"Der Staat kapituliert"

31.03.2021

Wolfgang Kubicki / Foto: © FDP

Warum hält die Bundesregierung am Lockdown fest, obwohl es Alternativen gibt? Darüber spricht mit uns der Vizepräsident des Deutschen Bundestages, Wolfgang Kubicki. Außerdem verrät uns der FDP-Vize, wie Grün-Rot-Rot noch verhindert werden kann und worüber er sich gerade persönlich freut.

finanzwelt: Sie lehnen den Endlos-Lockdown ab. Was schlagen Sie stattdessen konkret vor angesichts steigender Fallzahlen sowie Impfstoff- und Schnelltestmangel?

Wolfgang Kubicki: Ich schlage vor, dass wir uns endlich alternativen Lösungsmöglichkeiten zuwenden und uns von dem Gedanken lösen, dass der stupide Lockdown die einzig richtige Antwort auf dieses Virus ist. Es gibt mittlerweile viele Projekte und Konzepte, die zeigen, dass es möglich ist, mit dem Virus zu leben. Die Bayerische Staatsoper hat zum Beispiel vor Monaten eine Konzeption mit wissenschaftlicher Begleitung umgesetzt, die eine Rückkehr zum künstlerischen Betrieb möglich macht, ohne relevante Ansteckungsgefahr. In einigen Regionen werden jetzt Modellprojekte umgesetzt, unter anderem in Schleswig-Holstein. Dort kann man mit entsprechenden Testungen wieder langsam in eine Vor-Corona-Normalität zurückkehren. Ähnliches macht ja Boris Palmer in Tübingen. Ohne solche Projekte wird es nicht gehen.

finanzwelt: Warum setzt die Bundesregierung nicht einfach Ihre Ideen um? Die Wirtschaft ächzt immer lauter, die Stimmung in der Bevölkerung kippt und die Umfragewerte der CDU sinken…

Kubicki: Das müssen Sie die Union und SPD fragen. Ich registriere nur, dass die Linie der FDP sich früher oder später immer durchgesetzt hat. Wir haben bereits im Mai den besonderen Schutz der Menschen in den Altenheimen angemahnt, durch regelmäßige Testungen und Masken - im Dezember stand dieses Thema dann auf der Agenda der MPK (Ministerpräsidentenkonferenz, Anm. d. Red.). Wir haben die flächendeckende Verteilung von FFP2-Masken an Mitglieder der vulnerablen Gruppen gefordert, als Jens Spahn noch erklärte, dass dies überhaupt nicht möglich sei. Wir haben einen Impfgipfel gefordert, Wochen später kam Jens Spahn zufällig auf dieselbe Idee. Seit April 2020 fordern wir eine Rückkehr zur parlamentarischen Debatte über die Corona-Maßnahmen. Jetzt, ein Jahr später, hält Horst Seehofer dies für unerlässlich, weil die MPK als Krisenbewältigungsinstrument gescheitert ist. Insofern haben wir eine gewisse Erfahrung damit, dass unsere Vorschläge okkupiert werden. Dass die Union im Sinkflug ist, wundert mich übrigens nicht. Wer sich als Unionsabgeordneter die ganze Zeit darauf verlässt, dass die Kanzlerin schon alles regelt, sollte sich selbst fragen, ob die eigene politische Mitwirkung möglicherweise überflüssig ist.

finanzwelt: Wie beurteilen Sie die den Effekt der Pandemie auf die Entwicklung von Demokratie und Freiheit in Deutschland? Die Drohungen von Angela Merkel bei Anne Will haben Sie scharf kritisiert.

Kubicki: Ich erlebe jedenfalls, dass Freiheitseinschränkungen auch von vielen Journalisten euphorisch beklatscht werden - ohne dass hinterfragt wird, ob die einzelnen Maßnahmen überhaupt einen nennenswerten Effekt auf die Pandemiebekämpfung haben. Wer jetzt zum Beispiel flächendeckende nächtliche Ausgangssperren bejubelt und zum entscheidenden politischen Hebel definiert, sollte zuerst die Antwort geben, ob dies rechtlich überhaupt zulässig ist. Wir sind immer noch ein Rechtsstaat und keine Bananenrepublik. Zugleich lassen viele der Bundesregierung durchgehen, dass sie sich dumm stellt. Wir wissen noch immer nicht, was die Lockdown-Maßnahmen im Einzelnen bringen. Das hat uns die Bundesregierung noch im Januar auf unsere Anfrage erklärt. Aus rechtsstaatlicher Sicht ist das ein inakzeptabler Vorgang. Jede einzelne Einschränkung von Grundrechten muss gut begründet werden, sonst ist sie unzulässig.

Welche Entwicklung Kubicki derzeit mit Sorge sieht und worüber er sich freut, lesen Sie auf Seite 2