Frauenpower
26.04.2022
Foto: © AdriaVidal - stock.adobe.com
Schon wieder dieses Thema? Ja, allerdings! Trotz steigender Tendenz gibt es in der Finanzbranche immer noch deutlich weniger Frauen als Männer, besonders in Führungspositionen. Die Gründe dafür sind vielfältig. Mangelndes Interesse an Finanzthemen oder Unfähigkeit gehören nicht dazu. Aktuelle Studien belegen immer wieder, dass heterogene Teams und divers aufgestellte Unternehmen besser performen. Während Nachhaltigkeit oder Digitalisierung als unaufhaltsame Trends angekommen sind, wird es 2022 nicht nur Zeit, sondern sogar notwendig, auch Diversität in Unternehmen als Zukunftsthema zu behandeln.
Die Wissenschaft zeigt: Gemischte Führungsteams treffen bessere Entscheidungen. So lässt sich das Ergebnis der Studie „Diversity wins“ von McKinsey (2019) zusammenfassen. Untersucht wurden 1.039 Unternehmen aus 15 Ländern. Diejenigen mit diverser Aufstellung – dabei geht es nicht nur um eine Quotenfrau! – hatten zu 25 % bessere Chancen auf eine höhere Effizienz. Der Vergleich zu den Vorjahren zeigt den unverkennbaren Trend. 2014 erhöhten gemischte Führungsteams die Performance mit einer Wahrscheinlichkeit von 15 %, 2017 zu 21 %. Gender-Diversität wird immer wichtiger. Ähnliches gilt übrigens auch für gemischte Teams im Hinblick auf Herkunft und Ethnie. Ein Grund für beides ist laut Studie, dass heterogene Teams in einem schnelllebigen, digitalen Umfeld flexibler, anpassungsfähiger und effizienter sind.
Auch Kristina August, Mitglied der Geschäftsleitung und Head of Trade bei blau direkt, findet, dass trotz erkennbarem Wandel zu wenige Frauen Teil der Finanzwelt seien. „Ich bin der Auffassung, dass es mehr Frauen in der Finanzbranche geben sollte, da die weibliche Intuition noch einmal eine andere Perspektive einbringt. Im Sinne der ganzheitlichen Betrachtung der Gegebenheiten durch einen guten Mix beider Geschlechter, würde der Umsatz noch weiter steigen“, erklärt August. Laut ihr zeichneten sich Frauen oft durch bessere Organisation, effektiveres Zeitmanagement und Empathie bei Verhandlungen aus. Gleichzeitig stünden sich Frauen aber auch oft selbst im Weg. Sie hielten sich eher zurück, während Männer oftmals selbstbewusster seien.
Woran hängt’s?
Was hält Unternehmen und Frauen selbst davon ab, den Weg in die Finanzbranche zu gehen? Auch hierfür gibt es verschiedene Gründe. Für Elizabeth Geoghegan, Fixed Income Portfolio Managerin der Mediolanum International Funds Ltd., fängt alles bereits mit dem Bildungssystem an. Viele junge Talente aus der Finanzbranche kämen aus den Bereichen Naturwissenschaften, Mathematik und Wirtschaft. Diese Fächer seien für Schülerinnen aber oft weniger attraktiv. Laut Geoghegan sollte der weibliche Nachwuchs deshalb besonders in diesem Bereich ermutigt werden. „Eine vielfältigere Belegschaft trägt zur Förderung von Innovationen bei, indem sie breitere Perspektiven fördert und das Risiko des ‚Gruppendenkens‘ verringert. Speziell für den Bereich der Vermögensverwaltung zeigen mehrere Studien, dass Anlegerinnen ihre männlichen Kollegen in Bezug auf die Anlagerenditen übertreffen. Daher kann eine stärkere Vertretung von Frauen der Branche nur Vorteile einbringen“, kommentiert die Portfolio-Managerin.
Anja Spannaus, Managing Director re:cap global investors ag, führt drei weitere Gründe an: Menschen neigten dazu, sich dem Ähnlichen und Bekannten zuzuwenden. Deshalb würden männliche Führungskräfte auch häufiger Männer einstellen. Zweitens gingen Frauen ihre Karriere oftmals anders an als Männer. Während diese früher in Netzwerkpflege investierten und strategisch planten, versuchten Frauen sich eher als „fleißige Bienchen“ Positionen zu erarbeiten. „Drittens ist das Image der Finanzbranche gesellschaftlich mit dem Nimbus des ‚harten Kriegers ohne Gewissen‘ besetzt, der auch heute noch mit dem Ideal einer 80 Stunden Woche für den perfekten Deal an Silvester besetzt wird“, erklärt Spannaus. Diese Art des Arbeitens sei für viele Frauen aber gar nicht erstrebenswert, da es gegen ihren Wunsch nach Einbindung in ein soziales System ginge und sich nur schlecht mit der Familie vereinbaren ließe. Zudem gebe es immer noch die Erwartungshaltung, als graue Maus oder adrette Sekretärin im Vorzimmer stecken zu bleiben, statt auf dem Chefsessel zu landen. Dass die Finanzbranche in den letzten Jahren auch immer wieder mit Skandalen in den Schlagzeilen gelandet ist, tue ihr Übriges.
Female Empowerment
Apropos Familienfreundlichkeit: Das bisschen Haushalt macht sich eben doch nicht von allein. So genannte Care-Arbeit, unter anderem (unbezahlte) Kinderbetreuung, Altenpflege und Haushaltstätigkeiten, wird immer noch mehrheitlich von Frauen geleistet. Auch das belegen mehrere Studien, so auch eine Erhebung des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung. Bei 75 % der befragen Familien hat sich im langfristigen Vergleich seit 2013 nichts geändert. 2020 verbrachten berufstätige Frauen immer noch fast doppelt so viel Zeit mit Care-Arbeit wie berufstätige Männer. Frauen wollen nicht nur familienfreundliche Berufe, sondern sind mangels ausreichender Unterstützung zu Hause oft darauf angewiesen. Kristina August rät anderen Frauen deshalb, sich auch in der eigenen Familie für mehr Gleichberechtigung einzusetzen.
Die drei Finanzexpertinnen sind erfolgreich in der Branche. Während Kristina August und Anja Spannaus zukünftig die Geschäftsführung ihrer Unternehmen anstreben, wünscht sich Elizabeth Geoghegan mehr Vielfalt, besonders im Investmentbereich, und eine weniger männerdominierte Wahrnehmung der Branche. Mit Frauen wie ihnen geht die Finanzwelt bereits in die richtige Richtung. (lb)