Das „neue Arbeiten“ – was hat das mit mir zu tun?
03.06.2022
Janine Tychsen, Expertin für Unternehmenskommunikation, Coach, Unternehmensberaterin und Mentorin / Foto: © Janine Tychsen
Die Arbeitswelt steht Kopf, seit der Pandemie ist das offensichtlich. Es geht um „New Work“, Gleichstellung und Diversität. Fakt ist: Egal welche Unternehmensgröße oder Branche – wer in Zukunft Talente erreichen und wettbewerbsfähig bleiben möchte, muss umdenken. Das gilt auch für die Finanzbranche!
„Wir brauchen Vorbilder, die mutig neue Konzepte entwerfen, ihre Erfahrungen teilen – positive wie negative“, fordert Janine Tychsen. Über 20 Jahre war sie in Wirtschaft und Wissenschaft in der globalen Unternehmenskommunikation tätig – viele Jahre davon in Führung. Nie glaubte sie an die berühmte Glasdecke, bis sie selbst an sie stieß. Für die heute 45-jährige die Initialzündung, das „System Führung“ mitzugestalten und zu verändern. Im Gastbeitrag erklärt Janine Tychsen notwendige Stellschrauben, an denen Unternehmen drehen sollten.
Stellschraube 1: Flaschenhals Arbeitszeitberechnungen
Zeit ist Geld – was sich verändert, ist die Einstellung zur Arbeit und zu Geschlechterrollen. Wir arbeiten nicht mehr „nur“ um Geld zu verdienen, sondern aus Überzeugung – gerne und viel, aber bitte wann und von wo wir wollen, sofern vom Arbeitgeber ermöglicht. Viele Arbeitnehmer:innen wollen flexibel arbeiten – Vollzeit, Teilzeit, mobil und ergebnisorientiert. Willkommen im Flaschenhals – ändert sich nichts am Rahmen, kann sich der Inhalt – also die Arbeit – nicht nachhaltig verändern. Das gilt für große Konzerne, Versicherer, aber auch für die selbstständige Finanzberatung. Besonders bei letzterer ist flexibles Arbeiten eigentlich kein Problem, da auch Kund:innen Termine außerhalb des 9-to-5-Rahmens schätzen.
Um das gekonnt umzusetzen und in der „neuen Arbeitswelt“ mitzuhalten, richten Sie Ihren Blick auf die Berechnung der Arbeitszeit Ihrer Teammitglieder. Vor allem Headcounts sollten den Platz von FTEs (Full Time Equivalent) in der Bemessungsgrundlage von Personaler:innen einnehmen. Warum? FTEs drücken den Zeitwert einer Vollzeit-Arbeitskraft aus. Die Arbeitszeit von Teilzeitkräften wird hier nur partiell berücksichtigt: So sind zwei 50 %-Teilzeitkräfte eine 100 %-FTE. Wo bleibt der Mensch in der Wertschätzung seiner vollen Arbeitskraft? Headcounts berücksichtigen jedes Teammitglied per Kopf – unabhängig der Stundenanzahl.
Übrigens: Teilzeit ist spätestens seit der Pandemie nicht mehr nur ein „Frauenthema“: Home-Office, mobiles Arbeiten, geteilte Elternzeit, Home-Schooling. Sich für ein effizientes Arbeitsmodell entsprechend der eigenen Lebenssituation zu entscheiden, bedeutet weit mehr als Teilzeit. Es steht für selbstbestimmtes und kreatives Arbeiten, für Lebensqualität und Freiheit und zieht immer mehr in moderne Familien ein. FTE's sind daher nicht mehr zeitgemäß.
Ziel, Zahlen und Fakten:
Die Veränderung der Bemessungsgrundlage ist weit mehr als nur „etwas umdenken“ – es geht um grundsätzliche Strukturveränderungen und neue Strategien. Doch der Arbeitsmarkt ist in Bewegung. Waren es 2019 noch 60 % Frauen in Teilzeit, waren es 2021 „nur noch“ 47,5 %. Tatsächlich hat die Corona-Pandemie ihren Teil dazu beigetragen und flexibles Arbeiten ein Stück weit erzwungen. Unabhängig davon – jede und jeder sollte die Wahl haben und als volle Arbeitskraft wertgeschätzt werden.
