Höchste Vorsicht

25.08.2015

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Eine weit verbreitete Meinung ist, dass der privat Krankenversicherte im Krankheitsfall besser versichert ist als der gesetzlich Versicherte. Das mag im Einzelfall sicherlich wahr sein, hängt aber im Wesentlichen vom gewählten Tarif ab. Eine private Krankentagegeldversicherung (KT) hat im Vergleich zum gesetzlichen Krankengeld nicht nur Vorteile.

Sie hat auch echte Nachteile: Man muss in der Regel „vollständig“ arbeitsunfähig sein. Während in der gesetzlichen Krankenversicherung – gemäß Arbeitsunfähigkeitsrichtlinien – Arbeitsunfähigkeit (AU) zum Beispiel schon dann vorliegen kann, wenn „[…] absehbar ist, dass aus der Ausübung der Tätigkeit für die Gesundheit oder die Gesundung abträgliche Folgen erwachsen, die AU unmittelbar hervorrufen können“, verlangt die private KT einen AU-Grad von 100 %.

Die private KT wird höchstrichterlich als Summenversicherung eingestuft und darf nicht höher als das Nettoeinkommen sein. Maßgeblich für die Berechnung ist laut Musterbedingungen MB/KT 2009 der Durchschnitt der letzten zwölf Monate. Dies ist nach Meinung des Autors eine fragwürdige Regelung, da sie ein prägendes Merkmal der Selbständigkeit nicht würdigt: Schwankende Einnahmen.

Der 12-Monats-Zeitraum ist viel zu kurz.

Betrachtet man den zeitlichen Verlauf der Einkommenssituation zum Beispiel eines selbständigen Treppenbauers, der wegen Bandscheibenproblemen krank wird, stellt man meist fest, dass er eine Zeitlang immer wieder kurz krankgeschrieben wurde, meist aber arbeitete. Dann wurden die Zeiten der Krankschreibung länger, bis das Arbeiten schließlich gar nicht mehr möglich war und er anfing, KT zu beziehen. Dieser typische Verlauf lässt den Jahres-Durchschnittsverdienst sinken. Der KT-Versicherer aber seinerseits verlangt bei Anmeldung der KT-Ansprüche erst einmal Einkommensnachweise, um sodann, wann immer möglich, das versicherte KT herabzusetzen. Diesem Gebaren hat das OLG Karlsruhe Ende 2014 in einem wegweisenden und rechtskräftigen Urteil zu Recht ein Ende gesetzt: Ist der Leistungsfall bereits eingetreten, darf der KT-Versicherer die Höhe des KT nicht mehr anpassen. Eine entsprechende Änderung allerdings ist bis heute in keinem KT-Bedingungswerk zu finden. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.

Erhält nun der Versicherte sein KT, wird der KT-Versicherer zu gegebener Zeit versuchen, diese Leistungen wieder einzustellen. Hierzu existieren zwei Möglichkeiten: Entweder ist der AU-Grad unter 100 % gesunken, oder der KT-Versicherer behauptet das Vorliegen einer BU. Ersteres hat zur Folge, dass das KT weiter besteht. Behauptet der KT-Versicherer aber BU, hat das weitreichende Konsequenzen: Der Versicherer beendet die KT-Versicherung! So steht das seit Jahrzehnten in den MB/KT, meist unter § 15 Absatz 1. Müßig zu erwähnen, dass dieser BU-Begriff ganz anders formuliert wird als in den gängigen BU-Tarifen; hier wird immer noch der seit 2001 aus dem SGB VI gestrichene Begriff der Erwerbsunfähigkeit verwendet.

Jetzt muss gehandelt werden.

Für den Vermittler ist nun wichtig dafür zu sorgen, dass der Versicherte sofort eine Anwartschaftsversicherung auf das KT beim jeweiligen Versicherer abschließt. Der Versicherer kann das nicht verweigern, es besteht für ihn Kontrahierungszwang. So entsteht dann auch das Problem, dass der KT-Versicherer BU behauptet und die Leistung einstellt, während der BU-Versicherer eine BU nach seinen Bedingungen noch gar nicht anerkannt hat.

An dieser Stelle ist zu beachten, dass die Möglichkeit besteht, dass der BU-Versicherer seine Leistungspflicht auch für den Zeitraum anerkennt, für den schon KT geleistet wurde. Da sich die beiden Zustände AU und BU aber wechselseitig ausschließen, hat der BGH bereits 1989 bestätigt, dass in diesem Fall der KT-Versicherer grundsätzlich einen Rückzahlungsanspruch besitzt. Allerdings müsse, so der BGH, der Versicherer dies auch für den Laien verständlich in seine Bedingungen schreiben; so muss der BU-Rentenbezug zum Beispiel ausdrücklich als Beendigungsgrund genannt werden. In den MB/KT 2009 allerdings steht das bis heute nicht. Jedoch haben die meisten Versicherer dies nach und nach in ihre ergänzenden Tarifbedingungen aufgenommen. Ob der Rückzahlungsanspruch also tatsächlich existiert, ist immer genau zu prüfen. Man kann versuchen, diese Rückzahlung zum Beispiel dadurch zu vermeiden, dass man zunächst einmal die BU für einen späteren Zeitpunkt behauptet und hofft, dass der Versicherer dem folgt. Was allerdings in der Praxis nicht immer funktioniert, da es eine rechtlich doch eher wackelige Konstruktion darstellt.

