„Ohrfeige für deutschen Gesetzgeber“

27.03.2020

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Werden bald Millionen von Kreditverträgen aufgelöst? Ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs eröffnet diese Möglichkeit –und wirft ein sehr schlechtes Licht auf den deutschen Gesetzgeber. Die negativen Folgen dürften vor allem Unternehmer spüren.

Gestern hat der EuGH entschieden, dass die von einer deutschen Sparkasse verwendete Widerrufsbelehrung in Kreditverträgen nicht dazu geeignet ist, Verbraucher in klarer und prägnanter Form über die Modalitäten ihres Widerrufsrechts zu informieren. Nach Überzeugung der auf Bankrecht spezialisierten TILP Rechtsanwalts GmbH kippt damit die sogenannte Gesetzlichkeitsfiktion und Millionen Kreditverträge könnten damit zurückgerufen werden. Weile die dem EuGH vorliegende Passage der Widerrufsbelehrung in amtlichen Mustertexten geschrieben steht, ist das Urteil von besonderer Tragweite. So haben viele Unternehmer diese in Millionen Kreditverträgen verwendet, weil sie darauf vertrauten, dass die Mustertexte ihre Richtigkeit haben. Die Verwender der Mustertexte durften sich grundsätzlich sicher sein, dass sie die Vertragspartner ordnungsgemäß belehrt haben. So galten nämlich bislang die Anforderungen an eine ordnungsgemäße Belehrung dann als erfüllt, wenn der Verwender ein amtliches Muster des Gesetzgebers verwendet (sog. „Gesetzlichkeitsfiktion“). Damit dürfte jetzt Schluss sein. „Dieses Urteil markiert einen Wendepunkt. Der BGH muss und wird nach unserer festen Überzeugung die Gesetzlichkeitsfiktion kippen - und zwar mit Wirkung für die Vergangenheit“, ist sich TILP-Anwalt Alexander Heinrich sicher, obwohl der BGH noch nicht über die Gesetzlichkeitsfiktion in dem jetzt vom EuGH entschiedenen Zusammenhang befunden hat.

Auf den deutschen Gesetzgeber wirft das EuGH-Urteil auf jeden Fall kein gutes Licht. So ist laut der EU-Richtlinie 2008/48 ein Verbraucher in „klarer prägnanter Form“ über die Ausübung des Widerrufsrechts zu informieren. Weil die dem EuGH vorgelegte Passage der Widerrufsbelehrung einem amtlichen Mustertext des Gesetzgebers entspricht und nach Meinung des EuGH aber gerade nicht klar und prägnant ist, resümiert TILP-Anwalt Heinrich: „Der deutsche Gesetzgeber hat vom EuGH eine Ohrfeige erhalten. Er ist daran gescheitert, europarechtskonforme Muster zu verabschieden. Die Unternehmer wollten mit den Mustern alles richtig machen. Doch jetzt ist auf einmal alles falsch, weil der Gesetzgeber es falsch gemacht hat. Ausbaden müssen es nun aber die Unternehmer.“ 

Millionen Verträge sind betroffen

Für Verbraucher kann sich der Widerruf von Kreditverträgen rentieren. Unternehmer, vor allem Kreditinstitute, befürchten jedoch, dass Kunden das Urteil zum Anlass nehmen, sich massenhaft von unliebsamen Verträgen zu lösen. Von dem Urteil und dem damit verbundenen Ende der Gesetzlichkeitsfiktion sind mehrere Millionen Kreditverträge betroffen, bspw. sämtliche Immobilien-Mobiliar-Verbraucherdarlehensverträge, die zwischen dem 10. Juni 2010 und dem 20. März 2016 geschlossen wurden. Bei Autokrediten sind sogar alle Verträge betroffen, die seit dem 10. Juni 2010 bis heute abgeschlossen wurden. So könnten sich Verbraucher mittels des Widerrufs etwa von hochverzinsten Immobilienkrediten lösen und günstig umschulden. Dabei erhalten sie die bereits gezahlten Zinsen zurück. Bei einem wirksamen Widerruf dürfen Banken keine Vorfälligkeitsentschädigungen verlangen und müssen Verbraucher aus dem Darlehen entlassen. Bei Allgemein-Verbraucherdarlehen, wie etwa einem Autokredit, folgt aus dem Widerruf ebenfalls, dass der Kreditvertrag beendet ist, der Verbraucher seine bisherigen Zahlungen zurückerhält und die Bank keine Vorfälligkeitsentschädigung verlangen darf. Außerdem ist das Auto an die Bank zu übergeben. Gerade angesichts der noch nicht absehbaren Auswirkungen der Corona-Krise könnte das EuGH-Urteil Millionen von Verbrauchern helfen. Weitere Informationen stellt TILP unter www.widerruf-von-Krediten.de zur Verfügung. (ahu)