Kein „Schwarzer Schwan“ für die Kapitalmärkte, aber der Europapolitik drohen noch rabenschwarze Tage

12.07.2015

Thomas Böckelmann

„Europa entscheidet“ war der Tenor für dieses Wochenende. Aber von einer endgültigen Entscheidung zwischen „Grexit“ oder 3. Hilfspaket sind wir trotz der am heutigen Morgen verkündeten Einigung doch noch einiges entfernt.

Aktuell liegt der Ball wieder im griechischen Spielfeld. Entweder erfolgt eine griechische Vorleistung durch Umsetzung von Reformen binnen 72 Stunden oder es droht das „Aus“.

Nachdem die griechische Regierung in Ignoranz des „Nein“-Referendums, welches sie zuvor in der Bevölkerung selber forciert hatte, pro-aktiv bei der Eurogruppe am Donnerstagabend Reformvorschläge einreichte, war ein schnelles weiteres Hilfspaket nicht unwahrscheinlich. Das mutmaßlich von französischen Politikern diktierte Papier war zu detailliert und zu entgegenkommend, um es pauschal abzulehnen.

Die über das Papier geführten Diskussionen der 19 Eurostaaten in den letzten 48 Stunden offenbarten aber fundamentale Gräben zwischen den Euroländern. Auf der einen Seite Deutschland, die Niederlande, Österreich, Finnland und die Osteuropäer, auf der anderen Seite Frankreich, Luxemburg, Italien und Griechenland. Zwischen den Stühlen die Länder auf erfolgreichem Reformkurs wie Irland, Portugal und Spanien. Die Spaltung in der Eurozone ist Realität – sichtbar dank Alexis Tsipras. Nach sechs Monaten filmreifen Theaters haben er und sein Spieltheoretiker Europa vorgeführt und die Büchse der Pandora geöffnet. Die radikalen linken Parteien in den anderen hochverschuldeten Euroländern haben ihre Helden gefunden und drohen für den Fall von Wahlerfolgen z.B. im Herbst in Spanien mit vergleichbaren Forderungen. Vertrauen wurde zerstört.

Es bedurfte dieses Falles „Griechenland“, um endlich offen über die Konstruktionsfehler des Euro und die unterschiedlichen Zielrichtungen und Philosophien der Euro-Staaten zu debattieren, ohne auf politische Korrektheit Rücksicht zu nehmen. Für die etablierten Eurostaaten geht es um unterschiedliche Europaphilosophien. Die einen, die Regeln und Glaubwürdigkeit der europäischen Idee über alles stellen und im Zweifel die Mitgliederzahl auch reduzieren wollen und die anderen, die den Zusammenbruch der europäischen Vision fürchten, sobald ein Mitglied (egal wie es sich verhält) nicht gehalten wird. Für die Linken geht es sogar um die generelle Systemfrage für Europa irgendwo zwischen Sozialismus und Marktwirtschaft.

In diesen Morgenstunden scheint vorerst ein Kompromiss gefunden, der den Ball zurück nach Griechenland spielt. Um menschliche Katastrophen abzuwenden, müssen die Banken wieder öffnen. Spätestens am 20. Juli fällt hier für Griechenland der Vorhang, wenn die EZB nicht hinreichende Anhaltspunkte hat, den Geldhahn weiter zu öffnen. Allerdings möchte sich die Mehrheit der Eurostaaten nicht auf die neuen griechischen Versprechungen verlassen, die offensichtlich im Gegensatz zu den Parteiprogrammen der Koalition, aber auch im Gegensatz zum Referendum stehen.

Insofern erscheint es sinnvoll, zunächst von Griechenland bis Mittwochnacht die Umsetzung wesentlicher Reformen im Parlament zu verlangen. Dazu gehören z.B. die bis heute nicht erfolgten Rentenreformen der Jahre 2010 und 2012 sowie die Einrichtung eines Treuhandfonds. Für den Fall der parlamentarischen Umsetzung könnten dann erneut Verhandlungen einsetzen.

Aus heutiger Sicht ist unklar, wie das griechische Parlament entscheiden wird. Zumindest scheinen die Anforderungen an Griechenland derart hoch, dass die anderen Eurostaaten zuversichtlich sind, im Falle eines „Ja“ aus Griechenland in heimischen Parlamenten die erforderliche Unterstützung zu finden. Anderenfalls droht der „Grexit“.

In jedem Fall bedarf es großer Anstrengungen, die Gräben zwischen den Eurostaaten zu schließen.

Zumindest die Aktienmärkte honorierten am Freitag nach zuvor heftigen Verlusten die Aussichten auf eine Einigung am Wochenende. Insofern folgt auf die jüngste Party mit Sicherheit der nächste Euro-Kater.

Autor: Thomas Böckelmann, Investmentchef der Vermögensmanagement EuroSwitch