Schließlich bieten einige Versicherer eine „Verbundlösung“ an:

Wenn die BU und die KT im selben Verbund versichert sind, dann garantiert der Versicherer, dass, sollte die KT wegen BU beendet werden, die BU die Rentenzahlungen nahtlos übernehmen wird. Diese Lösung trifft man zum einen sehr selten, da sie nachträglich im Bestand kaum oder nur schwer zu installieren ist: Das eine Mal spricht der Gesundheitszustand dagegen, das andere Mal der zu versichernde Beruf. Zum anderen aber greift diese Lösung gar nicht, wenn das KT beendet wird, weil keine vollständige AU mehr vorliegt. Hier entsteht die seltsame Situation, dass die alternative Lösung einiger BU-Anbieter, die eine sofortige sechsmonatige Rentenzahlung versprechen, wenn der KT-Versicherer BU behauptet hat und der Antrag auf BU bei diesem BU-Versicherer auch eingereicht wird, die bessere sein kann als die Verbundlösung aus einer Hand, weil der KT-Versicherer bzw. sein Verbund nicht darüber nachzudenken braucht, welche Lösung denn nun (für den Verbund) die sinnvollere sei.

Eine andere Lösung wäre es, kein KT zu versichern, sondern eine BU mit einer Klausel, die Leistung schon bei Arbeitsunfähigkeit („AU-Klausel“) verspricht, zu wählen. Hierbei ist bei der Auswahl des Versicherers auf die Ausgestaltung der Klausel zu achten. Derzeit gibt es am Markt elf Anbieter einer sogenannten AU-Klausel. Diese lassen sich, wie es der Biometrie-Experte Philip Wenzel vorschlägt, in drei Generationen unterteilen:

1. Generation: Der Begriff der Arbeitsunfähigkeit ist in den Bedingungen definiert, wodurch es dem Versicherer möglich ist, das Vorliegen der AU selbst zu prüfen. Außerdem ist zur Leistung auch das Einreichen aller Unterlagen vorausgesetzt, die auch bei einer Beantragung der BU-Rente notwendig sind.

2. Generation: Das Einreichen aller Formulare ist ebenfalls bedingungsgemäße Voraussetzung, aber der Versicherer kann das Vorliegen der AU nicht mehr selbst prüfen. Eine Bescheinigung nach § 5 EntgFG ist ausreichend.

3. Generation: Sie verzichtet auf das Einreichen aller Formulare. Eine Bescheinigung der Arbeitsunfähigkeit löst bereits die Leistung aus. Zur Prüfung der eventuellen Ausschlüsse und einer oberflächlichen Prüfung der vorvertraglichen Anzeigepflicht muss hier bei manchen Anbietern zusätzlich zum „gelben Schein“ eine Diagnose beigelegt werden.

Der Nachteil an diesen Klauseln im Vergleich zum KTG liegt darin begründet, dass man in den allermeisten Fällen erst nach sechs Monaten eine Leistung erhält und somit diesen Zeitraum aus den eigenen Ersparnissen überbrücken müsste. Außerdem muss ebenfalls in den allermeisten Fällen auch eine Rente wegen Berufsunfähigkeit beantragt werden, wodurch dieser Prozess deutlich erschwert wird.

Am schwerwiegendsten ist allerdings, dass alle Klauseln, bis auf einen Anbieter aus der ersten Generation, die Leistungsdauer über die gesamte Vertragslaufzeit auf 18 bzw. 24 Monate begrenzen. Es ist aber berechtigterweise anzunehmen, dass gerade derjenige, der einmal länger als sechs Monate AU wird, dies auch ein zweites Mal wird. Deswegen ist es durchaus möglich, dass die 18 oder auch 24 Monate in der Summe für das restliche Arbeitsleben des Versicherten nicht ausreichend sind. Wer also sein KT durch eine BU mit AU-Klausel ersetzen möchte, muss sich bewusst sein, dass er das Risiko einer sehr kurzen (wenn er weniger als sechs Monate krankgeschrieben ist) und einer sehr langen (wenn er länger als 18 bzw. 24 Monate krankgeschrieben ist) AU, selbst tragen muss. Wäre dieser Zeitraum nicht begrenzt, wäre die AU-Klausel in den Verträgen der 3. Generation mit Sicherheit das bessere KT …

Wer aber bereits ein KT versichert hat und nun zusätzlich eine BU mit einer AU-Klausel abschließen möchte, der sei auf folgenden Umstand hingewiesen:

Nach § 9 Nr. 6 der MB/KT 2009 darf der Abschluss einer weiteren Versicherung mit Anspruch auf KT nur mit Einwilligung des ursprünglichen Versicherers vorgenommen werden. Ob Zahlungen aus einer AU-Klausel einer BU darunter fallen würden, ist rechtlich nicht geklärt. Außerdem kann eine solche Leistung unter § 4 Abs. 2 der MB/KT als „sonstige Krankentage- und Krankengelder“ fallen und den Versicherer so zur entsprechenden Kürzung des KT auf den Durchschnittsnettolohn berechtigen. Man kann daher derzeit nur dazu raten, dies im Vorfeld mit dem KT-Versicherer zu klären. Am sinnvollsten ist es sicherlich, KTG und BU-Rente in gleicher Höhe zu wählen, sodass es in keiner Variante zu einem Verlust käme.

Stephan Kaiser, Geschäftsführer BU-Expertenservice GmbH

Onlineausgabe 03/2015