Ist China noch der Rettungsanker?
23.05.2013
**Verliert Chinas Ökonomie an Fahrt? Neue Konjunkturdaten aus Peking deuten auf einen Rückschlag in der Industrie der weltweit zweitgrößten Volkswirtschaft hin. "finanzwelt" sprach mit **Dr. Kilian Reber, Schwellenländeranalyst der UBS.
finanzwelt: Ziel des aktuellen 5-Jahresplan der chinesischen Regierung ist die Stärkung der heimischen Wirtschaft. Ein realistisches Vorhaben?
Dr. Reber: Die globale Finanzkrise hat die Schwächen des chinesischen Wachstumsmodell klar aufgezeigt: eine übermässige Abhängigkeit von Exporten und Investitionen, während der Privatkonsum eine untergeordnete Rolle spielt. Zahlen der Weltbank verdeutlichen dies: 2011 machte der Privatkonsum in China gerade mal 34 % des Bruttoinlandproduktes aus, im Vergleich zu 60 % in Brasilien, 59 % in Indien, und 48 % in Russland. Maßnahmen, um den Privatkonsum in China zu stimulieren, sind bislang aber nur punktuell. Was es bräuchte, um die Sparquote strukturell zu senken und um den Privatkonsum strukturell zu stärken, wäre eine geregelte Alters- und Gesundheitsvorsorge. Dies könnte helfen, die Unsicherheit der Haushalte bezüglich möglicherweise massiver Ausgaben im Alter zu reduzieren, und würde Ressourcen für den privaten Konsum freisetzen.
finanzwelt: Augenmerk wird hierbei auch auf die Transformation der Region um den Yangtze gerichtet. Wie schätzen Sie das ein?
Dr. Reber: Die ökonomische Entwicklung des Yangtze-Korridors – sprich der Industriezentren zwischen Chongqing bis Shanghai – ist auch eine Konsequenz der globalen Finanzkrise. Man versucht, sinkende Exporte mit stärkerem Binnenwachstum zu ersetzen. Dabei behält man das chinesische Wachstumsmodell der letzten Jahrzehnte bei, verschiebt dessen Fokus jedoch weiter ins Landesinnere. Dorthin, wo Urbanisierung noch möglich ist, wo die Löhne noch niedriger sind, und wo der Aufholeffekt noch am größten ist. Chinas Wachstum basierte Jahrzehnte lang auf billigen Arbeitskräften, deren Kaufkraft mittels einer schwachen Währung künstlich tief gehalten wurde. Das hat die Entwicklung einer starken Konsumentenbasis zurückgehalten.
Trotzdem kann dieses Wachstumsmodell nur eine bestimmte Zeit lang funktionieren. Irgendwann wird auch der Yangtze-Korridor genügend entwickelt sein. Längerfristig wichtiger wäre es, Innovationen und technologischen Fortschritt stärker zu fördern anstatt sich weiterhin auf das „alte" chinesische Wachstumsmodell zu fokussieren. Auch die Entwicklung des Yangtze-Gebietes wird nicht schlagartig zu einem nachhaltig und substanziell stärkeren Konsum der Haushalte führen.
finanzwelt: Sehen Sie Chancen, dass sich China zu einem kohärenten Wirtschaftsraum entwickelt?
Dr. Reber: Die momentane ökonomische Entwicklung Zentralchinas beinhaltet gute Ansätze, um China besser als kohärenten Wirtschaftsraum zu vereinen. Dies ist die Region, die lange vergessen wurde. Während die Küstenregionen lange ökonomische Vorreiter waren, gegeben ihre gute Lage als Export-Zentren, so wurde später der Westen Chinas etwas gezielter entwickelt. Vor allem jedoch Zentralchina wurde lange vergessen. Für eine konsequente Entwicklung Chinas als einen Wirtschaftsraum braucht es jedoch vor allem eines: die freie Mobilität der Arbeitskräfte, die momentan nicht gegeben ist. Hier ist eine Reform und Lockerung des Hukou-Systems zwingend nötig.
finanzwelt: Steht Wuhan sinnbildlich für das neue China?
Dr. Reber: Wuhan ist strategisch gut gelegen, direkt am Yangtze, mit gutem Zugang zu den reichen Küstenregionen wie auch zum Westen Chinas. Gegeben diese Faktoren kann man sagen, dass Wuhan ökonomisch gesehen mit den mittlerweile reicheren Küstenregionen vor rund 20 Jahren gleichzusetzen ist. Industrien, die auf Niedriglohn-Produktion basieren, sind nun mittlerweile in Wuhan zu finden. Trotzdem basiert das ökonomische Aufholen Wuhans nicht etwa auf Innovationen oder technologischem Vorsprung, sondern lediglich auf dem selben Wachstumsmodell wie Shanghai vor rund 20 Jahren. Dies wird eine Weile ökonomisch Sinn machen, aber für nachhaltiges Wachstum müsste auch Wuhan eher auf technologischen Vorsprung als auf Tieflohn-Produktion setzen.
finanzwelt: Welchen Branchen trauen Sie das größte Wachstumspotenzial zu?
Dr. Reber: In der mittleren Frist ist es sicherlich der Infrastruktur-Sektor, der von der Entwicklung Zentralchinas profitieren wird. Über die längere Frist sind es, so ist zu hoffen, der Konsumsektor, die Banken, sowie der Hochtechnologie-Sektor.
finanzwelt: Die Abkühlung des chinesischen Wirtschaftswachstum beschäftigt die Gemüter. Ist diese Verlangsamung ein heilsamer, gewollter Prozess oder kann sich auch Peking nicht mehr den rezessiven Tendenzen im Rest der Welt entziehen?
Dr. Reber: Langfristig muss sich das Wachstum Chinas verlangsamen und wird wohl eher bei 6 % - 7 % liegen als bei 8 % - 10 % wie in der Vergangenheit. Dies ist ein natürlicher Prozess, wenn die Struktur einer Wirtschaft sich langsam an einen höheren Wachstumspfad anpasst – einhergehend mit stärkerem Privatkonsum und tieferen Investionen. Ist dies nicht der Fall weil etwa das Wachstum künstlich hoch gehalten wird mit anhaltenden, massiven Infrastrukturprojekten, so droht längerfristig das Platzen einer Blase und, einhergehend, eine Krise.
Das Interview führte Alexander Heftrich