Den Turnaround schaffen

13.09.2023

Dr. Georg Kraus. Foto: Kraus & Partner

Viele Unternehmen befinden sich aktuell in einer existenzbedrohenden Situation. Das heißt, sie müssen einen Turnaround vollziehen, damit aus ihnen wieder gesunde Unternehmen werden. Dieser Prozess gelingt nur, wenn die wahren Problemursachen beseitigt werden.

Aktuell befinden sich viele Unternehmen am Rande einer existenziellen Krise; darunter nicht wenige, von denen vor noch nicht allzu langer Zeit alle Stakeholder und Außenstehenden dachten: Das Unternehmen ist kerngesund. Doch dann veränderten sich oft, scheinbar über Nacht die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen. Als Stichworte seien hier nur die Begriffe Corona, Ukraine-Krieg, Inflation und Energiekrise genannt. Und das Unternehmen geriet unverhofft in eine existenzbedrohende Schieflage.

Existenzielle Krisen fallen meist nicht vom Himmel

Insofern unterscheidet sich die aktuelle Situation partiell von „normalen“ Zeiten. In ihnen sind existenzgefährdende Krisen meist das Resultat eines längerfristigen Prozesses, in dem im Top-Management allmählich die Erkenntnis reift: „Wir müssen einen Turnaround vollziehen, sonst…“. In der Regel ist der Anlass hierfür ein betriebliches Problem wie

- der Umsatz sinkt (Absatz- und Umsatzkrise),
- die (Fix-)Kosten sind zu hoch (Kostenkrise),
- die Finanzierung des laufenden Geschäfts ist bedroht (Finanz- und Liquiditätskrise)
- das Management ist nicht handlungsfähig (Managementkrise).

Aus Managementkrisen erwachsen oft Existenzkrisen

Analysiert man die Ursachen, warum Unternehmen in einer Existenzkrise stecken, zeigt sich oft folgender Verlauf: Aus einer Managementkrise erwuchs eine strategische Krise. Diese führte zu einer Absatz- und Umsatzkrise, die wiederum zu einer Ertrags- und Liquiditätskrise führte, die ihrerseits die Existenzkrise auslöste.

Exemplarisch ließ sich dieser Verlauf in den zurückliegenden Jahren bei vielen Automobilindustrie- Zulieferern beobachten, die in jüngster Zeit das Schließen von Standorten, einen Personalabbau oder gar eine Insolvenz verkündet haben. Sie machten sich in der Vergangenheit oft in einem zu hohen Maße abhängig von zwei, drei Schlüsselkunden und bestimmten technischen Problemlösungen (als Beispiel sei hier nur das Stichwort Verbrennungsmotor genannt).

Doch da ihre Auftragsbücher noch voll waren, übersahen sie entweder die darin ruhenden Gefahren oder verspürten noch keinen Handlungsdruck. Also stellten sie die Weichen in ihrer Organisation nicht neu, obwohl schon absehbar war:

- Der Trend geht unter anderem aufgrund des Klimawandels in Richtung E-Mobilität und

- den Autoherstellern in Europa erwachsen zunehmend starke Wettbewerber in Übersee und Fernost.

Externe Faktoren sind meist nur ein Brandbeschleuniger

Deshalb sollten Unternehmen, die in eine existenzbedrohende Schieflage geraten, nie vorschnell in einem externen Ereignis die alleinige Ursache hierfür sehen, denn dann unterbleibt in der Regel eine tiefergehende Ursachenforschung.

Beschäftigt man sich jedoch intensiv mit der Frage, warum manche Unternehmen ein- und derselben Branche in eine existenzielle Krise gerieten und andere nicht, dann zeigt sich meist: Externe Faktoren wie die Corona-Pandemie, die hohe Inflation oder die gestiegenen Energiepreise sind zwar häufig der Auslöser der Krise jedoch nicht deren alleinige Ursache. Sie wirkten vielmehr wie ein Brandbeschleuniger, der latent vorhandene Probleme offen zutage treten ließ – sei es im Bereich Finanzen (z.B. Eigenkapital), Marktbearbeitung (z.B. Kundenstruktur) oder Innovation (z.B. Digitalisierung, Geschäftsprozesse, Produktentwicklung). Deshalb können Unternehmen, die in ihnen vorschnell die alleinigen Problem-Verursacher sehen, ihre existenzbedrohende Lage auf Dauer nicht entschärfen. Auf die erste Existenzkrise folgt vielmehr eine zweite, weil die wahren Problem-Ursachen nicht beseitigt wurden.

Die Problemwurzeln ermitteln und analysieren

Entsprechend wichtig ist es, wenn ein Unternehmen in eine existenzbedrohende Schieflage gerät, zunächst eine fundierte Analyse durchzuführen, warum dies geschah. Das heißt, sich Fragen stellen wie: Warum werden die „Problemlösungen“ des Unternehmens nicht mehr nachgefragt? Zum Beispiel, weil sie zu teuer sind? Oder weil sie technisch veraltet sind? Oder weil der Service nicht stimmt? Oder weil…?

Hierauf aufbauend gilt es dann beispielsweise zu ermitteln, warum die Produkte bzw. Problemlösungen zu teuer sind. Zum Beispiel, weil die Beschaffungskosten zu hoch sind? Oder weil die Produktions- oder Leistungserbringungsprozesse ineffizient sind? Oder weil die Kosten-Nutzen-Relation der Problemlösung aus Kundensicht zu niedrig ist? Oder weil…?

Erst durch dieses konsequente Nachfragen gelangt man zur den eigentlichen Problemursachen. Doch dies ist allein genügt nicht, um nachhaltige Problemlösungen zu entwerfen. Wichtig ist auch, sich zu fragen: Warum wurde das Problem nicht früher erkannt und gelöst? Zum Beispiel, weil ein Alarmsystem fehlt? Oder weil dem Unternehmen die nötige Kompetenz hierfür fehlt? Oder weil…?

Eine fundierte Analyse der Krisenursachen gelingt Unternehmen in der Regel nur mit externer Unterstützung, denn: Das nachfragende Bohren in der Ist-Situation und Historie des Unternehmens, um die Problemwurzeln zu ermitteln, ist meist ein schmerzhafter Prozess, in dem auch Versäumnisse in der Vergangenheit ans Licht gezerrt werden. Deshalb sind mit ihm oft auch personelle Wechsel auf der Managementebene verbunden.

Lesen Sie weiter auf Seite 2