Die passenden Instrumente spielen
03.12.2014
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Dass zu teure Berufsunfähigkeitspolicen schlecht fürs Neugeschäft sind, erkennen mittlerweile auch die Versicherer, obwohl sie selbst diese Situation erst herbeigeführt haben. Jetzt können Makler aber als Alternative zur BU aus einem Füllhorn unterschiedlichster kostengünstigerer Angebote wählen.
Von der Erwerbs- und Grundfähigkeitenversicherung bis hin zu MultiRisk-Policen, mit oder ohne Pflegeoption. Doch Äpfel mit Birnen vergleichen sollten sie im Sinne ihrer Kunden nicht.
Von 1999 bis 2008 hatte die Ratingfirma Franke und Bornberg regelmäßig private Erwerbsunfähigkeitsversicherungen (EU) untersucht und bewertet. Dann wurden die Analysen mangels Nachfrage eingestellt. Und jetzt – sechs Jahre später – erlebte das EU-Produktrating bei den Hannoveranern im Mai 2014 eine Renaissance. Überraschend kommt dieser Schritt keineswegs, wie Geschäftsführer Michael Franke wissen lässt: „Die neuaufgesetzte Bewertung von Erwerbsunfähigkeitsversicherungen folgt der ‚Wiederentdeckung' der EU im Markt angesichts der mit stagnierenden Beständen einhergehenden zugespitzten Produktentwicklung der BU." Dabei sollte es allerdings nicht bleiben. Zur DKM im Oktober stellte das Unternehmen erstmals ein Rating für Grundfähigkeits- und MultiRisk-Produkten zur Arbeitskraftversicherung vor. Zwischen der Vorsorge durch BU-Policen auf der einen und Unfallversicherungen auf der anderen Seite habe es lange Zeit eine große Lücke in der Arbeitskraftsicherung gegeben.
Der Markt ist mächtig in Bewegung geraten. Zur BU und zur EU sind Dread Disease-Policen hinzugekommen sowie Grundfähigkeiten- und Funktionsinvaliditätsversicherungen – oft gekoppelt mit Pflegefalloptionen. Und all dies für unterschiedlichen Bedarf, wie Martin Gräfer, Vorstand bei der Versicherungsgruppe die Bayerische, erläutert: „Es ist wichtig, über den ‚richtigen' Schutz zur ‚richtigen' Zeit zu verfügen. Wir unterscheiden unter der Überschrift Einkommensschutz nach dem Kundenbedarf. Ein Beispiel: Ein Arbeitnehmer ist von seinem Arbeitseinkommen in der Regel abhängig – bleibt es aus, so entstehen häufig bereits kurzfristig Liquiditätsprobleme. Von den gesundheitlichen Auswirkungen ganz zu schweigen. In diesem Fall ist es von hoher Wichtigkeit, die monatliche Liquidität abzusichern, der Kunde kann sich dann auf seine Genesung konzentrieren." Menschen, die noch nicht oder nicht mehr im Erwerbsleben stünden, hätten für gewöhnlich andere Bedürfnisse. So etwa die Absicherung bei Verlust der Grundfähigkeiten. Deshalb biete sein Unternehmen bereits Kindern ab dem ersten Lebensjahr Versicherungsschutz an. Unter den Schutz einer Grundfähigkeitenabsicherung könnten zusätzlich auch Menschen schlüpfen, die sich in gefährlichen und damit eher mit höheren Tarifen abzusichernden Berufsbildern bewegten. Menschen mit gesundheitlichen Vorbelastungen könnten häufig die eigene Arbeitskraft nicht mehr absichern – hier leiste eine solche Police wertvolle Dienste. Eine Zwischenposition nähmen Studenten ein. Der Zeitraum des Studiums sei eine Zeit, die der Ausbildung zugerechnet werde. Trotzdem gebe es im Hause der Bayerischen effiziente Wege, bereits hier unter den Schutz einer passgenauen Absicherung zu gelangen.
