Nicht jeder Change ist eine Transformation

12.01.2023

Dr. Georg Kraus ist geschäftsführender Gesellschafter der Unternehmensberatung Kraus & Partner. Foto: © Kraus & Partner

Was unterscheidet einen Transformations- von einem Changeprozess? Das ist vielen, die das Modewort „Transformation“ verwenden, unklar. In der Managementdiskussion werden die Begriffe Change und Transformation oft weitgehend synonym verwendet. Dabei gibt es zwischen ihnen durchaus Unterschiede.

Jede Veränderung ist ein Change

Das Wort Change bezeichnet schlicht eine Veränderung und kann sich auf sehr viele Objekte und Prozesse beziehen. Werden im Unternehmen die PCs ausgetauscht oder die Wände neu gestrichen, handelt es sich um einen Change- oder Veränderungsprozess. Ein Change ist es auch, wenn Abläufe optimiert, Teams neuformiert und Mitarbeiter eingestellt oder entlassen werden. Ein Change kann sich also, er muss sich aber nicht auf alle Ebenen beziehen, die dem Beratungsdreieck zugrunde liegen, nämlich die Unternehmensstrategie, -kultur und -struktur (Prozesse und Abläufe).

[caption id="attachment_161817" align="aligncenter" width="631"]

Change-Management: Das Beratungsdreieck. Quelle: © Kraus & Partner[/caption]

Ein Change muss zudem nicht, er kann aber auch eine Einstellungs- und Verhaltensänderung der Mitarbeiter erfordern, denn: Ein Changeprozess setzt anders als ein Transformationsprozess nicht notwendigerweise einen sogenannten Musterwechsel voraus.

Ein Change, jedoch kein Musterwechsel ist es zum Beispiel, wenn die Mitarbeiter im Werk eines Autoherstellers fortan Limousinen statt Geländewagen bauen. Denn dann müssen sie zwar einige Handgriffe neu lernen, ihre Einstellung und ihr Verhalten aber nicht grundsätzlich ändern. Anders sieht es aus, wenn ein Autohersteller beschließt: „Wir produzieren künftig nur noch E-Autos.“ Oder gar: „Wir entwickeln uns zu einem Mobilitätsanbieter.“

Bei einem solchen Strategiewechsel ändern sich nicht nur die Leistungserbringungsprozesse, das gesamte Unternehmen muss eine neue Identität entwickeln. Das erfordert auch neue Kompetenzen sowie Denk- und Handlungsmuster der Prozessbeteiligten.

Sich transformieren heißt sich neu erfinden

Unter einer Transformation versteht man generell den Prozess einer gezielten Umgestaltung der „genetischen“ Grundstruktur eines Systems – unabhängig davon, ob es sich um eine Gesellschaft oder ein Unternehmen handelt. Im Verlauf dieses Prozesses definiert zum Beispiel ein Unternehmen sich selbst und seine Beziehungen zu seiner Umwelt neu. Zudem hinterfragt es neben seiner Strategie und seinem Geschäftsmodell auch seine Geschäftsprozesse und gestaltet diese bei Bedarf um.

Die Transformation eines Unternehmens lässt sich mit der Metamorphose vergleichen, die viele Insekten im Laufe ihres Lebenszyklus durchlaufen. So gibt es zum Beispiel bei einem Schmetterling die Entwicklungsphasen Ei, Raupe, Puppe und Falter. Im Verlauf dieses Entwicklungsprozesses gestaltet sich das genetische Material vollständig um. Doch nicht nur dies. Eine Schmetterlingsraupe hat auch andere Fähigkeiten als der Falter am Ende des Entwicklungszyklus: Eine Raupe kann zum Beispiel nicht fliegen.

Die Organisation entwickelt eine neue Identität

Ähnlich verhält es sich bei der Transformation eines Unternehmens. Auch in diesem Prozess wird das Unternehmen unter Berücksichtigung der vorhandenen Ressourcen wie Erfahrungen und Kompetenzen so radikal umgestaltet, dass die transformierte Organisation für Personen, die mit ihr längere Zeit keinen Kontakt hatten, kaum wiederzuerkennen ist; unter anderem, weil sich neben ihrer Strategie, auch ihre Kultur und Struktur gewandelt haben. Nach dem Durchlaufen eines Transformationsprozesses verfügt eine Organisation über eine neue Identität und neue Kompetenzen. Deshalb brauchen auch ihre Mitarbeiter teils neue Fähigkeiten und Fertigkeiten.

Es gibt jedoch auch Unterschiede zwischen der Metamorphose eines Schmetterlings und der Transformation eines Unternehmens. Bei einem Schmetterling ist der Transformationsprozess genetisch festgelegt: Erst Ei, dann Raupe, dann Puppe, dann Falter. Er läuft sozusagen automatisch ab. Dies ist bei der Transformation eines Unternehmens nicht der Fall. Hier gilt es vielmehr, das System ausgehend von einer Vision durch sorgsam geplante Interventionen gezielt zu entwickeln beziehungsweise zu verändern.

Transformationen sind multidimensionale Changeprozesse

Letztlich ist jeder Transformationsprozess ein komplexer, multidimensionaler Changeprozess, der seinerseits wieder aus einer Vielzahl von Projekten besteht, die sich wechselseitig beeinflussen. Entsprechend groß muss die Changemanagement-Kompetenz der Projektverantwortlichen sein. Sie müssen um zwei Termini aus dem agilen Projektmanagement zu gebrauchen, inkrementell und iterativ vorgehen. Sie müssen also immer wieder überprüfen, ob die Veränderungsinitiativen die gewünschten Wirkungen erzielen und sich die Organisation in Richtung des angestrebten Ziels entwickelt; zudem bei Bedarf eine Kurskorrektur vornehmen. Deshalb sollten die Projektverantwortlichen außer über eine hohe analytische auch kommunikative Kompetenz verfügen, um den Betroffenen und Beteiligten die Notwendigkeit der Kurskorrekturen zu vermitteln.

Hinzu kommt: Bei der Transformation von Unternehmen steht anders als bei der Entwicklung eines Schmetterlings auch das Endziel des Prozesses unter Vorbehalt – unter anderem weil er sich in einem dynamischen Umfeld vollzieht. So kann zum Beispiel kein Top-Manager in der Automobil-Industrie heute bereits mit Gewissheit sagen,

  • wie die Autos in 15 oder 20 Jahren konstruiert sein werden,
  • ob ihr Unternehmen dann noch existiert und
  • ob es in 20 Jahren überhaupt noch einen motorisierten Individualverkehr gibt oder dieser eventuell verboten sein wird.

Das Prozessmanagement erfordert eine hohe Agilität

Deshalb müssen die Transformationsverantwortlichen bei der Projektplanung und -steuerung agil sein und bleiben, selbst wenn die innerhalb des Gesamtprojekts stattfindenden Teilprojekte klassisch oder hybrid gemanagt werden. Entsprechend groß sollte außer ihrer Change- ihre Projektmanagement-Kompetenz sein. Zudem sollten sie reife Führungspersönlichkeiten sein, denen die Betroffenen, wenn nicht gerne, so doch bereitwillig folgen – unter anderem, weil sie ihnen nicht nur aufgrund ihrer fachlichen Kompetenz, sondern auch Persönlichkeit vertrauen.

Gastbeitrag von Dr. Georg Kraus,  geschäftsführender Gesellschafter der Unternehmensberatung Kraus & Partner