Marktentwicklungen nach dem britischen Referendum und dem Rücktritt David Camerons

23.06.2016

Steven Andrew

An den globalen Finanzmärkten kam es in der letzten Nacht und heute Morgen zu starken Bewegungen – zum Teil erscheinen diese rational, zum Teil könnte es sich jedoch auch um Überreaktionen handeln.

Die Bestätigung des Abstimmungsergebnisses beseitigt einige Unsicherheiten und schafft andererseits neue. Unsicherheit besteht zu jeder Zeit, doch die Märkte reagieren oft am stärksten, wenn es einen konkreten Anlass gibt. Tatsächlich wissen wir zurzeit noch sehr wenig, so dass wir uns darauf konzentrieren sollten, was wir wissen – wie sich die Vermögenspreise bewegen und wie dies mit einer Bandbreite von Faktoren zusammenhängt, die voraussichtlich den globalen Wirtschaftsausblick über eine aussagekräftige Zeitspanne beeinflussen werden. Als Investoren, die weltweit agieren, müssen wir von der enormen Medienaufmerksamkeit auf dieses Thema einen Schritt zurückgehen und uns fragen, ob sich die Aussichten global verändert haben. Bislang können wir sagen, dass die „Story“ – in Bezug auf eine breite politische Unzufriedenheit in vielen Regionen, nicht nur Großbritannien – sich etwas weiterentwickelt hat. Darüber hinaus können wir nur sehr wenig mit Bestimmtheit sagen. Niemand mag politische Unsicherheit, doch es gibt keine Anzeichen dafür, dass es einen Wechsel unseres Wirtschaftsregimes in Richtung eines antikapitalistischen Modells geben wird. Deshalb sollten wir es kritisch hinterfragen, wenn sich die Märkte so verhalten, als ob genau das passieren würde. Wir müssen sorgfältig analysieren, was die Marktbewegungen aufgrund dieser „neuen“ Neuigkeiten rechtfertigt. Die Bewegung des Pfund Sterling im Vergleich zum US-Dollar um 10 % letzte Nacht mag gerechtfertigt sein, aber ist es auch der Kursrückgang bei japanischen Banken um 7-8 % oder um 6-7 % bei portugiesischen Anleihen an einem einzigen Tag? Keine dieser Bewegungen haben die Kurse außerhalb der Spannen geführt, die wir in diesem Jahr schon gesehen haben. Aber die Schnelligkeit sieht nach wahlloser Panik aus. Wie viele Handelsvereinbarungen zwischen Großbritannien und der EU haben wirklich mit den Gewinnen japanischer Banken zu tun? Und wird es aufgrund dieses Ergebnisses nicht umso wahrscheinlicher, dass die EZB alles in ihrer Macht Stehende tun wird, um sicherzustellen, dass die Renditen der europäischen Peripherieanleihen nicht in instabile Höhen ansteigen? Die europäischen Aktienmärkte haben heute Morgen zweistellige Kursrückgänge verzeichnet. Wenn man bedenkt, dass der DAX im Vorfeld des Referendums bereits zeitweise um 7 % gefallen war, erscheinen größere Ausschläge jetzt nicht überraschend. Jetzt, da das „Leave“-Votum gefallen ist, erscheinen größere Ausschläge nicht überraschend. Rückgänge dieser Größenordnung können jedoch auch Einstiegsgelegenheiten darstellen. Wir haben ein wachsames Auge auf Kaufgelegenheiten in allen Bereichen, in denen zu aggressiv verkauft wird. Insbesondere betrachten wir alles, was nicht im „Epizentrum“ des Brexit steht, denn wir denken, dass die Märkte die Bedeutung dieses Ergebnisses unnötig weltweit als negativ ausdehnen. Auf der anderen Seite neigen wir dazu, unser Engagement in denjenigen Bereichen zurückzufahren, die nicht zu rechtfertigende Rallys erleben, etwa in Anleihen, die als „sicherer Hafen“ gelten. Die Renditen von US-Staatsanleihen sind zwar stark gefallen, doch werden langfristig der Brexit oder die Politik der Fed mehr Einfluss auf die Papiere ausüben? Wird die Fed sich stärker vom Brexit beeinflussen lassen oder von den heimischen Wirtschaftsdaten, etwa der Vereinbarkeit der Arbeitslosenquote mit einer weiteren Zinserhöhung? Bei den europäischen Anleihen sehen wir eine Ausdehnung der Spreads in der Peripherie und eine Verengung in den Kernländern. Das weist auf einen Abverkauf und mögliche Panikstimmung hin. Zusammenfassend sind wir zwar der Meinung, dass es sich hier um ein bedeutendes Ereignis handelt. Wir sind jedoch überzeugt, dass man unterscheiden muss zwischen diesem einen Ereignis und der Auffassung, die Welt habe sich über Nacht zum Schlechteren gewandelt. Wir sollten uns für vereinfachenden Rückschlüssen hüten, die den Brexit als wichtigsten Faktor für die Weltwirtschaft einschätzen. Über die nächsten Jahre wird es viele Faktoren geben, die die Weltwirtschaft beeinflussen – manche davon werden mit Handelsvereinbarungen mit der EU zu tun haben, andere mit der Politik in Spanien, und wieder andere mit längerfristigen Faktoren wie etwa den großen Linien der US-Politik. Wir müssen darauf achten, zu jedem Zeitpunkt all diese Faktoren im Blick zu behalten und zu gewichten, damit wir die verschiedenen Risiken und Chancen und ihren Einfluss auf Assetpreise abschätzen können.

von: Steven Andrew, M&G Income Allocation Fund