Handelsvertreterausgleich: Fallstricke und neuere Urteile

18.10.2021

Rechtsanwalt Tim Banerjee / Foto: © Banerjee & Kollegen

Freie Handelsvertreter können erfolgreiche Geschäftsmodelle aufbauen, zumal in der Finanz- und Versicherungsindustrie. Wenn es aber zum Streit kommt, etwa bei Kündigung oder Krankheit, kann es richtig teuer werden. Freie Handelsvertreter sollten daher immer über die rechtlichen Entwicklungen informiert bleiben.

Kommt es zwischen Handelsvertretern und ihren Gesellschaften zum Streit, geht es in den allermeisten Fällen ums Geld. In der Regel wird über den sogenannten Handelsvertreterausgleich und Provisionszahlungen diskutiert. Gehen diese Streitigkeiten ungünstig aus, kann das für den Handelsvertreter richtig teuer werden und sogar die Existenz gefährden.

Unter dem Handelsvertreterausgleich versteht man die Vergütung, die zum Ende des Vertragsverhältnisses zwischen Handelsvertreter und einem Unternehmen gezahlt wird, um die Vorteile auszugleichen, die der Handelsvertreter dem Unternehmen eingebracht hat. Der Handelsvertreterausgleich ist rechtlich im Handelsgesetzbuch in § 89 b geregelt. Daher ist zunächst der Hintergrund der Kündigung zu betrachten. Gesellschaften versuchen oftmals, so zeigt die Praxis, mit fadenscheinigen Begründungen Kündigungen ohne Zahlung des Handelsvertreterausgleiches durchzusetzen.

Bei fristloser Kündigung Entfall des Ausgleichsanspruchs nicht einfach hinnehmen

Allzu oft machen Unternehmen beispielhaft vom Instrument der fristlosen Kündigung Gebrauch, auch wenn diese gar nicht haltbar ist. Aber: Für jede außerordentliche Kündigung ist ein wichtiger Grund erforderlich. Das ist in § 89a Abs. 1 HGB geregelt und liegt dann vor, wenn der Gesellschaft unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zur vereinbarten Vertragsbeendigung oder bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Außerdem muss der außerordentlichen Kündigung eine Abmahnung vorausgehen. Nur ausnahmsweise kann sie entfallen.

Der Handelsvertreter büßt seinen Ausgleichsanspruch nur dann ein, wenn ihm ein wirklich schuldhaftes Verhalten gemäß § 89b Abs. 3 Nr. 2 HGB nachgewiesen werden kann. Das bedeutet, dass nicht jede außerordentliche Kündigung eines Handelsvertreters notwendigerweise zu einem Verlust des Ausgleichsanspruchs führt. Das hat das Oberlandesgericht Köln (Urteil vom 01.03.2021, Az.: 19 U 148/20) bestätigt. Der klagende Handelsvertreter war wegen Steuerhinterziehung zu 180 Tagessätzen verurteilt worden. Daraufhin hatte seine Auftraggeberin, eine Versicherung, ihn fristlos gekündigt und wollte den Ausgleich nach 14 Jahren Tätigkeit nicht zahlen. Das hat das Oberlandesgericht Köln unterbunden und erstmalig klarstellt, dass die Kündigungsgründe das Vertragsverhältnis betreffen müssen und nicht etwa in der Privatsphäre oder Lebensführung des Handelsvertreters liegen sollen, um einen Entfall des Ausgleichsanspruches zu rechtfertigen. Das Urteil und die abgelehnte Berufung durch die Versicherungsgesellschaft sind damit hochrelevant für Streitigkeiten über den Entfall des Ausgleichsanspruches.

Unternehmen können die Stornoreserve nicht pauschal einbehalten

Auch bei der Stornoreserve kann es zu Diskussionen kommen. Gesellschaften versuchen gerne, diese einzubehalten, obwohl dem Handelsvertreter die Auszahlung zusteht. Das wurde beispielsweise vor dem Oberlandesgericht Karlsruhe verhandelt (Urteil vom 13.09.2017, Az.: 15 U 7/17). Damals ergab sich ein handelsvertreterfreundliches Urteil: Nach der Beendigung eines Handelsvertretervertrages können Unternehmen die Stornoreserve nicht pauschal einbehalten, sondern müssen die Gründe konkret darlegen. Das bedeutet: Fordert das Unternehmen die Rückzahlung vermeintlich zu viel bezahlter Provisionen oder Vorschüsse, trägt es auch die Beweislast und muss für jeden einzelnen Rückforderungsanspruch die konkreten Gründe darlegen und sie gegebenenfalls auch beweisen können. Mit seinen Ausführungen zur Darlegungslast im Saldenprozess hat das Oberlandesgericht die Position des Handelsvertreters gestärkt. Die Darlegungslast gilt im Grundsatz für alle Positionen ab Vertragsbeginn. Gesellschaften müssen auch zu jedem stornierten Vertrag näher erläutern, aus welchen Gründen das Storno erfolgt ist, wie sich die genaue Höhe der Stornierung ermittelt und ob und wie versucht wurde, das Storno zu verhindern.

Provisionszahlungen nach Krankheit genau regeln

Viele Gesellschaften ziehen nach einer Krankheit zur Errechnung der Folgeprovisionen die Ausfallzeit heran. Das reduziert dann natürlich die späteren Zahlungen erheblich, auch wenn der Handelsvertreter vorher sehr erfolgreich war. Das müssen sich Handelsvertreter nicht gefallen lassen. Aus der Praxis sind viele Fälle bekannt, in denen ein Handelsvertreter nach längerer Krankheit spürbare Gehaltseinbußen hinnehmen musste, weil die Gesellschaft die Ausfallzeit voll in die Kalkulation der Provisionen eingerechnet hat. Daraus folgt aber die Problematik, dass Handelsvertreter zunächst nichts aufgrund der Krankheit verdienen und nach dem Wiedereinstieg erst einmal wesentlich schlechter gestellt sind als in der Vergangenheit. Der Handelsvertreter ist also gezwungen, die Krankheitszeit finanziell aufzuholen, obwohl seine historischen Zahlen möglicherweise sehr gut sind.

Daher sollten Handelsvertreter schon bei der Vertragsgestaltung darauf achten, eine verträgliche Lösung zu finden und nicht auf alles einzugehen, was die Gesellschaft gerne hätte. Es lassen sich Regelungen finden, bei denen ein gesundheitlich bedingter Ausfall eben keine massiven Auswirkungen auf die späteren Provisionsabrechnungen hat. Eine Krankheit darf kein Grund für eine spätere Provisionsreduzierung sein. Sollte es dazu kommen, sollten sich Handelsvertreter dies nicht gefallen lassen, sondern eine juristische Lösung anstreben. Bei einer Freistellung kann ein Handelsvertreter laut Bundesgerichtshof ebenfalls die ihm zustehenden Folgeprovisionen sowie eine monatliche Ausgleichszahlung ohne Kürzung erhalten.

Gastbeitrag von Tim Banerjee, Rechtsanwalt Wirtschaftskanzlei Banerjee & Kollegen, u.a. spezialisiert auf Vertriebs- & Versicherungsrecht, Mönchengladbach