Hongkong und China – eine komplizierte Beziehung
22.12.2014
Dr. Ekkehard J. Wiek
Nach den Gesetzen der Medien braucht eine Bürgerbewegung einen griffigen Namen, denn der schafft Wiedererkennbarkeit, Aufmerksamkeit und damit Auflage und Einschaltquoten. Ein Name für die Protestbewegung in Hongkong war schnell gefunden. Da sich die Demonstranten mit Regenschirmen vor Sonne, Regen und dem Pfefferspray der Polizeikräfte schützen, wurde „Regenschirm-Revolution" die von den (westlichen) Medien überwiegend genutzte Bezeichnung.
Doch damit waren die Aktivisten, überwiegend Studenten, so gar nicht einverstanden. „Revolution", bei diesem Wort schwingt ein aggressiver Unterton mit und der ist absolut nicht im Sinne der Demonstranten, denn Provokation der Regierung in Peking ist nicht ihr Ziel. „Polite Movement" – freundliche Bewegung, war da schon eher im Sinne der Studenten. Und dieser Name beschreibt das Verhalten auf der Straße tatsächlich besser. Zeichnen sich die Proteste doch durch ausgesprochene Höflichkeit gegenüber unbeteiligten Passanten und Polizisten aus. Selbst der von den Demonstranten verursachte Müll wird von ihnen nach den Protesten wieder beseitigt.
Worum geht es?
In der „Sino-British Joint Declaration" von 1984 wurde gemäß Deng Xiaopings Prinzip „Ein Land, zwei Systeme" zwischen der ehemaligen Kolonialmacht Großbritannien und China vereinbart, dass Hongkong nach der Rückgabe an China weitgehende Autonomierechte besitzen sollte. Als die Rückgabe 1997 vertragsgemäß erfolgte, wurden den Bürgern für 2017 freie Wahlen in Aussicht gestellt. Selbst unter britischer Herrschaft war Hongkong dies immer verwehrt geblieben.
Seither bestimmen Wahlkomitees, bestehend aus pekingtreuen Geschäftsleuten den Verwaltungschef. Zwar können die Bürger die Kandidaten der Wahlkomitees frei wählen, allerdings müssen die Kandidaten von Peking bestätigt sein. Freie Wahlen sind das folglich nicht.
Den Demonstranten geht es darum, den Bestätigungsvorbehalt Pekings für die Wahlkandidaten zu beseitigen. Dass aber wäre für Peking ein wahrhaft revolutionärer Vorgang und entsprechend ablehnend verhalten sich Staats- und Parteichef Xi Jingping und das Zentralkomitee der kommunistischen Partei Chinas.
Hongkongs Gesellschaft ist gespalten
Die Demokratiebewegung kann nicht auf die uneingeschränkte Unterstützung der Bevölkerung für ihre Forderungen bauen. Immer wieder kommt es zu Gegendemonstrationen. „Warum bringt ihr Unruhe nach Hongkong?", fragen die, denen mehr an einem reibungslosen Fortgang der Geschäfte gelegen ist, als an umfassenden Demokratierechten. Unterstützung erhalten die Demonstranten jedoch dann, wenn die Polizei zu brutal gegen sie vorgeht.
Hier zeigt sich eine Grundströmung asiatischer Gesellschaften: Ruhe, Ordnung und Harmonie haben einen hohen Stellenwert. Massenhaftes revolutionäres Potential entfaltet sich da nur langsam, wenn überhaupt. In Hongkong kommt hinzu, dass große Teile der Gesellschaft sich sehr gut mit dem Status Quo arrangiert haben. Auf Hongkong Island, Kowloon und den vorgelagerten Inseln wird sehr viel Geld verdient und sehr viel Geld ausgegeben. In diesem Punkt sind die Hongkonger wirklich frei. Und vielen, nicht zuletzt den zahlreichen chinesischen Neubürgern, die nach 1997 in die Sonderverwaltungszone gekommen sind, reicht das vollkommen.