Anfangs gab es als Alternative zur BU nur die Erwerbsunfähigkeitsversicherung (EU). Wenn der Beitrag für eine BU-Police zu hoch sei, könne ein Kunde ja immer noch eine private Erwerbsunfähigkeitsversicherung abschließen, hieß es bei Versicherern wie bei Maklern. Sie gewährleiste einen Grundschutz und sei deutlich preiswerter. So argumentierten Versicherer gegenüber Vermittlern, damit eine Beratung doch noch zu Versicherungsschutz führe. Aber stimmt das unisono? Klarer Fall: Ein solcher Vertrag kostet vergleichsweise wenig Geld, etwa 40 bis 50 % weniger als die BU-Vorsorge, und er kann in der Regel auch von Menschen mit bestehenden Vorerkrankungen oder riskanten Berufen abgeschlossen werden. Schließlich fließt nur dann die vereinbarte Rente, wenn eine Berufsausübung entweder überhaupt nicht mehr oder nur noch in ganz geringem Umfang möglich ist. Hier liegt aber das erste Problem: Genauso wie bei der gesetzlichen Erwerbsminderungsrente kommt es nicht auf den erlernten oder in der Vergangenheit ausgeübten Beruf an – es ist vielmehr jeder Job gemeint, den der Arbeitsmarkt bietet, also auch der Umstieg vom Professor zum Pförtner. Dies wirkt sich für die Anbieter solcher Policen natürlich äußerst kostensparend aus. Ihr Risiko leisten zu müssen, liegt deutlich niedriger als bei der Absicherung des Risikos Berufsunfähigkeit.
**_Es gibt erhebliche Unterschiede zwischen den einzelnen EU-Angeboten, die der Makler schon aus Haftungsgründen beachten sollte.
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Vorerkrankungen: Grundsätzlich kann ein Versicherer Leistungsausschlüsse zur Voraussetzung für einen Vertragsabschluss machen oder Risikozuschläge verlangen. Wenngleich viele Gesellschaften die Messlatte nicht allzu hoch legen und sich mit wenigen Fragen zum Gesundheitszustand begnügen. So etwa die Generali, deren Kunden lediglich zwei Angaben machen müssen: Ob bereits eine Erwerbsunfähigkeit oder Pflegebedürftigkeit besteht und ob ein entsprechendes Ansinnen von einem Wettbewerber bereits abgelehnt wurde. Oder ob der Kunde Raucher oder Nichtraucher ist. Nun, die monatliche Rente ist ja auch bei diesem Schutz auf nur 1.000 Euro begrenzt. Vanessa Remmert, Abteilungsleiterin Produktmanagement Leben bei den Generali Versicherungen erklärt hierzu: „Die Produktidee der Erwerbsunfähigkeitsversicherung zielt darauf ab, Kunden einen Basisschutz zu vernünftigen Preisen zu ermöglichen."
Verweisung: Nicht alle Gesellschaften machen ihre Leistung davon abhängig, dass keine einzige der am allgemeinen Arbeitsmarkt zur Verfügung stehenden Tätigkeiten mehr ausgeübt werden kann. Inter und WWK beispielsweise haben in ihren Bedingungen stehen: „Auf die üblichen Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes und alle selbstständigen Tätigkeiten, Tätigkeiten in Behinderteneinrichtungen bleiben unberücksichtigt". Das ist eine wesentlich kundenfreundlichere Regelung. Auch der Umgang mit der zumutbaren Arbeitsdauer unterscheidet sich je nach Versicherer. Beim einen ist es weniger als eine Stunde am Tag, beim anderen sind es zwei Stunden und beim dritten „höchstens" drei Stunden.
Leistungsbeginn und Hinzuverdienst: Weitere wichtige Unterscheidungsmerkmale sind der Leistungsbeginn bei fehlender Prognose, der zwischen einem und 13 Monaten variieren kann, und der erlaubte Hinzuverdienst. Während einige Versicherer nur geringfügige Einkünfte zulassen, ist dies anderen Unternehmen völlig egal.
Mittlerweile stehen den Vermittlern als Alternative zur BU außer der EU auch andere Alternativen zur BU zur Verfügung.
Grundfähigkeitsversicherung: Die Grundfähigkeitsversicherung der Canada Life bspw. leistet bei Verlust von 19 klar definierten Grundfähigkeiten und sogar ab Pflegestufe 1. Dies sei eine besonders kostengünstige Absicherung der Arbeitskraft, betont das Unternehmen. Und selbst wenn Betroffene sich entschieden, weiterzuarbeiten, erhielten sie eine monatliche Rente, die sie flexibel nutzen könnten. Ähnlich sind Angebote weiterer Versicherer strukturiert. Zumeist geht es um Sehen, Sprechen, Hören oder den Orientierungssinn, aber auch um den Gebrauch der Hände und der Arme, um Treppensteigen, Gehen, Stehen, Knien, Bücken oder beispielsweise selbstständiges Autofahren. Doch Franke und Bornberg rät Maklern zu besonderer Aufmerksamkeit: „Nur festzustellen, dass ein Versicherer bereits bei Verlust einer Grundfähigkeit leistet und ein anderer erst bei Verlust von vier Grundfähigkeiten, genügt dabei nicht. Was unter einer Fähigkeit genau zu verstehen ist, davon haben die Versicherer individuelle Vorstellungen." Definiere der eine unter „Hände gebrauchen", eine Schere bestimmungsgemäß zu benutzen, verstünden andere darunter, eine Tastatur zu bedienen, Messer und Gabel gleichzeitig zu benutzen oder kleine Gegenständewie einen Bleistift vom Boden aufzuheben. „Arme gebrauchen" werde ebenfalls unterschiedlich verstanden: in Schulter- beziehungsweise Brusthöhe zu arbeiten, eine Jacke anzuziehen oder Arme seitwärts zehn Sekunden auf Schulterhöhe zu halten. Wie so oft, kommt es also auf das Kleingedruckte an – für Makler ist das nicht ganz ungefährlich.
