Gegen die Quote

22.10.2014

Foto: © Nomad_Soul - Fotolia.com

Am 15. Oktober traf Angela Merkel im Kanzleramt eine Gruppe von 100 Frauen in Führungspositionen. Das gemeinsame Anliegen waren die geplante gesetzliche Regelung zur Frauenquote und deren Vorteile für die deutsche Wirtschaft. Das Thema liefert weiterhin Zündstoff. Eine aktuelle Studie zeigt nun: Gerade in Banken und Geldinstituten sind Karrieren noch sehr unterdurchschnittlich weiblich.

Vielfalt („Diversität") am Arbeitsplatz verspricht Wettbewerbsvorteile. Der Begriff „Diversität" bezieht sich auf die Zusammenstellung von Teams mit Mitarbeitern unterschiedlicher Herkunft, Geschlecht, Alter und weiteren Dimensionen. Mit Blick auf das Thema Geschlechtergleichstellung geht es vornehmlich darum, Frauen stärker in die Führungsgremien der deutschen Wirtschaft einzubinden. Eine aktuelle Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin zeigt nun: Weniger als 6 % aller Dax-30-Vorstände sind weiblich – und der Wert ist rückläufig. Die Bundesregierung hat sich daher im Koalitionsvertrag auf eine Quotenregelung verständigt. Ab 2016 wird für 100 börsennotierte Unternehmen ein Frauenanteil in den Aufsichtsräten von mindestens 30 % festgeschrieben. Etwa 3.500 weitere mittelständische und kleine deutsche Firmen sind bereits ab 2015 verpflichtet, sich selbst Zielvorgaben („flexible Quote") für Aufsichtsrat, Vorstand und die obere Management-Ebene zu geben. Die EU-Kommission schlägt eine Quote von 40 % für Aufsichtsräte börsennotierter Unternehmen bis 2020 vor – und drängt auf eine Umsetzung in den Mitgliedsländern. Doch wie ist die Situation speziell im Finanzsektor: Machen Frauen selten Karriere in den Chefetagen?

Das Karrierenetzwerk eFinancialCareers hat im August dieses Jahres 5.000 Finanzexperten in acht Ländern, davon 263 in Deutschland, zum Thema Diversität befragt. Die wesentlichen Ergebnisse der eFinancialCareers-Studie für Deutschland: 63 % der deutschen Finanzexperten sehen das Thema Gendergerechtigkeit im deutschen Finanzsektor unzureichend umgesetzt. Sechs von zehn Umfrageteilnehmern (59%) sagen, dass Männer bei Gehaltsverhandlungen in Deutschland besser abschneiden als ihre weiblichen Kollegen. Die Ergebnisse decken sich mit den Analysen der DIW-Studie. Danach liegt der Frauenanteil bei allen Beschäftigten in allen Hierarchieebenen im deutschen Finanzsektor zwar bei über 50 %, dies korreliert aber nicht mit einem gleichsam hohen Anteil in den Führungsgremien. Kurzum: Die Diskussion um Diversity und Gleichstellung hat in der deutschen Finanzbranche noch keine wesentliche Annäherung der Karrieren in den Führungspositionen bewirkt. Noch schlimmer: Deutschland ist gemäß der eFinancialCareers-Studie sogar Schlusslicht. Nur 21 % der deutschen Finanz-Professionals gaben an, dass Frauen und Männer in ihrem Unternehmen in Führungspositionen gleichmäßig vertreten sind. In allen anderen Ländern war die Anzahl höher. Zwei Drittel sind es in Singapur, über 50 % in Hongkong und den USA und über 40 % in Großbritannien und Australien.

Pikant dabei ist jedoch, dass die Umsetzung einer Diversitätsstrategie, so die Teilnehmer der eFinancialCareers-Studie, von den Unternehmen selbst erfolgen soll. Staatlichen Quoten erteilen zwei Drittel (64 %) der Befragten eine Absage. Ist dies Wasser auf die Mühlen der Quotenkritiker in Deutschland? Diese sehen in der Frauenquote einen Eingriff in den Handlungsspielraum und etwaige Aktionärsentscheidungen der Unternehmen. Vor dem Hintergrund gesunkener Konjunkturprognosen und nach einer Reihe sozialpolitischer Einschnitte (unter anderem Frührente, Mütterrente, Mindestlohn) fordern zahlreiche Wirtschaftsvertreter nun Entlastung. Ihr Argument: Die Quote könnte Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit der hiesigen Unternehmen gefährden. Die vielfältigen ökonomischen und weiteren Vorteile einer zielgerichteten Integration von Frauen in die Entscheidungsstrukturen von Unternehmen werden in Deutschland dennoch gesehen. So zeigen sich in der eFinancialCareers-Studie 82 % der in Deutschland befragten Finanzexperten vom Mehrwert einer vielfältigen Belegschaft, inklusive gemischter Führungsteams, überzeugt. Die Gefahr lauert nach Auffassung einiger Gleichstellungsexperten ohnehin eher in der psychologischen Komponente einer Frauenquote, nämlich dann, wenn Frauen mit dem Stigma behaftet werden, sie seien dank der Quote und nicht dank ihrer Leistungen und Qualifikationen in Top-Positionen befördert worden.

Um eine Gleichstellung innerhalb des Finanzsektors zu erreichen und mehr Chancen für Frauen in den Spitzengremien der Banken zu realisieren, bedarf es noch immenser Anstrengungen. Perspektivisch muss eine profunde Diversitätsstrategie einen karrierebezogenen Ausgleich der Geschlechter über alle Hierarchieebenen hinweg leisten. Entscheidender Hebel werden aber die Rahmenbedingungen sein, die man berufstätigen Frauen bietet. Jeder fünfte Teilnehmer (26 %) der eFinancialCareers-Studie hält flexiblere Arbeitszeitmodelle für eine Schlüsselmaßnahme erfolgreicher Gleichstellung, nahezu jeder Fünfte (19 %) nennt Unterstützungsleistungen bei der Kinderbetreuung. Aus unserer täglichen Beratungspraxis wissen wir, dass Finanzinstitute bereits sehr gezielt und proaktiv nach weiblichen Top-Talenten suchen. Den Bewusstseinswandel oder ein tatsächliches Umdenken in der Unternehmenskultur müssen die Geldinstitute aber auch vollziehen – reine Lippenbekenntnisse zur Aufpolierung der Arbeitgebermarke reichen nicht aus.

_Tanja Apel-Mitchell, Director Continental Europe & Middle East eFinancialCareers

fin@nzwelt online - das Online-Magazin - blättern Sie hier

_

Geschlechtervielfalt im Finanzsektor - Onlineausgabe 04/2014