Boomtown Hongkong
Hongkong ist vor allem als Hafenstadt und Freihandelszone von Bedeutung, zwischen Shanghai und Vietnam besitzt Hongkong die am besten ausgebauten Hafenanlagen. Aufgrund der geringen Zölle werden hier gigantische Frachtmengen umgeschlagen. Auch China nutzt die gute Infrastruktur zur Belebung seiner Außenwirtschaft. Der Stadtstaat selbst verfügt kaum über eigene Industrie, nur 6,9 Prozent des BIP werden in diesem Sektor verdient. Die Massen an Textilien, Uhren, Spielwaren, Computern und elektronischen Bauteilen, die über Hongkongs Häfen den Weltmarkt erreichen, stammen vorwiegend aus festlandchinesischer Fertigung. Als Tor zur Welt für chinesische Waren ist Hongkong daher für Chinas Wirtschaft von großer Bedeutung. Während die Pro-Kopf-Handelsumsätze in Festlandchina bei 2.853 US-Dollar liegen, betragen sie in Hongkong sagenhafte 146.092 US-Dollar.
In Hongkong selbst erstreckt sich die Wertschöpfung fast ausschließlich auf den Dienstleistungssektor und die Finanzindustrie. Die meisten festlandchinesischen Superreichen, nicht selten ehemalige Parteikader, leben in der Finanzmetropole und genießen die geringen Einkommenssteuersätze. Kapitalerträge werden in dem Stadtstaat überhaupt nicht besteuert. 2012 lebten in Hongkong rund 114.000 Millionäre.
Das BIP pro Kopf in der Volksrepubik China liegt bei 6.747 US-Dollar, in Hongkong sind es 37.800 US-Dollar. Kaufkraftbereinigt überflügelt Hongkong mit einem Pro-Kopf-Einkommen von 49.000 US-Dollar das Einkommensniveau Deutschlands (38.000 US-Dollar) bei Weitem.
Doch die statistischen Mittelwerte werden in Hongkong von den Superreichen stark verfälscht. Die Armutsquote im Stadtstaat ist mit fast 20 Prozent vergleichsweise hoch. Wer nicht in der Finanzbranche oder vielleicht noch im Tourismus tätig ist, hat es schwer, ein Auskommen zu finden. Außer für Hausangestellte existiert kein Mindestlohn, staatliche Sozialversicherungen sind unbekannt, die Preise für Immobilien und Mieten sind exorbitant hoch. Hunderttausende Hongkonger leben als sogenannte Cage-People in käfigartigen Verschlägen für Monatsmieten zwischen 150 und 200 US-Dollar.
Soziale Frage birgt Sprengstoff
Vom Wall Street Journal wurde Hongkong im Januar zum sechzehnten Mal in Folge zur freiesten Ökonomie der Welt gewählt. Doch diese Freiheit birgt Gefahren, auch für Peking. Hongkong gilt als eine der teuersten Städte der Welt, die Lebenshaltungskosten drängen immer mehr Menschen an den gesellschaftlichen Rand. Viele Hongkonger mussten in den vergangenen Jahren aus dem Stadtzentrum ziehen, nicht wenige haben die Stadt aus Kostengründen bereits ganz verlassen. Es wird für den Machterhalt der Kommunistischen Partei in Peking mittel- und langfristig darauf ankommen, die Einkommensverteilung in der Boomtown sozialverträglich zu gestalten und möglichst große Bevölkerungsteile am wachsenden Wohlstand teilhaben zu lassen.
Diese Lösung dieses Problems wird entscheidend sein, wichtiger vermutlich noch als die Forderung intellektueller Kreise nach mehr Demokratie. In der Frage der Verteilungsgerechtigkeit steht die kommunistische Partei Chinas in Hongkong vor der gleichen großen Aufgabe wie in Festlandchina.
(Autor: Dr. Ekkehard J. Wiek, Vermögensverwalter und Asien-Fondsmanager, Straits Invest Pte Ltd in Singapur)