Neues zum Fall Phoenix Kapitaldienst

20.06.2018

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EuGH weicht im Fall Phoenix Kapitaldienst überraschend von den anlegerfeindlichen Schlussanträgen des Generalanwalts ab. Grundsatzurteil für sämtliche Behörden der Mitgliedstaaten, die der MiFID unterfallen

Der von der TILP Rechtsanwaltsgesellschaft mbH (TILP) gegen die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) erstrittene Vorlagebeschluss (vom 04.11.2015, Az. 7 C 4.14) des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) an den Europäischen Gerichtshof (EuGH) hat gestern zu einem wegweisenden Grundsatzurteil des EuGH geführt (vom 19.06.2018, Az. C-15/16). Der EuGH beantwortet die Vorlagefragen des BVerwG in zentralen Punkten entgegen der Auffassung des Generalanwaltes und der im deutschen Ausgangsrechtstreit von TILP verklagten BaFin. Diese kann sich demnach nicht ohne inhaltliche und zeitliche Beschränkungen auf das in Art. 54 der Richtlinie 2004/39/EG über Märkte für Finanzinstrumente (MiFID) geregelte Berufsgeheimnis bezüglich der von ihr von überwachten Finanzunternehmen berufen.

Damit folgt der EuGH überraschend nicht dem Schlussantrag des Generalanwalts Yves Bot vom 12.12.2017, was in der gerichtlichen Praxis des EuGH nur selten vorkommt. Der EuGH erteilt vielmehr dem Vorschlag des Generalanwaltes aus dessen Schlussanträgen, „zu entscheiden, dass alle bei einer nationalen Aufsichtsbehörde für die Finanzmärkte angefallenen Informationen . . . über ein beaufsichtigtes Unternehmen unabhängig von weiteren Voraussetzungen“ nach Art. 54 MiFID „durch das Berufsgeheimnis geschützt sind“, eine klare Absage.

„Die Ausführungen des EuGH sind aus Sicht von geschädigten Anlegern, die von der Finanzaufsicht Informationen begehren, zu begrüßen. Dass weder eine inhaltliche noch eine zeitliche Beschränkung für das aufsichtsrechtliche Geheimnis gelten soll, wie dies der Generalanwalt gefordert hatte, wäre unter dem Aspekt der Transparenz und Verhältnismäßigkeit nicht nachvollziehbar gewesen“, kommentiert Rechtsanwalt Peter A. Gundermann, Geschäftsführer von TILP, der den gegen die BaFin klagenden Anleger vor dem EuGH und dem BVerwG vertreten hat.

In dem Vorlagebeschluss zugrunde liegenden Fall begehrt ein von TILP vertretener Anleger Auskünfte nach dem Informationsfreiheitsgesetz (IFG) gegen die BaFin über deren Ermittlungsergebnisse in einem Fall von Kapitalanlagebetrug (Fall „Phoenix Kapitaldienst“). Konkret geht es um das Verständnis und die Reichweite von § 3 Nr. 4 IFG im Lichte des Art. 54 MiFID („Berufsgeheimnis“). Dieser gilt nach Art. 1 für alle Wertpapierfirmen, geregelte Märkte und Kreditinstitute der EU-Mitgliedstaaten. Unter das Berufsgeheimnis nach Art. 54 fallen sämtliche diesbezüglich zuständigen Behörden aller EU-Mitgliedsstaaten. Nach § 3 Nr. 4 IFG würde ein Informationsanspruch u.a. dann nicht bestehen, wenn die Information einer durch Rechtsvorschrift geregelten Geheimhaltungs- oder Vertraulichkeitspflicht oder einem Berufs- oder Amtsgeheimnis unterliegt.

Der EuGH hat nun im Rahmen eines Vorabentscheidungsersuchens gemäß Art. 267 AEUV geklärt, dass das Verständnis des Begriffes „vertraulicher Informationen“, die das beaufsichtigte Unternehmen Phoenix Kapitaldienst der nationalen Aufsichtsbehörde, hier der BaFin, übermittelt hat, nicht so weitreichend ist, wie dies der Generalanwalt und die BaFin vertreten. Deren Rechtsauffassungen wurden nahezu einhellig durch die zum EuGH-Verfahren eingereichten Stellungnahmen von Mitgliedsstaaten unterstützt, auch durch die Bundesrepublik Deutschland (vom 21.04.2016, Ref.-Nr. DC 56373). Dagegen wurde die Rechtsposition von TILP im Wesentlichen nur von der Europäischen Kommission geteilt (Stellungnahme vom 19.04.2016, Ref.-Nr. DC 56236).

„Auskunftssuchende jeglicher Art haben nun aufgrund dieses Urteils weitreichendere Informationsrechte gegen die BaFin als bisher. Entgegen der bisherigen Behördenpraxis der BaFin dürfen Informationen nicht restriktiv in undifferenzierter Form als vertraulich klassifiziert werden“, führt Rechtsanwalt Gundermann weiter aus.

Insbesondere entschied der EuGH, dass vertrauliche Informationen, die einer Aufsichtsbehörde erteilt wurden, nach 5 Jahren grundsätzlich nicht mehr als aktuell und somit nicht mehr als vertrauliche Geschäftsgeheimnisse einzustufen seien. Möchte sich eine Aufsichtsbehörde insoweit gleichwohl auf eine Vertraulichkeit der Information berufen, muss sie im Einzelfall nachweisen, dass die Information trotz ihres Alters noch immer als vertraulich anzusehen sei.

„Der EuGH hat mit seinem Urteil im Rahmen von Auskunftsbegehren gegenüber den Behörden im Anwendungsbereich der MiFID eine Beweislastumkehr bezüglich aller Informationen begründet, die den Behörden seit mindestens 5 Jahre bekannt sind. Dies erleichtert die Rechtsdurchsetzung für Anleger wie überhaupt allen Auskunftssuchenden elementar“, betont Rechtsanwalt Andreas W. Tilp, Geschäftsführer von TILP. „Das von unserer Kanzlei erstrittene EuGH-Urteil ist rechtspolitisch von grundsätzlicher Bedeutung, weit über die Praxis der BaFin und über Anlegerrechte hinaus. Der von der BaFin vor Gericht vertretene bedingungslose Tod sämtlicher Auskunftsrechte gegen Finanzbehörden wurde von unserer Kanzlei erfolgreich abgewehrt“, schließt Tilp.

Mehr Informationen: www.tilp.de