Grundsteuerreform: Riesenprojekt ohne Projektplan?

01.07.2022

Björn Wichert, Steuerexperte für die Grundsteuer / Foto: © Björn Wichert

Ab 1. Juli dürfen 36 Mio. Grundstücke neu berechnet werden. „Da steckt viel Fehlerpotenzial drin“, warnt Björn Wichert. Er ist einer von 13 Steuerberatern der Webseite Grundsteuereinfach.de. Ein bundesweites Expertenteam, das sich seit neun Monaten auf das Thema Grundsteuerreform vorbereitet – mit dem Ziel: Chaos verhindern. Keine Schwarzmalerei, sondern purer Realismus. Denn weder Bodenrichtwerte der Gutachterausschüsse stehen komplett, noch Software und Manpower der Finanzämter. Außerdem: Die neue Grundsteuerberechnung funktioniert rein digital und Berechnungsmodelle sind in vielen Bundesländern unterschiedlich.

Für finanzwelt erklärt Björn Wichert mögliche Fehlerquellen und wie wir sie verhindern können:

„Die Grundsteuerreform ist ein Riesenprojekt mit festgelegten Meilensteinen, aber ohne Projektplan“, wundert sich der Experte. Bis 31. Oktober muss die Grundsteuer neu berechnet werden. Betroffen ist jeder Grundstücksbesitzer mit Immobilien – egal, ob vermietet oder frei. Auch unbebaute Grundstücke werden neu bewertet. „Wir reden hier nicht über große finanzielle Veränderungssprünge, dafür ist der Aufwand schon irre“, so Wichert. Er spielt damit auf die vielen Räder an, die ineinandergreifen müssen. Von Eigentümer, über Steuerberater oder Hausverwaltung, Finanzamt bis zu den Gemeinden, die letztlich die Hebesätze der Grundsteuer anpassen müssen. Denn eigentlich soll es bei 16 Mrd. Euro Grundsteueraufkommen bleiben.

Fehlerquelle 1: Prokrastination – bitte jetzt anfangen

Selbst machen oder abgeben? Alles ist möglich, so Wichert. Wichtig sei aber vor allem, sich schnell zu entscheiden. „Auch wenn ich einen Steuerberater habe, die Grundsteueranpassung kann ich getrennt davon selbst machen“, so der Experte. Aber aufgepasst. Notwendig dafür ist die passende Software und ein entsprechendes Elster Zertifikat – je mehr Registrierungen, umso länger sei die Wartezeit. Je mehr Anfragen, umso schwieriger werde es auch bei Grundbuchämtern, die eigenen Unterlagen zu bekommen.

Beim Wunsch nach digitaler Einsicht stoße auch so mancher Immobilienmakler an seine Grenzen. „Dienstleister mit dieser Möglichkeit bieten bestimmt bald Expressabfragen an, dann aber für locker 100 Euro“, prophezeit Wichert. Normalerweise koste ein Grundbuchauszug z.B. in Brandenburg 20 Euro.

Der nächste Knackpunkt: Das Finanzamt erwartet das Ganze in digitaler Form, es gebe da nur selten eine Ausnahme. Formulare für „analoge Fälle“ seien nicht vorgesehen – zumindest nicht einfach und in hoher Zahl. Für Opa Oskar und Oma Erna hat sich das Expertenteam um Wichert deshalb etwas ganz Besonderes einfallen lassen: „Wir haben acht Corona-Test-Vans in Scanmobile umfunktioniert, die touren jetzt durch Deutschland“, erklärt er.

Fehlerquelle 2: Gutmütigkeit oder Geldquelle? Hausverwaltungen aufgepasst!

Abgesehen von Steuerberatern, dürfen auch Verwaltungen die Grundsteuer übernehmen. Das ist neu im Steuerberatungsgesetz und nicht ohne Risiko. „Hausverwaltungen sehen natürlich ein Umsatzmodell in der Neuberechnung der Grundsteuer“, so Björn Wichert. Manche könnten auch einfach nur nicht „nein“ sagen. Bei allem Respekt vor dem Servicegedanken rät der Steuerberater, die Police der Haftpflichtversicherung zu überprüfen. Eine Anpassung der Grundsteuer gab es seit 1964 nicht, daher sei das zumindest für Hausverwaltungen Neuland. Er selbst musste sich erstmal gründlich mit der Thematik auseinandersetzen: „Allerdings haben wir Steuerberater schon mit dem Bewertungsgesetz gearbeitet, das gilt ja beispielsweise auch für Erbschaft- und Schenkungssteuer.“ Es gehöre auf jeden Fall Expertise dazu – nur um schnell Umsatz zu generieren, dafür sei das Thema zu heiß.

