Bloß keine Angst

11.10.2015

Auf die Frage, warum so viele Menschen von einer eigenen Pflegevorsorge nichts wissen wollen, obwohl sie im privaten Alltag immer häufiger mit dem Pflegethema konfrontiert werden, gibt es viele Antworten.

Im Gespräch mit der finanzwelt erläutert Stephan Schinnenburg, Vorstand der ERGO Beratung und Vertrieb AG und dort verantwortlich für den Makler-, Banken- und Kooperationsvertrieb, warum sich die Produktentwicklung stets an den Bedürfnissen der Menschen ausrichten muss.

finanzwelt: Warum läuft das Geschäft mit der Pflegeversicherung nach wie vor schleppend – trotz des erkannten Bedarfs?

Schinnenburg: Von rund 81 Millionen Pflegepflichtversicherten in Deutschland hatten laut PKV-Verband im Jahr 2013 nur 2,3 Millionen eine Pflegezusatzversicherung. Anders als die Krankenversicherung war die Pflegepflichtversicherung immer nur als Teilkaskoversicherung gedacht. Und dennoch schließen so wenige Menschen diese Lücke. Auch wir wollten wissen, warum das so ist, und haben in einer repräsentativen Untersuchung Menschen befragt. Die zentralen Ergebnisse: Die Sorge, dass ein naher Angehöriger pflegebedürftig werden könnte, teilen zwei Drittel der Männer und sogar drei Viertel der Frauen. Damit ist die Befürchtung, einen Pflegefall in der engeren Familie zu bekommen, größer als etwa die Angst vor Armut im Alter oder die Angst vor eigener schwerer Krankheit. Die Untersuchung zeigt, dass viele Menschen zum einen Angst vor der Pflegebedürftigkeit haben und das Thema verdrängen. Zum anderen haben viele das Gefühl, wenig über die Pflege zu wissen. Die Menschen wissen, dass sie für die Pflege vorsorgen müssen, wollen sich aber nicht mit dem Thema beschäftigen.

finanzwelt: Was können Makler hiergegen tun und mit welchen Argumenten könnten sie beim Kunden „punkten“?

Schinnenburg: Je älter die Menschen werden, umso mehr machen sie Erfahrungen mit Krankheit und Pflege im persönlichen Umkreis. In der Folge nehmen sie das Thema Pflegebedürftigkeit eher an und setzen sich mit möglichen Konsequenzen auseinander. Allerdings: Im Alter verschlechtert sich der Gesundheitszustand häufig, und die Einstiegsbeiträge für die Pflegeversicherung sind im Alter höher als in jungen Jahren. Makler sollten ihre Kunden daher frühzeitig für das Thema sensibilisieren. Dabei schauen wir besonders auf die 30- bis 45-Jährigen. Wir wollen Wege finden, die Pflege aus der Verdrängung ins Bewusstsein zu holen. Ganz wichtig ist es, den Menschen nicht noch mehr Angst zu machen. Im Gegenteil: Im Alter auf Hilfe angewiesen zu sein, ist die normalste Sache der Welt. Die Frage ist nur: Wie will ich diese Lebensphase gestalten? Wie will ich leben? Und wie stelle ich sicher, dass das Geld dafür reicht? Das ist der Gesprächsansatz, den wir bevorzugen.

finanzwelt: Und was sollten die Versicherer Ihrer Meinung tun, um die Maklerschaft bei ihrer Beratung zum Thema „Pflege“ zu unterstützen?

Schinnenburg: Die entscheidende Frage ist: Wie gehen Menschen mit dem Thema Pflege um? Das müssen sich Versicherer in der Produktentwicklung bewusst machen: Wenn wir als Versicherer Produkte auf den Markt bringen wollen, die den Bedürfnissen der Menschen entsprechen, müssen wir diese Bedürfnisse erst einmal verstehen. Die Menschen wissen wenig über Pflege, daher sind einfache Produkte wichtig. Ein Beispiel dafür ist der neue Pflege-Verdoppler der DKV. Mit diesem Tarif kann der Versicherte die Leistungen der Pflegepflichtversicherung verdoppeln – ohne Begrenzung auf den Rechnungsbetrag. Und die Leistungen passen sich immer an die Leistungen der Pflegepflichtversicherung an. Damit ist gut für die Pflegebedürftigkeit vorgesorgt und man muss sich im Laufe seines Lebens kaum noch damit beschäftigen. Ein weiterer Aspekt ist der Antrag: Im neuen Antragskonzept unterstützen wir die Makler dabei, direkt im Verkaufsgespräch die Versicherbarkeit des Kunden zu ermitteln. Unsere Gesundheitsfragen benennen konkret alle risikorelevanten Krankheitskomplexe. Damit erfährt der Kunde schon im Verkaufsgespräch, ob er sich bei uns versichern kann.

finanzwelt: Was glauben Sie sind die schwersten Hürden für die Makler?

Schinnenburg: Aus meiner Sicht ist die größte Herausforderung für Makler und andere Vertriebspartner, den Interessenten von der Notwendigkeit einer Pflegeversicherung zu überzeugen. Erschwert wird dies zum einen dadurch, dass das Ereignis, das versichert werden soll, nämlich die Pflegebedürftigkeit, gerade bei jüngeren Menschen in der Regel noch in weiter Ferne liegt. Zum anderen kommt auch hier das Problem zutage, dass – wie schon erwähnt – viele Menschen das Thema Pflege verdrängen. Hier sehen wir Parallelen zur Arbeitskraftabsicherung, dieses Risiko wird ebenfalls oft verkannt. Ein weiterer Aspekt: Die Bedarfsanalyse ist sehr umfangreich, beispielsweise die Berechnung des Tagegelds pro Pflegestufe.

finanzwelt: Und nun kommen wir mal zum Positiven einer Pflegeversicherung. Denn schließlich geht es hier um die Absicherung nicht nur des Menschen, sondern auch seines Vermögens im Alter sowie den Erhalt seines Vermögens. Welche Leistungen muss eine Pflegeversicherung in jedem Falle beinhalten, um dies zu gewährleisten?

Schinnenburg: Es kommt weniger auf einzelne Leistungen an. Die entscheidende Frage ist vielmehr: Reichen die Leistungen aus der privaten und der gesetzlichen Pflegeversicherung insgesamt aus, um im Pflegefall alle Kosten zu decken? Kunden sind gut beraten, wenn sie sich diese Frage frühzeitig stellen. Sie sollten beispielsweise mit ihrem Makler die erwarteten Einkünfte im Alter den möglichen Ausgaben für die Pflege gegenüberstellen. Auf Basis dieser Analyse lässt sich die private Absicherung planen; Kunden können dann beispielsweise ein ausreichend hohes Pflegetagegeld vereinbaren.

finanzwelt: Könnten denn Pflegetarife nach Art der Sachversicherung eine Lösung sein?

Schinnenburg: Eine Teillösung, würde ich sagen. Tarife nach Art der Sachversicherung haben ja immer einen großen Preisvorteil in jungen Jahren. Junge Menschen schließen so vielleicht früher und mit einem guten Gesundheitszustand eine Pflegeversicherung ab. Das wäre eine gute Sache. Andererseits: Eine echte Vorsorge fürs Alter bekommt man nur mit einer Versicherung nach Art der Lebensversicherung. Sie müssen also jede Versicherung nach Art der Schaden irgendwann in eine nach Art der Leben überführen, mit einem Beitragsanstieg und viel Erklärungsbedarf beim Kunden. Das ist der Haken an der Sache. (hwt)

finanzwelt Special 05/2015 | Pflege