Stellschraube 2: Führungsspitze neu gestalten
Haben Sie schon einmal über eine Doppelspitze nachgedacht oder über bunt gemischte Vorstandsetagen – unter Berücksichtigung aller Altersgruppen, kulturellen Herkünfte, geschlechterübergreifend? Hierarchisch klassische Führung ist schon lange nicht mehr zeitgemäß. Gerade das ist eine Herausforderung für die Finanzbranche, denn auch wenn die „Basis“ in den Unternehmen und auch das Feld der Berater:innen immer diverser werden, bleiben die Führungsetagen weiterhin gleich. Viele Unternehmen scheuen sich, ihre Führungsspitzen bunter zu gestalten. Doch wer heute exzellente Mitarbeiter:innen finden und halten möchte, muss Diversität leben und in der Ansprache unterschiedlicher Zielgruppen den richtigen Ton treffen.
Fakt ist: Gemischte Teams sind im internationalen Vergleich wettbewerbsfähiger. Dabei geht es nicht nur um den Frauenanteil – es geht um Diversität, Gleichstellung, Gleichberechtigung und Inklusion, abgekürzt DE&I. Wer diesen Weg geht, stellt sich bewusst gegen Vorurteile und Prägungen und läutet eine vielversprechende Neugestaltung der Unternehmenskultur ein.
Der Prozess zur Diversität gilt mittlerweile übrigens als Erfolgsfaktor Nummer eins im Employer Branding.
Ziel, Zahlen und Fakten:
Arbeitnehmer:innen haben die Notwendigkeit und den Mehrwert einer vielfältigen Arbeitsumgebung längst erkannt. Ein starkes Argument ist das Arbeitsklima – Studien zufolge gelingt Unternehmen mit einem hohen Anteil weiblicher Führungskräfte ein besseres Risiko- und Konfliktmanagement.
Aber brauchen wir für das Ziel „durchmischte Führungsetagen“ die Frauenquote? Sie ist umstritten, doch sie wirkt. Im Laufe der Jahre stellt sie sich als kraftvolles Mittel zum Zweck heraus. Und ja, sie hat die Welle ins Rollen gebracht.
Übrigens: Ein vielfältiges Vorbildunternehmen ist die Allianz SE: Laut Allianz Diversity Report von 2021, sind 52 % der weltweiten Belegschaft Frauen. 39% des Allianz-Führungspersonals ist weiblich. Es sind 27 % Frauen im Vorstand vertreten. Die Ziele für die kommenden Jahre sind noch höher gesteckt.
Stellschraube 3: Starke Mitarbeiter:innen durch offene Kommunikation
Jede noch so großartige Veränderung stößt an Grenzen, wenn die Belegschaft nicht mitgenommen wird. Das Fundament von „New Work“ ist Vertrauen – geben Sie Verantwortung ab. Entscheidungen von oben sind nicht mehr zeitgemäß. Finden Sie Stärken Ihrer Mitarbeitenden heraus und fördern Sie diese – so motivieren Sie Ihre Teams und sind effizienter. Vielleicht hat der ein oder andere sogar Lust auf Führung? Entwickeln Sie diese Mitarbeitenden in die Führung und geben Sie ihnen eine Perspektive.
Schauen Sie sich Ihre Meetingstrukturen an: Der Graus sind Wochen, die mit Meetings zugekleistert sind. Gestalten Sie diese effizienter. Und vor allem: Terminieren Sie Meetings zu Zeiten, in denen möglichst viele anwesend sind – nicht zu Randzeiten morgens um 9 Uhr und oder nachmittags um 16 Uhr.
Schaffen Sie Protokolle ab. Alternativ: Alle Beteiligten notieren die für sie wichtigsten drei Punkte. Am Ende wird alles zusammengefügt. Effekt: Ein Protokoll, ohne extra Zeitaufwand.
Ziel, Zahlen und Fakten:
Eine offene Gesprächskultur, die vorgelebt wird, schafft Vertrauen und zeigt Wertschätzung für alle. Transparenz ist das A&O für Veränderungen im Unternehmen. Wenn Ihre Mitarbeiter:innen verstehen, was Sie vorhaben, gibt es in der Umsetzung weniger Konflikte.
Bedenken Sie: Es kommt nicht nur auf das WAS an, sondern auch auf das WIE – wer sich verstanden und gehört fühlt, ist motivierter und damit leistungsfähiger. Tatsächlich besagen Studien, dass ein 30 % höherer Frauenanteil in der Chefetage mit einem um 15 % erhöhten Netto-Umsatz einhergeht. Offene Kommunikation und Verständnis füreinander zahlen sich im wahrsten Sinne des Wortes aus.
Gastbeitrag von Janine Tychsen, Expertin für Unternehmenskommunikation, Coach, Unternehmensberaterin und Mentorin.