Das vergessliche Gedächtnis
03.06.2024
Rolf Ehlhardt - Foto: © I.C.M. Independent Capital Management Vermögensberatung Mannheim GmbH
Seit es Börsen gibt, existiert auch der Wunsch, dort gewinnträchtig anzulegen. Von Wunsch bis Gier reicht die Inspiration. Davon leben nicht nur Banken und deren Berater, auch Börsenbriefe und Buchautoren. So hat zum Beispiel ein Buchautor ein Buch herausgebracht mit dem Titel „Wie werde ich an der Börse Millionär“. Der Einzige, der Millionär wurde, war der Buchschreiber. Nicht, dass ein Anleger auch gutes Geld an der Börse verdienen kann, aber es bedarf einiger Disziplin und vor allem das ein gutes Verlust-Management. Denn es wird immer wieder Kurseinbrüche geben bei Einzelwerten, von Aktien einer ganzen Branche oder sogar der gesamte Markt.
Die Tulpenzwiebel-Hausse von 1634 bis 1637 kennt man natürlich nur aus den Geschichtsbüchern. Deutlich näher liegt die erste Edelmetall-Hausse von 1971 bis 1980. Damals lag der Goldpreis von 800 US-Dollar auf Augenhöhe mit den Dow Jones (aktuell Gold 2.360, Dow Jones 39.600). Auch die Japan-Hausse von 1974 bis 1990 könnte noch in nebliger Erinnerung sein. Höchstkurs, wer Anfang 1990 zum Höchstkurs von 38.712,88 ein Index-Zertifikat kaufte, hat jetzt nach 34 Jahren sein Geld wieder, Währungsentwicklung mal unberücksichtigt. Aber welche heute noch aktive Berater und Anleger haben diese Zeit erlebt.
Wesentlich präsenter dürften die Geschehnisse um den „Neuen Markt“ 1997 bis 2000 sein. Im Jahr 1997 wurde der Nemax 50 geründet, zum Wert 1.000. Bis zum Höchststand am 10.3.2000 stieg der Index bis 9.666 Punkte, um im Crash bis Ende 2002 auf 318 Punkte zu fallen. Die meisten Gesellschaften gibt es nicht mehr, bzw. führen ein Pennystock-Dasein. Der Index ging im Tech-DAX auf.
Bei allen Einbrüchen am Ende der Haussen lagen ähnliche Symptome vor. Aber bis dahin entwickeln sich die Trends alle gleich. Die Phase eins beginnt im Crash, wenn erste Mutige in den gefallenen Kursen eine Chance sehen. Es springen weitere auf. Die Masse zögert. Die Phase zwei gibt ihnen Recht, denn Gewinnmitnahmen lassen die Kurze wieder fallen. „Gut, dass wir nicht gekauft haben“ wird zur Meinung der Anleger. Die Tiefstkurse werden nicht mehr erreicht. Dann startet Phase drei. Die schönste und längste Zeit. Die Kurse steigen. Rückschläge werden zum Einstieg oder Ausbau von Positionen genutzt. Immer mehr Anleger werden angelockt. So ziemlich alle verdienen Geld.
Unangenehmer wird die Phase vier. Rückschläge kommen öfter, und gehen tiefer. Zweifel erwachen. Werden aber ausgeräumt von der Phase fünf. Diese ist gekennzeichnet durch neue Hochs. Selbst weniger gute Nachrichten werden mit höheren Kursen quittiert. Bei Rückschlägen werden weitere Guthaben zum Aktienkauf bereitgestellt. Warnsignale werden „übersehen“. Insider verkaufen Bestände. Die Aktien sind inzwischen nicht mehr billig. Es werden Hoffnungen geweckt, die zu noch höheren Kursen führen werden. Anleger haben Angst, den nächsten Anstieg zu verpassen (Gier?).
Oft ist es dann eine Meldung, die noch vor Monaten unbeachtet geblieben wäre. Oder ein Geschehen passiert, das niemand auf dem Schirm hatte. Oder es werden Informationen plötzlich negativ statt positiv gesehen. So könnte zum Beispiel eine der geopolitischen Probleme eskalieren. Die Höchstverschuldung weltweit, die Deglobalisierung, steigende Rohstoffpreise lassen die Inflation weiter ansteigen. Was wäre, wenn die erste Zinssenkung der Notenbanken nicht als Befreiungsschlag, sondern als Warnsignal (für schlechtes Wachstum) verstanden wird? Es ist derzeit nicht ganz klar, sind wir schon in Phase fünf oder noch in Phase drei. Klar ist allerdings, dass Stimmungen oft abrupt drehen. In Phase 3 sind es Korrekturen, in Phase fünf der Beginn eines Abwärtstrends.
Auch auf die Alternative Gold als Vermögensschutz will ich nochmals hinweisen. Die westlichen Anleger haben ihre Bestände in einer relativ langen Konsolidierung (Phase zwei?) um etwa 30 Prozent abgebaut und so einen Teil des cirka 15-prozentigen Anstiegs seit März verpasst. Der Move seit März 2024 hat die Seitwärtsbewegung beendet und die Phase drei gestartet. Käufer sind östliche Anleger und Notenbanken. Mit der Einfrierung deren Guthaben seit dem Beginn des Ukraine-Krieges hat das Vertrauen von Geldanlagen in der westlichen Welt empfindlich gestört. Teilweise wurden auch US- Staatsanleihen in Gold umgeschichtet. Seit dem „alten“ Hoch aus dem Jahr 1980 hat sich die Weltbevölkerung nahezu verdoppelt. Es sind sicher nicht alle Anleger, aber ein Teil dieser Bevölkerung ist durch die Globalisierung zu Vermögen gekommen. Sie sind dem Edelmetall auf alle Fälle sehr aufgeschlossen. Die Aufwärtsbewegung könnte noch Jahre andauern und zu deutlich höheren Kursen führen.
Wann bei Industrieaktien die Zeit zum Verkaufen gekommen ist, weiß ja bekanntlich niemand. Aber jetzt mit der Reduzierung von Beständen oder Gewinnsicherung zu beginnen und damit, nach Investitionen in Edelmetallen und deren Aktien, die Liquidität zu erhöhen, erscheint eine erfolgreiche (Ziel Vermögenserhaltung) Strategie zu sein.
Marktkommentar von Rolf Ehlhardt, Vermögensverwalter, I.C.M. Independent Capital Management Vermögensberatung Mannheim GmbH.