Eigenkapital bleibt gefragt

28.04.2021

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Das aktuelle Niedrigzinsniveau macht das Fremdkapital bei Baufinanzierungen historisch günstig. Das bedeutet aber noch lange nicht, dass künftig kein Eigenkapital mehr mitgebracht wird – vor allem nicht bei einer Gruppe von Baufinanzierern. Veränderung gibt es aber bei der Beschaffung des Eigenkapitals.

In den vergangenen Jahrhunderten war die Entwicklung der Zinsen eine Geschichte eines kontinuierlichen Niedergangs: Eine Untersuchung des Wirtschaftshistorikers Paul Schmelzing zeigt, dass die inflationsbereinigten Realzinsen seit dem späten Mittelalter jedes Jahr um 0,006 bis 0,016 Prozentpunkte zurückgingen. Beschleunigt wurde diese Entwicklung durch die Finanzkrise 2008, durch die die EZB den Leitzins immer weiter senkte, bis er schließlich am 16. März 2016 bei 0 % ankam – und seitdem auch nicht mehr angehoben wurde. Dass sich das bald ändert, glaubt André Lichner nicht: „Zurzeit sprechen mehr Zeichen dafür als dagegen, dass das Zinsniveau zumindest in den kommenden Monaten sehr niedrig bleibt.“ Zustimmung erhält der Geschäftsführer der Prohyp GmbH von Thomas Hein. „Auch wir sehen in nächster Zeit kein Verlassen des Niedrigzinsniveaus und damit keinen signifikanten Zinsanstieg – abgesehen von den üblichen Schwankungen“, so der Leiter Vertrieb Immobilienfinanzierung bei der ING Deutschland.

Vollfinanzierung nicht für jeden geeignet

Wie für viele andere Dinge im Leben gilt auch bei den Zinsen: Des einen Leid ist des anderen Freud: Während Sparguthaben derzeit von der Inflation aufgefressen werden, freuen sich Baufinanzierer über historisch günstige Konditionen. So lagen laut einer Auswertung der Dr. Klein Privatkunden AG im Februar der Bestzins für 10-jährige Baudarlehen bei 0,44 %. Zum Vergleich: Anfang der 80er Jahre waren für solche Kredite zum Teil noch zweistellige Zinssätze fällig. Somit ist bei der Baufinanzierung das Fremdkapital inzwischen deutlich günstiger. Aber bedeutet das auch, dass deshalb auf Eigenkapital komplett verzichtet wird? Nicht unbedingt, meint André Lichner. Laut dem Baufinanzierungsexperten sprechen zwei Gründe dagegen, dass aufgrund der aktuellen Zinslage mit einem signifikanten Anstieg der Nachfrage nach Vollfinanzierungen zu rechnen ist: „Denn zum einen gilt in der Regel für Selbstnutzer, dass sie wenigstens die Kaufnebenkosten aus Eigenmitteln begleichen müssen. Zum anderen sind Vollfinanzierungen verhältnismäßig teuer – auch in Niedrigzinszeiten. Denn je höher die Darlehenssumme im Verhältnis zum Kaufpreis ist, desto höher sind auch die Zinsen.“ Auch Thomas Hein glaubt nicht, dass die aktuelle Zinslage ein Nachfragetreiber nach Immobilienfinanzierungen ohne Eigenkapital ist: „Ob die Nachfrage nach Vollfinanzierungen steigt, hängt von der Finanzierungsintention ab.“ Seiner Meinung nach ist die Nachfrage nach dieser Finanzierungsmöglichkeit viel mehr davon abhängig, welche Motive der Baufinanzierer verfolgt. „Menschen, die ihre Immobilie selbst nutzen, wollen die Raten geringhalten und den Kredit schnell tilgen. Das bedeutet Eigenkapitaleinsatz und damit Kreditsummen unterhalb der Vollfinanzierung. Letzten Endes bedarf es einer Einzelfallprüfung, denn am Ende muss der einzelne Antragsteller den Kredit auch bedienen können.“ Ganz anders sieht die Situation bei Kapitalanlegern aus: „Wer dagegen sein Geld in einer Immobilie anlegt, ist allein aus steuerlichen Gründen bestrebt, einen möglichst großen Betrag zu finanzieren. Je höher der Zinsanteil der Rate, desto mehr gibt es abzusetzen. Dementsprechend ist die Nachfrage nach Vollfinanzierungen bei Kapitalanlegern höher – unabhängig von der aktuellen Corona-Situation“, so Hein. Auch Lichner sieht Vollfinanzierungen eher als Option für Kapitalanleger denn für Eigennutzer.

Andere Quellen werden erschlossen

Eigenkapital hat zwar weiterhin eine hohe Bedeutung an der Baufinanzierungssumme, jedoch wächst dieses nicht so stark wie die Darlehenssumme: Wie aus einer Untersuchung von Interhyp hervorgeht, stieg die durchschnittliche Darlehenssumme zwischen 2010 und 2020 von ca. 188.000 auf ca. 313.000 Euro. Der relative Anstieg von ca. 66 % lag damit mehr als doppelt so hoch wie der relative Anstieg beim Eigenkapital, das von ca. 83.000 Euro auf ca. 111.000 Euro stieg, ein Plus von ca. 28 %. Weil bei der Immobilienfinanzierung also immer mehr Eigenkapital nötig ist, stellt sich für viele Kunden die Frage, wie der nötige finanzielle Grundstock hierfür herangeschafft werden soll. Antworten hierzu gibt eine Umfrage der Dr. Klein Privatkunden AG unter Angehörigen der Generation Y (geboren in den 80er und 90er Jahren). Aus der Untersuchung geht hervor, dass die Bedeutung der Ersparnisse für die Immobilienfinanzierung generell abnimmt, während immer häufiger das Geld für die Baufinanzierung aus Erbschaften oder aus finanzieller Zuwendung aus der eigenen Familie kommt. Gerade die jüngeren Baufinanzierer setzen beim Eigenkapitalaufbau immer mehr auf finanzielle Unterstützung von Verwandten. (ahu)