Funktionsinvaliditätsversicherungen: Sie bieten eine Monatsrente bei Invalidität nach einem Unfall, bei schweren Organschäden und einer Krebserkrankung, beim Verlust von Grundfähigkeiten, wie etwa Sprechen, Sehen oder Hören, und bei Pflegebedürftigkeit. Die Police kann oft selbst dann abgeschlossen werden, wenn bereits eine gesundheitliche Beeinträchtigung besteht. In der Praxis haben sich jedoch viele Anbieter vom schwerfälligen ursprünglichen Begriff gelöst, nennen ihre Produkte MultiRisk-Policen oder ähnlich. So die Gothaer, die im Frühjahr ihr Modell vorgestellt hat und zu der Ralf Mertke, Produktspezialist für die Unfallversicherung bei Gothaer, erklärt: „Die neue ‚UnfallrentePlus' bietet eine sinnvolle Möglichkeit, mit einer monatlichen Rente die finanzielle Existenz zu sichern – egal, ob man durch einen Unfall oder eine schwere Erkrankung eine dauerhafte körperliche Beeinträchtigung erleidet. Sie kann bei der Unfallversicherung ergänzt oder auch alleinstehend versichert werden." Im Wettbewerb zur Gothaer steht beispielsweise die LV 1871 – und sie hat eine besondere Zielgruppe im Visier, so deren Vorstand Rolf Schünemann: „Die ‚Golden IV' ist ein Einsteigerprodukt gerade für junge Leute mit begrenzten finanziellen Möglichkeiten. Mit diesem Produkt bieten wir zusammen mit dem BGV eine Alternative unterhalb der Berufsunfähigkeitsversicherung und oberhalb der Unfallversicherung an." Übrigens beinhaltet der Tarif auch eine BU-Option ohne Gesundheitsprüfung. Das heißt: Bei bestimmten Anlässen hat die versicherte Person unter bestimmten Voraussetzungen die Möglichkeit, bei der LV 1871 eine Golden BU ohne Gesundheitsprüfung abzuschließen." Auch der VOLKSWOHLBUND bietet eine solche Absicherung an. Marketingleiter Christian Schröder erläutert: „Unser Produkt ‚€XISTENZ' stellt eine bezahlbare und sinnvolle Einkommensvorsorge für viele körperlich arbeitende Kunden dar. Insofern ist ‚€XISTENZ' eine Alternative zur BU, denn sie sichert die körperliche und geistige Leistungsfähigkeit ab, egal in welchem Beruf der Kunde arbeitet."
Aber können diese Policen die lange Jahre als Königsweg bezeichnete Berufsunfähigkeitsversicherung tatsächlich ersetzen?
Dies verneint jedenfalls Gudrun Trieb, Leiterin Produktentwicklung bei der Allianz Lebensversicherung: „Im Gespräch mit dem Kunden sollte natürlich im ersten Schritt immer zur Berufsunfähigkeitsversicherung beraten werden, und erst dann, wenn diese nicht in Frage kommt, über Alternativen gesprochen werden. Auch Verbraucherschützer bestätigen immer wieder die Notwendigkeit einer BU-Absicherung." Franke hält einen solchen Vergleich allerdings auch nicht für zulässig: „Einem Eins-zu-Eins-Vergleich zur BU halten MultiRisk-Tarife nicht stand. Dieser Blickwinkel macht aber auch wenig Sinn." MultiRisk-Tarife auf Unfallbasis entfalteten da ihre Stärke, wo früher eine reine Unfallversicherung platziert wurde oder bei Erwerbstätigen, denen aus finanziellen oder gesundheitlichen Gründen der Weg in die BU versperrt bleibt. Früher habe die klassische Empfehlung in solchen Fällen gelautet, zumindest das Unfallrisiko abzusichern. Heute müsse die Empfehlung ganz klar auf eine MultiRisk-Absicherung hinauslaufen, denn der Leistungsumfang sei erheblich erweitert. MultiRisk-Tarife auf Lebensbasis konkurrierten bei körperlich Tätigen demgegenüber eher mit der Erwerbsunfähigkeitsversicherung, da bereits der Verlust einer Grundfähigkeit leistungsbegründend sein könne. _(hwt)
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