden, was u. a. zu einer Verdichtung des Bodens und damit zu weniger Durchlüftung, trockenen Böden und zu mehr Überschwemmungen führt. Öko-Flächen können nämlich doppelt so viel Wasser im Boden speichern wie konventionelle Flächen und die Versickerung läuft um 40 % schneller. Agroforst- und Permakultursysteme stabilisieren den gesamten Landschaftswasserhaushalt. Entgegen von Mythen ist damit Ernährungssicherheit für alle Menschen der Erde kostengünstiger möglich.

finanzwelt: Nun ist ÖKOWORLD zwar ein etablierter Player im Nachhaltigkeitsuniversum, aber verglichen mit den großen internationalen Fondshäusern klein. Müssen nicht die „Großen“ mit Kraft und Nachdruck vorpreschen, um Wirkung zu erzielen?

Pianowski» Große Assetmanager wollen das entweder nicht, weil sie mit fossilen Geschäften gerade auch in den letzten zwei Jahren Rekordgewinne erzielen, oder sie haben Schwierigkeiten, die großen Summen renditestark unterzubringen. Trotz allem nimmt das Engagement der „Großen“ Fahrt auf, und das ist gut so.

finanzwelt: Abschließend (und um nicht zu verzagen) – haben Sie den Eindruck, dass Sie bei den Portfoliounternehmen etwas bewegen?

Pianowski» Ja. Ich erfahre auf Reisen immer wieder, dass der persönliche Kontakt zielführend ist und dass wir auch nach unserer Expertise gefragt werden. Unser Engagement stärkt Menschen, die in Nachhaltigkeitsbereichen von Unternehmen arbeiten. Es ist wichtig, dass Unternehmenslenker und Finanz- bzw. Investor-Relations-Abteilungen sehen, dass Investoren auch nach nicht-finanziellen Strategien und Kenngrößen fragen. Wir haben im Engagement in den letzten Jahren stark zugelegt und noch viel vor. (ah)