Ein Land leidet

02.09.2021

Foto: lassedesignen - stock.adobe.com

Jahrzehntelang auf dem Bau oder als Fliesenleger gearbeitet – und die Menschen waren körperlich am Ende. Berufsunfähigkeit war die logische Folge. So war‘s früher mal. Doch das ist lange her. Wenn das Aus im Job droht, liegen die Ursachen heute zumeist in der Psyche. Die Risikofaktoren in der BU-Versicherung haben sich komplett verschoben. Und die Versicherer haben sich bestens darauf eingestellt. Nur die Makler nicht, denn die Absicherungsquote ist eher niedrig.

Psychische Erkrankungen wie Burnout, Depressionen und Angststörungen sind mittlerweile mit 37 % die häufigste Ursache für eine Berufsunfähigkeit. Als zweithäufigste BU-Ursache gelten Erkrankungen des Bewegungsapparats mit 24 %, gefolgt von Unfällen mit knapp 14 %. Das ergab schon vor einiger Zeit eine Auswertung der Swiss Life Deutschland. Mittlerweile dürfte das Ergebnis wegen Corona noch deutlicher ausfallen, Zahlen hierzu liegen nicht vor. Die Zahl psychischer Erkrankungen hatte schon vorher deutlich zugenommen. „Allein in den letzten zehn Jahren registrieren wir in diesem Segment eine Zunahme um 40 %“, hatte Amar Banerjee, Mitglied der Geschäftsleitung und Leiter der Versicherungsproduktion von Swiss Life Deutschland, gesagt. 2009 lag die Quote für psychische Erkrankungen noch bei 26,5 %. Betrachtet man die Ursachen nach verschiedenen Kriterien, stellt man fest, dass Frauen mit 44 % anteilsmäßig deutlich häufiger wegen einer psychischen Erkrankung berufsunfähig werden als Männer (28 %). Auffällig ist hierbei der besonders hohe Anteil unter jungen Frauen. Allein in der Altersgruppe der 30-Jährigen ist mit 47 % fast jede zweite Frau von psychischen Erkrankungen betroffen. Bei Männern hingegen tauchen psychische Erkrankungen erst in der zweiten Lebenshälfte häufiger auf. Interessant ist dabei, dass vor allem Männer in akademischen Berufen öfters von Depressionen oder Burnout als Ursache betroffen sind als Männer in körperlich anstrengenden Berufen. Im Anfangsstadium dürfte das Risiko Psyche für die Versicherer schwer einzuschätzen sein. Wie also gehen sie damit um? Eva Kopp, Leiterin Service Leben der Dialog, sieht dies nicht als Problem: „Im Versicherungsantrag wird auch nach psychischen Erkrankungen gefragt. Detail-Informationen erhalten wir je nach Erkrankung oft über Fragebögen.“ Die psychischen Erkrankungen würden im Vergleich zu früher immer mehr an Schrecken verlieren, da die Erkrankungen immer genauer eingegrenzt werden könnten. Durch klar gestellte Diagnosen von Fachärzten sei es möglich, das Risiko zu benennen und individuell einzuschätzen. Auch Martin Gräfer, Vorstand der Bayerischen, zeigt sich selbstbewusst: „Für psychische Erkrankungen werden zwei internationale Klassifizierungssysteme verwendet: ICD-10 und DSM V. Mit Hilfe dieser Systeme ist es möglich, Erkrankungen eindeutig zu definieren und wichtige Aspekte und Risikofaktoren zu identifizieren.“ Die medizinischen Studien und Statistiken der letzten Jahre, die Auskunft zur Langzeitprognose von Krankheiten gäben, orientierten sich an diesen Klassifikationen. Zudem würden psychische Störungen in Formen mit leicht, mäßig und stark erhöhtem Risiko eingeteilt. Mithilfe von Fragebögen sei es möglich, eine Risikoeinschätzung zu treffen.

Dr. Igor Radović, Direktor Produkt- und Vertriebsmanagement bei Canada Life Deutschland, verweist auf die übliche Risikoprüfung: „Wir behandeln dieses Risiko wie andere Erkrankungsbilder auch. In der Antragsprüfung fragen wir unsere BU-Interessenten, ob sie wegen Krankheiten oder Beschwerden der Psyche in den letzten fünf Jahren bei einem Arzt oder Psychotherapeuten zur Beratung, Behandlung, Untersuchung waren oder ob dies geplant ist.“ Als Beispiele führe man zur Verdeutlichung eine Angststörung, Depression, Suizidversuche, eine Ess- oder psychosomatische Störung auf. Zudem frage man unter anderem auch, ob es Erschöpfungszustände im Sinne eines Burnouts gegeben habe. Man betrachte dabei jeden Fall individuell. Abhängig etwa von der Dauer und dem Schweregrad der jeweiligen Erkrankung, den Arbeitsunfähigkeitszeiten, der Behandlung oder auch dem Zeitraum seit den letzten Beschwerden, könne man in der Mehrzahl der Fälle den Interessenten Wege eröffnen, eine BU abzuschließen. Zum Beispiel bei Depressionen oder Neurosen, nach einem Suizidversuch oder abgeschlossenen Psychotherapien in der Krankenvorgeschichte. Hier erarbeite das Risikoprüfungs-Team eine individuelle Einschätzung. Im Ergebnis könne es zu einem Ausschluss der Psyche kommen, mitunter sei ein Risikozuschlag möglich. Günstigstenfalls seien aber auch normale Antragsannahmen denkbar. In einigen Fällen, bei Persönlichkeitsstörungen, Psychosen, ärztlich diagnostiziertem Burnout oder schweren Verlaufsformen anderer psychischer Erkrankungen sei leider die Ablehnung des BU Versicherungsschutzes notwendig.

Wie lange die Berufsunfähigkeit bei psychischen Erkrankungen dauert, lesen Sie auf Seite 2