Ist der Recovery Fund ausreichend?

03.06.2020

Gilles Moëc, AXA Chief Group Economist und Head of AXA IM Research / Foto: © AXA IM

Sind die EZB-Kaufprogramme ausreichend, um die Wirtschaft in der Post-Corona-Zeit am Leben zu erhalten? Gehen diese Maßnahmen gar mit einer erhöhten Inflation einher? Antworten auf diese und weitere Fragen gab Gilles Moëc, AXA Chief Group Economist und Head of AXA IM Research, im exklusiven finanzwelt-Interview.

finanzwelt: Was ist Ihre Meinung zum Merkel/Macron-Vorschlag?

Gilles Moëc: Es ist ein sehr bedeutender Fortschritt, da die Ausgaben entsprechend dem Bedarf zugewiesen würden, losgelöst von dem Beitrag der Empfänger zur Rückzahlung der Schulden, die aus dem EU-Haushalt beglichen werden. Dies entspricht einer robusten Definition von fiskalischer Solidarität. Die Europäische Kommission ist mit ihrem Vorschlag, dass die Rückzahlung — zumindest teilweise — aus neuen direkten Mitteln statt aus Beiträgen der nationalen Haushalte erfolgen soll, sogar noch einen Schritt weitergegangen. Dies wäre ein Fortschritt in Richtung Steuerföderalismus. Kurz gesagt: die Solidität der EU auf diesem Wege sicherzustellen, ist aus politischer Sicht ein Durchbruch. Aus makroökonomischer Sicht wird der Recovery Fund allein wahrscheinlich zu klein bleiben, um alle Zweitrundeneffekte der gegenwärtigen Krise zu bewältigen. Die Ausgaben würden sich über 4 Jahre verteilen, wobei jedes Jahr etwas weniger als 1 % des BIP der EU ausgezahlt würde. Das ist zwar ein beträchtlicher Betrag, aber der größte Teil der fiskalischen Maßnahmen als Antwort auf die Rezession und deren Folgen wird nach wie vor von den nationalen Behörden kommen müssen.

Ohne Frage stehen schwierige Verhandlungen bevor. Abgesehen von der Zuweisung der Ausgaben und der Rückzahlung versucht die Kommission, viele heikle Debatten „in einem Rutsch“ abzuschließen, wie z.B. die Einführung einer Grenzsteuer oder die Konzeption einer “digitalen Steuer”, die langwierige Diskussionen mit möglicherweise heiklen Momenten mit einigen wichtigen Handelspartnern der EU wie den USA und China erfordern wird.

finanzwelt: Ist die Reaktion der EZB auf die Pandemie ausreichend? Glauben Sie, dass es notwendig sein wird, dass die EZB ihr PEPP-Programm oder ihre Liquiditätsmaßnahmen ausweitet?

Moëc: Bei dem Tempo, mit dem die EZB interveniert, werden bis Ende September die gesamten 750 Milliarden Euro des PEPP-Programms ausgegeben sein. Das wird eine Verlängerung notwendig machen und einige schwierige Entscheidungen mit sich bringen. Je mehr die EZB kauft, desto schwieriger wird es, die “Zwillingsgrenzen” gleichzeitig einzuhalten (nicht mehr als ein Drittel des Schuldenniveaus eines Mitgliedstaates halten, Kauf nach dem Kapitalzeichnungsschlüssel). In den Augen des deutschen Bundesverfassungsgerichts ist das natürlich ein heikles Thema. Eine Kompromisslösung bestünde darin, dass die EZB ankündigt, dass der PEPP über einen sehr langen Zeitraum reinvestiert wird, was eine allmähliche Neugewichtung der Käufe weg von den fragilsten Ländern und hin zum Kapitalschlüssel ermöglicht.

finanzwelt: Ist mit einem Anstieg der Inflation infolge der Konjunktur- und Unterstützungsprogramme zu rechnen?

Moëc: Bisher deuten die Daten darauf hin, dass sich die Inflation seit Beginn der Pandemie tatsächlich verlangsamt hat. Mittelfristig gehen wir davon aus, dass die Kapazitätsauslastung — angesichts des Anstiegs der Arbeitslosigkeit und der Tatsache, dass die Produktionskapazitäten durch die Abschottung intakt geblieben sind — so niedrig sein wird, dass der Inflationsdruck auf die Verbraucherpreise ausbleiben wird. Dies stünde im Einklang damit, dass die von der Zentralbank geschaffene Liquidität entweder “ruhend” auf Cash-Konten bleibt oder ihren Weg zu den Vermögenspreisen findet. Langfristig müssen wir auf das Risiko achten, dass einige der institutionellen Veränderungen, die möglicherweise durch die Pandemie hervorgerufen werden, ein inflationsanfälliges Umfeld schaffen. Insbesondere die Lockerung der Wettbewerbsregeln könnte langfristig dazu beitragen, eine Art “Mietverhalten” zu schaffen, auch wenn es völlig verständlich ist, dass die staatlichen Beihilfen vorübergehend erweitert werden. (ah)