Für jeden etwas dabei

27.03.2014

Lars Brandau

Zertifikate kann man grob als Mischung zwischen klassischem Wertpapier (Aktie, Anleihe, Fonds) einerseits und Optionsschein andererseits umreißen. Unabhängig davon, ob sich die Börsenkurse nach oben, unten oder seitwärts bewegen, lassen sich attraktive Produkte finden.

Ihre Stärken dürften Zertifikate in erster Linie in zwei Bereichen ausspielen: Zum einen in den Kapitalschutz-Konstruktionen, die dem Investor zumindest den Einsatz garantieren. Mit Discount-, Bonus- oder Expresszertifikaten können sie zudem zum Teil an den Bewegungen im Aktienmarkt teilhaben, ohne das volle Risiko tragen zu müssen. finanzwelt sprach hierüber mit Lars Brandau, Geschäftsführer Deutscher Derivate Verband (DDV), und Nicolai Tietze, Director Deutsche Bank AG.

finanzwelt: An den Kapitalmärkten herrscht gute Stimmung. Von Katzenjammer, trotz politischer Risiken, keine Spur. Um die Zertifikateindustrie ist es dennoch etwas ruhiger geworden. Oder täuscht der Eindruck?

Brandau: Das Börsenjahr 2013 geht sicherlich als klassisches Bullenjahr in die Finanzmarktgeschichte ein. Nach wie vor halten sich jedoch viele Privatanleger bei allen Formen der Wertpapieranlage zurück. Davon sind auch strukturierte Wertpapiere betroffen. Während das Marktvolumen strukturierter Wertpapiere infolge der Finanzmarktkrise im Frühjahr 2009 unter 80 Mrd. Euro sank, investierten Investoren danach wieder mehr in Zertifikate und Optionsscheine. Inzwischen liegt das Marktvolumen bei mehr als 90 Mrd. Euro.

Tietze: Ich denke, dass der Eindruck täuscht. Zumindest sprechen die Umsatzstatistiken der ersten zwei Monate dieses Jahres nicht dafür, dass es in der Zertifikatebranche ruhiger zugehen würde. Ganz im Gegenteil, gerade in der aktuellen volatilen Seitwärtsphase spielen viele Zertifikatetypen, wie z. B. Discountzertifikate, ihre Stärken aus.

finanzwelt: Die Gesamtzahl aller gelisteten Anlage- und Hebelprodukte ist kaum überschaubar. Geht dies nicht zulasten der Transparenz? Ein Vorwurf, der beispielsweise auch der ETF-Industrie gemacht wird.

Brandau: Autokäufer haben bei nur einem PKW theoretisch die Möglichkeit nahezu unbegrenzter Varianten, was dessen Ausstattung angeht. Und dennoch gibt es Menschen, denen das immer noch nicht ausreicht. So ist das auch bei Zertifikaten und Selbstentscheidern. Wir haben zwei sehr unterschiedliche Gruppen von Zertifikatekäufern. Die Selbstentscheider suchen sich auf entsprechenden Finanzportalen im Internet die passenden Produkte. Die Kunden in der Filiale definieren gemeinsam mit ihrem Berater, welches Anlageziel sie verfolgen, welches Risiko sie eingehen wollen, welche Laufzeit sie bevorzugen und welche Basiswerte für sie in Frage kommen.

Tietze: Zertifikate bieten viele Vorteile gegenüber klassischen Anlageprodukten und ermöglichen dem Investor, an verschiedenen Marktsituationen zu partizipieren, was bei einer klassischen Direktanlage nicht möglich ist. Natürlich ist die Gesamtanzahl der am Markt befindlichen Zertifikate erst einmal irritierend, aber man sollte bedenken, dass die entsprechende Nachfrage besteht. Durch die große Produktvielfalt auf verschiedene Basiswerte versuchen wir, dem Kunden eine möglichst große Auswahl anzubieten, um ihm eine an seinen individuellen Bedürfnissen ausgerichtete Handelsstrategie zu ermöglichen.

finanzwelt: Welchen Zertifikatetypen wird das größte Absatzpotenzial eingeräumt?