Das Problem dabei ist die Haftung – übernimmt die Hausverwaltung die Grundsteueranpassung der Eigentümer, haftet sie für die nächsten sieben Jahre.

Dabei kann die Beschwerde auch von Dritten kommen. Wenn beispielsweise Mieter wie Lehrer Lars oder Anwalte Arne nochmal genauer nachrechnen und einen Fehler finden. Verwaltungen mit über 10.000 Einheiten sind deshalb bereits Kooperationspartner von Wicherts Berater-Gruppe. „Wir übernehmen die Haftung für die nächsten sieben Jahre, das war wohl ein überzeugendes Argument“, so Wichert. Ohne Expertenhilfe passieren Fehler, selbst wenn es nur 100 Euro seien – das bei 6.000 Einheiten. Ein Haftungsschaden von 600.000 Euro ginge schneller als man denken könne.

Fehlerquelle 3: Zu wenig Manpower und Expertise

Bundesweit suchen die Finanzämter 2.000 – 3.000 Mitarbeiter, nur für das Thema Grundsteuer. Wichert bewertet das skeptisch: „Die Wenigsten werden eine steuerliche Ausbildung vorweisen können, die kriegen einen Crashkurs und dürfen dann ab 01. November alle Unterlagen bearbeiten.“ Allein das Verständnis der unterschiedlichen Berechnungsmodelle sei eine Herausforderung.

Baden-Württemberg beispielsweise: Hier interessiert nur die Grundstücksgröße, nicht wie dieses bebaut ist. Im Gegensatz dazu berücksichtige Brandenburg auch die Immobilie. In Hamburg rechne man mit einem Lagekoeffizienten: Eine Immobilie in Blankenese wird beispielsweise höher bewertet als die identische Quadratmeterzahl in z.B. St. Pauli. In Berlin wiederum sei egal, ob die 100 m²-Wohnung in Dahlem oder Wedding liege.

Doch allein bei der Übertragung der Daten ist schnell ein Fehler passiert. Ist das Baujahr nicht korrekt, kann das Objekt schnell teurer oder günstiger eingestuft werden. Die Berechnungen seien für den Otto-Normalverbraucher eine Blackbox. „Ich befürchte, dass es da wegen fehlender Erfahrungen seitens des Finanzamtes zu Fehleinschätzungen kommen wird“, so Wichert.

Fehlerquelle 4: Festsetzungsbescheid. Bitte prüfen!

Ist einmal die Einspruchsfrist von einem Monat abgelaufen, gilt der Grundsteuerwert für die nächsten sieben Jahre. Auch für das Finanzamt hat der Steuerbescheid dann bindende Wirkung. Der Bescheid des Finanzamtes zum Grundsteuerwert in 2023 komme als Wolf im Schaftspelz, denn darin stehe wortwörtlich: „Aufgrund dieses Bescheides ist kein Geld zu bezahlen“.

An dieser Stelle warnt Grundsteuerexperte Wichert vor zu großer Erleichterung, denn „dann kommt 2025 der Hammer von der Gemeinde und Sie stellen fest, dass plötzlich die doppelte Grundsteuer berechnet wird.“ Der Grundsteuerbescheid im Jahr 2023 sei die Grundlage für die Festlegung durch die Gemeinde. „Die Aufforderung der Gemeinde, die 2025 kommt, die muss dann bezahlt werden.“ Deshalb sei es so wichtig, den Festsetzungsbescheid auf Herz und Nieren zu prüfen.

Die ganze Anpassung einfach zu ignorieren, sei leider auch keine Lösung. Im Gegenteil – gegen Ende der Anpassungsfrist im Oktober wird sich langsam der Druck auf die Finanzämter erhöhen. Denn das neue Grundsteuergesetz ist per Bundesverfassungsgericht beschlossen worden. „Das bedeutet, spätestens im Januar fangen die Finanzämter an, Verspätungszuschläge festzusetzen“, gibt der Grundsteuerexperte zu bedenken. Bis Ende 2023 müssen die Grundsteuerwerte stehen, dann würden diese den Gemeinden übermittelt. Das heißt, die Gemeinden müssen dann ihre Steuersätze anpassen. „Ich bezweifle, dass das bei 16 Mrd. Euro bleiben wird, das wird steigen. Wenn auch nicht utopisch“, merkt Wichert an. Ab 2025 gilt dann die neue Grundsteuer.