Graue Theorie

14.04.2016

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Die Marktdurchdringung mit BU-Policen krankt an der Selektionspolitik der Branche. In vielen Berufen ist es schlicht unerschwinglich, ausreichende Vorsorge zu treffen. Da kommt der Vorschlag, alle Berufsgruppen einfach abzuschaffen, scheinbar gerade recht.

Doch eine große Zukunft scheint ihm nicht beschieden. Ebenso wie den Zahlbeiträgen in bekannter Größenordnung. Die in den letzten Jahren initiierte, immer feiner ausgeprägte Berufsgruppendifferenzierung ist der Hauptgrund dafür, dass immer mehr Berufe von BU-Policen abgeschnitten werden. Sie sind schlicht unbezahlbar geworden. Bei dieser Entwicklung müssen im Endeffekt alle BU-Versicherer mitmachen, ob sie wollen oder nicht. Ansonsten würden sie sich einer negativen Risikoselektion aussetzen und müssten überproportional die „ungewünschten“ Berufsgruppen versichern. Vor diesem Hintergrund geistert seit geraumer Zeit das Stichwort Unijob-Tarife durch die Landschaft, also eine Kalkulation ohne Berufsgruppen. Hinter dem Vorschlag steckt die Idee, auch Beschäftigten in sogenannten Risikoberufen eine vollwertige Berufsunfähigkeitsabsicherung zu erschwinglichen Prämien zu ermöglichen. Unter sozialpolitischen Aspekten hätte eine Unijob-Kalkulation durchaus ihre Vorzüge, indem sie zu einer Angleichung der Preise für ansonsten gleichen Versicherungsschutz führen würde. Der Beitrag für Berufe mit hohem Risiko wird dann zwar günstiger, aber weiterhin teuer sein. Berufe mit einem niedrigen Risiko müssen mit deutlich teureren Beiträgen rechnen. Das kann dann jedoch dazu führen, dass diese keine BU mehr abschließen oder andere Optionen wählen. Das Ergebnis könnte sein, dass die Marktdurchdringung im Bereich BU sinkt und nicht steigt. Dies befürchtet auch Markus Kiener, geschäftsführender Gesellschafter bei Fonds Finanz: „Auszugleichen ist Unijob nur durch Beitragserhöhungen, die das Produkt vor allem für Kunden mit geringerem Risiko im Vergleich zur Konkurrenz weniger attraktiv machen. Das führt dazu, dass das Produkt mittel- bis langfristig wieder vom Markt verschwinden würde. Zusätzlich besteht die Option, dass sich Versicherer andere Selektionsgründe einfallen lassen oder aber über weitere Angaben Beiträge differenzieren. Peter Schneider, Geschäftsführer bei MORGEN & MORGEN, ist deshalb überzeugt: „Dieser Vorschlag könnte natürlich nur funktionieren, wenn der Gesetzgeber die Berufsdifferenzierungen verbietet.“ Die Kalkulation würde dann nicht einfach zu dem durchschnittlichen Beitrag führen. Aufgrund von Sicherheitszuschlägen würde sich der Beitrag eher im höheren Bereich bewegen, da man ja nicht wisse, wer den Tarif tatsächlich abschließt. Lars Heermann, Bereichsleiter Analyse der ASSEKURATA Assekuranz Rating-Agentur, sieht für den Fall einer Unijob-Einführung ebenfalls den Gesetzgeber in der Pflicht, möglicherweise aber nicht nur ihn: „Für einen derartigen Eingriff in die vertragliche Kalkulationsfreiheit der Versicherer wäre der Gesetzgeber gefordert, der zu der Überzeugung gelangen müsste, das gesellschaftspolitische Versorgungsinteresse über den Grundsatz der Vertragsfreiheit zu stellen und letztlich eine Rechtsgrundlage für verbindliche Unijob-Tarifierungen zu schaffen.“ Der Weg dahin sei jedoch auf politischer Ebene noch nicht geebnet und könnte womöglich auch Gerichte beschäftigen. Ein Umdenken der Branche aus eigenem Antrieb hält Stephan Kaiser, geschäftsführender Gesellschafter der BU-Expertenservice, jedoch für ziemlich undenkbar: „Die Erfahrung zeigt, dass in dieser Branche sehr viel passieren kann, eine einheitliche Vorgehensweise auf freiwilliger Basis aber sehr unwahrscheinlich ist.“

Niedrigzinsumfeld drückt auf Preisgestaltung.

Makler bewegt derzeit im Zusammenhang mit der Berufsunfähigkeitsversicherung noch ein ganz anderes – möglicherweise gefährlicheres – Thema: die niedrigen Zinsen. ASSEKURATA-Experte Heermann erkennt hier nicht nur eine klare Tendenz, sondern auch akuten Handlungsbedarf: „Wir gehen davon aus, dass die Zahlbeiträge in der Berufsunfähigkeitsversicherung tendenziell steigen werden. Dies dürfte insbesondere bei Anbietern der Fall sein, die von der Möglichkeit der Querverrechnung zwischen den Ergebnisquellen Gebrauch machen, die der Gesetzgeber im Zuge des Lebensversicherungsreformgesetzes 2014 eröffnet hat.“ Und in der Tat kann ein negatives Kapitalanlageergebnis nunmehr durch ein positives Risikoergebnis ausgeglichen werden. Dies kann dazu führen, dass bei einem betroffenen Versicherer die Überschussbeteiligung in der Berufsunfähigkeitsversicherung sinkt und infolgedessen die Zahlbeiträge der Kunden ansteigen. Gerade in Niedrigzinszeiten hängen die Beitragsstabilität und eine nachhaltige Leistungsfähigkeit also maßgeblich von der Finanzkraft des Anbieters ab. Heermann: „Kunden und Vermittler sind gut beraten, hierauf ein besonderes Augenmerk zu legen.“ Darüber hinaus sollte bei der Auswahl eines passenden Produktes ohnehin nicht nur die Nettoprämie, sondern stets auch die tarifliche Bruttoprämie im Fokus stehen. Stephan Kaiser hält einen Beitragsanstieg nicht nur in diesem Kontext schlichtweg für unvermeidlich: „Dies gilt sowohl für Neu- als auch Bestandsverträge. So erhöht sich zum Beispiel im Leistungsfall der Rückstellungsbedarf des Versicherers bei sinkendem Zins, er muss also im Leistungsfall einfach effektiv mehr Geld in die Hand nehmen.“

Kein Grund zu voreiligem Pessimismus.

Andere sehen die Lage allerdings weniger dramatisch, so Peter Schneider von MORGEN & MORGEN: „Die Beiträge werden von der Zinsentwicklung nicht so stark beeinflusst. Trotzdem bedeuten niedrigere Zinsen natürlich auch, dass die Beiträge im Durchschnitt leicht steigen werden.“ Der Großteil der Beiträge werde jedoch für die Risikoabsicherung und Kosten verwendet. Auch die Überschüsse ergäben sich hauptsächlich aus Risiko- und Kostenüberschüssen. So hätten in den letzten Jahren die Garantiezinssenkungen und fallenden Gesamtverzinsungen nur geringe Auswirkungen auf die Beiträge gezeigt. Und auch Markus Kiener zeigt sich entspannt: „Wir haben in diesem Bereich in den letzten Jahren eine hohe Beitragsstabilität verzeichnet und sind optimistisch, dass die Gesellschaften die Beiträge auch halten möchten.“ (hwt) (Berufsunfähigkeitsversicherung / finanzwelt 02/2016)