Tietze: Bei den Anlageprodukten wird sich der Trend der letzten Jahre meines Erachtens fortsetzen: einfache Strukturen mit einer attraktiven Seitwärtsrendite auf bekannte Blue Chip Werte. Aktienanleihen haben sich zum Beispiel in den letzten Jahren sehr großer Beliebtheit erfreut. Dieser positive Trend wird sich auch dieses Jahr wahrscheinlich fortschreiben lassen. Gerade in dem aktuellen Niedrigzinsumfeld entdecken auch die nicht zertifikateaffinen Investoren die Chancen, die diese Papiere in einem Seitwärtsmarkt bieten können. Natürlich gilt dies auch für Discountzertifikate.

Brandau: In unserer Produktklassifizierung (Derivate-Liga) gibt es zwölf Zertifikatetypen. Sie haben alle ihre Daseinsberechtigung. Wie sich ihr Absatzpotential im Einzelnen entwickelt, hängt immer von den Kursverläufen der Finanzmärkte ab. Beratungskunden setzen nach wie vor eher auf Zertifikate mit vollständigem Kapitalschutz. Sie machen seit Jahren mehr als zwei Drittel des Marktvolumens aus.

finanzwelt: Der Sekundärmarkt für Zertifikate gewinnt an Bedeutung. Was bedeutet dies für Vermögensverwalter?

Tietze: Der Sekundärmarkt erlaubt es Vermögensverwaltern und ihren Kunden, in marktspezifischen Situationen viel schneller zu reagieren, als wenn ein Produkt noch in der Zeichnungsphase ist. Die in den letzten Jahren stark angestiegene Anzahl der Sekundärmarktprodukte unterstützt diese Beobachtung.

finanzwelt: Machen Sie regulatorische Hemmnisse aus?

Brandau: Zumindest erkennen wir ungewollte, regulative Auswirkungen, die vor allem den Verkauf von etwas offensiveren Zertifikaten im Beratungsgeschäft betreffen. Zur Vermeidung der immensen Haftungsrisiken und aufgrund ihrer strengeren Dokumentationsauflagen geben Anlageberater immer öfter nahezu risikolosen, jedoch auch renditearmen Produkten den Vorzug. Das kann so seitens der politischen Entscheider nicht gewollt sein und ist auch nicht im Sinne des Beratungskunden.

finanzwelt: Herr Brandau, wie definieren Sie Ihre Rolle als Branchenverband und welche Unterstützung geben Sie Beratern mit an die Hand?

Brandau: Der Deutsche Derivate Verband (DDV) ist ein politischer Interessenverband für die Zertifikatebranche. Zertifikate gehören in jedes erfolgreiche Depot. Berater, Anleger und Interessierte erhalten über unsere Website sowohl statistische Informationen wie Zertifikate-Marktvolumen, Börsenumsätze und Marktanteile, aber auch neutrale Broschüren, Podcasts, Videos und Trendumfragen zum Thema Zertifikate.

finanzwelt: Herr Tietze, wie unterstützen Sie als Emittent Berater und auch Kunden, um diese über Zertifikate eingehend zu informieren?

Tietze: Wir bieten potenziellen Kunden und Beratern eine Palette von Informationsmaterialien an. Darunter sind Broschüren zu den jeweiligen Produkttypen sowie regelmäßig erscheinende Magazine. Auf unserer Website kann man sich zusätzlich einwöchentlich aufgenommenes Expertenvideo ansehen, das aktuelle Fragen und Trends in der Finanzindustrie beleuchtet und kommentiert. Die Basis für eine Investition ist das Wissen über die jeweiligen Zertifikate. Kunden sollten in jedem Falle vor der Investitionsentscheidung in ein Zertifikat, egal welchen Typs, umfassend über seine Funktionsweise und Risiken aufgeklärt sein.

(ah)

Expertengespräch Zertifikate – Printausgabe 02/2014